Lest euren Kindern andere Bücher vor!

Gute Hexe, böse Hexe

Literatur kann gar nicht nachträglich politisch korrekt umgeschrieben werden. Man müsste sich erst einigen, was korrekt ist.
Von

»Wir machten eine Flasche Limonade leer, ich weiß nicht, anscheinend drehte ich durch und half der 30jährigen Frau in ihr hochgeschlossenes Kleid. Ich bekam ein Stück Schulter zu sehen und entschuldigte mich schnell. Wir diskutierten dann eine Stunde lang über Adorno. Doch ständig klingelte ihr Telefon, schließlich war sie Chefin vom irgendsonem Finanzimperium. Ich knetete derweil mein blaues, wohl duftendes Sofakissen.« Haben Sie es erkannt? Ich habe mir erlaubt, einen Absatz aus Charles Bukowskis Erzählung »Der Tag, als wir über James Thurber sprachen« umzuschreiben, so, dass es halbwegs politisch korrekt sein dürfte. Ist das noch Bukowski? Nein. Natürlich nicht. Es ist schlicht unmöglich, die Weltliteratur auf PC zu trimmen. Und wünschenswert ist es auch nicht. Bücher, gerade literarische Werke, sind außerdem Zeugnisse ihrer Zeit, ihre Sprache ebenso wie die Geschichten, die sie erzählen. Ist das bei Kinderbüchern etwas anderes? Weil Kinder durch Rassismus in Büchern automatisch zu Rassisten werden? Dürfen Kinder dann auch nicht mehr Cowboy und Indianer spielen? Müssen wir ihnen die Laserschwerter wegnehmen?
Tatsächlich ist es in gewisser Weise ein Problem, dass viele Eltern ihren Kindern am liebsten jene Bücher vorlesen oder in die Hand geben, mit denen sie selbst groß geworden sind. Schließlich meinen sie, dass die ihnen auch nicht geschadet, sie im Gegenteil zu solch großartigen Menschen gemacht hätten, die sie nun einmal sind. So soll der Nachwuchs auch werden. Deshalb rangieren olle Schinken wie »Pipi Langstrumpf« und »Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer« noch immer weit oben auf Bestsellerlisten. Auch die Superman- und Donald-Duck-Comics aus der eigenen Kindheit werden gerne weitervererbt. Und aus demselben Grund halten sich auch die steinalten Märchen bis heute. Doch wer will sich wundern, dass Märchen aus dem Mittelalter mittelalterlich sind? Genderpolitisch korrekt ist das Leben in Entenhausen ebenso wenig, wie es im Taka-Tuka-Land antirassistisch oder in Mittelerde demokratisch zugeht.

Das derzeit so heftig diskutierte Zitat aus Pipi Langstrumpf lautet: »Meine Mama ist ein Engel, und mein Papa ist ein Negerkönig.« »Negerkönig« solle durch »Südseekönig« ersetzt werden, forderte die Bundesfamilienministerin. Doch warum sollte die Säuberung dann beim Negerkönig Halt machen? Engel? Ist das für eine atheistische, aufgeklärte Erziehung vertretbar? Und sollte ein schwedischer Kapitän überhaupt im Südpazifik »König« sein? Ist das nicht Neokolonialismus? Wollte man alle Bedenken tilgen, könnte der Satz vielleicht lauten: »Meine Mama ist eine Jahresendzeitfigur und mein Papa Arbeiter im Trikont.« Natürlich müsste auch die Geschichte entsprechend umgeschrieben werden. Denn nicht nur böse Wörter tauchen in Büchern auf, auch die ganzen Geschichten sind alles andere als politisch korrekt.

Tatsächlich hatte Kristina Schröder auch davon gesprochen: Grimms Märchen seien »sexistisch«, weil es keine »positiven Frauenfiguren« gebe. Aber was wäre eine positive Frauenfigur? Vermutlich haben die christliche Frau Schröder, Dieter Bohlen und eine queere Frauen-WG in Kreuzberg völlig unterschiedliche Vorstellungen davon. Wer soll das aushandeln, wie genau die Kinderbücher geschrieben werden müssen? Soll man einen Expertenrat einberufen oder abstimmen lassen, ob Hexen positive Frauenfiguren sind oder es im Gegenteil diskriminierend ist, wenn in einer Geschichte Frauen nur als Hexen auftauchen? Ist das Gut-Böse-Schema in »Herr der Ringe« pädagogisch vertretbar? Verführt »Harry Potter« Kinder zur Esoterik? Und wäre eine Kritik daran tatsächlich aufklärerisch oder würde sie vielmehr Ähnlichkeiten mit Satanismusvorwürfen und Zensurforderungen der Kirchen haben, wie es sie zu allen Zeiten zu diversen Büchern, Schallplatten und Filmen immer wieder gegeben hat? Wer würde eine Abstimmung darüber gewinnen, ob die Teletubbies und Ernie und Bert als schwul gelten dürfen oder deutlicher geschlechtlich definiert werden müssten? Sicher wie immer die Verkehrten.
Es hilf daher nichts: Eltern müssen sich Kinderbücher aussuchen, die ihren eigenen Anschauungen entsprechen, oder ihre Kinder so erziehen, dass sie Widersprüche, Begriffe, die gesellschaftliche Bedeutung einer Geschichte zu reflektieren lernen. Und selbstverständlich haben alle Eltern wie Kristina Schröder das Recht, beim Vorlesen Geschichten so auszuschmücken und zu variieren, wie es ihnen beliebt. Auch Verlage haben – sofern sie dazu urheberrechtlich befugt sind – das moralische Recht, Remakes beliebter Kinderbuchklassiker herauszubringen, solange die alten Originalfassungen nicht verboten und aus dem Verkehr gezogen werden. Bloß: Es ist ein Fass ohne Boden und führt, wenn man es konsequent machte, ins Irrsinnige. Überhaupt damit anzufangen, ergibt, außer unter verkaufstechnischen Gesichtspunkten, keinerlei Sinn.