Das neue Gesetz zur Reisefreiheit in Kuba

Die Gehirne bleiben hier

In Kuba ist ein neues Gesetz zur Reisefreiheit in Kraft getreten, doch nicht jeder kann auf eine unbürokratische Ausreise hoffen.

Ende Januar müssten die ersten Pässe fertig sein. So haben es die kubanischen Migrationsbehörden versprochen, die am 14. Januar rund 200 Büros landesweit öffneten, um den erwarteten Ansturm der reisewilligen Kubanerinnen und Kubaner bewältigen zu können. Ganz so groß war dieser dann doch nicht. Gleichwohl hat das am Montag vergangener Woche in Kraft getretene neue Gesetz zur Reisefreiheit in Kuba einige Euphorie ausgelöst, denn neben wirtschaftlichen Reformen war die Reisefreiheit die von den Kubanerinnen und Kubaner am sehnlichsten gewünschte Neuerung. Wie sie sich in der Realität darstellt, wird daher genau geprüft.
»Es ist ein Gewinn an persönlicher Freiheit«, urteilt Leonardo Padura, derzeit der populärste Autor Kubas. Er begrüßt es, dass man für eine Ausreise nun weder eine Erlaubnis in Form der tarjeta blanca noch ein Einladungsschreiben braucht und auch andere Behördengänge wegfallen. Fortan sollen der Pass, ein Flugticket und das Visum des betreffenden Landes ausreichen. Für Kubanerinnen und Kubaner sind dies ohnehin genug Hürden. Listen der wenigen Länder, für die kein Visum erforderlich ist, werden auf der Straße für zwei Peso Convertible (1,50 Euro) angeboten. Viele Kubaner sind ins Grübeln gekommen, ob sie nun nicht doch eine Chance haben, das Land für kurze oder längere Zeit zu verlassen. Eine derjenigen, die die Probe aufs Exempel machen werden, ist Yoani Sánchez. Die auch im Ausland bekannte Bloggerin will nach insgesamt 20 Ausreiseanträgen nun Anfang Februar verreisen. Die Beamtin der Migrationsbehörde habe eingewilligt, berichtete Sánchez auf ihrem Twitter-Account. Noch aber bleibt abzuwarten, ob die Regierungskritikerin tatsächlich ihren Pass abholen kann, um nach Brasilien zu fliegen.

Das neue Gesetz zur Reisefreiheit wurde bereits am 16. Oktober vorgestellt. Mit seinem Inkrafttreten zum 14. Januar wird die mögliche Aufenthaltsdauer im Ausland von elf auf 24 Monate erhöht, ohne dass Fernreisende ihren Besitz auf Kuba oder die Möglichkeit der Wiedereinreise verlieren. Mit dem neuen Gesetz sollen die »Beziehungen zwischen Emigration und Vaterland normalisiert« werden, wie es offiziell heißt. Doch ob es die erwartete rege Reistätigkeit zwischen Miami und Havanna geben wird, hängt auch von der Reaktion der US-amerikanischen Behörden ab. Zudem bleibt die Frage, ob die kubanische Regierung wirklich so freizügig agieren wird. Im nationalen Interesse und zur nationalen Sicherheit kann das Reisen schließlich auch weiterhin reguliert werden. Dafür gibt es verschiedene Gründe, so soll das »menschliche Kapital«, das an kubanischen Universitäten ausgebildet wurde, geschützt und der »Raub von Gehirnen« verhindert werden. Diese Restriktionen »im öffentlichen Interesse« betreffen leitende Funktionäre, Wissenschaftler, hochqualifizierte Techniker und Militärangehörige, nur in Ausnahmefällen besteht für sie die Möglichkeit, drei bis fünf Jahre im Ausland zu leben.
Wer die nationale Sicherheit gefährdet, dem kann der Pass verweigert werden, davon könnten Dissidenten und Regierungskritiker betroffen sein. So ist es vor einigen Wochen der Tochter des international bekannten, im vorigen Jahr tödlich verunglückten Dissidenten Oswaldo Payá ergangen. Rosa María Payá erhielt keine Reiseerlaubnis für die Teilnahme an einem Seminar in Chile. Auch anderen bekannten Kritikerinnen und Kri­tikern der Regierung könne es so gehen, vermutet Elizardo Sánchez, Leiter der illegalen, aber tolerierten Kommission für Menschenrechte und nationale Versöhnung. Allerdings wolle er abwarten, wie sich die Behörden verhalten.

Für die Mehrheit der kubanischen Bevölkerung überwiegt zunächst die Freude, dass die Welt nicht mehr ganz so schwer zu erreichen ist wie früher. Nora Núñez, die Herausgeberin einer Universitätszeitung in Santiago de Cuba, hat ihren Reisepass längst beantragt, in zwei Wochen soll er fertig sein. »Nur 55 Pesos Convertibles (41 Euro) werde ich zahlen müssen, statt der 100, die er ab dem 14. Januar kostet«, freut sich die Frau von Anfang 50. Spätestens in zwei Monaten will sie außerhalb Kubas in den Urlaub fahren. »Die Leute sind enthusiastisch, wollen reisen. Aber viele werden es ohnehin nicht können, denn wer hat schon das Geld für das Ticket und das Visum?« gibt Padura zu bedenken. Er hat in seinem Viertel Mantilla in Havanna die Begeisterung in der Nachbarschaft mitbekommen. Anders als die meisten Kubanerinnen und Kubaner hatte er regelmäßig die Möglichkeit zu reisen, denn für Künstler galten andere Regeln. »Wir benötigten zwar ein Visum und eine Einladung aus dem Ausland, aber mussten die anderen Hürden nicht bewältigen«, erklärt der 57jährige. Diese Hürden, wie eine Ausreisebewilligung und die Zustimmung des Arbeitgebers, sollen nun auch für eine Berufsgruppe fallen, die früher immer vom Reisen ausgeschlossen war: Ärztinnen und Ärzte. Sie standen wie Ingenieure und Angehörige zahlreicher anderer akademischer Be­rufe auf dem Index. Doch nachdem sich eine Gruppe von Klinikdirektoren am 5. Januar mit Gesundheitsminister Roberto Morales getroffen hatte, gilt die neue Reisefreiheit auch für sie. Für die USA könnte die neue Reisefreiheit einen Zustrom an Kubanerinnen und Kubanern bedeuten. Die US-amerikanische Gesetzgebung besagt, dass Kubaner, die US-amerikanischen Boden auf dem Landweg betreten, eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Mal sehen, ob das auch noch ab Februar gilt.