Machtkampf im Iran

Bärte unter sich

Im Juni endet die Amtszeit Mahmoud Ahmadinejads als Präsident des Iran. Um seine Nachfolge findet ein innerislamistischer Machtkampf statt. Säkulare oder fortschrittliche Kräfte werden erst gar nicht an der Wahl teilnehmen können.

Die Präsidentschaftswahlen in der Islamischen Republik Iran finden alle vier Jahre statt, am 14. Juni dieses Jahres zum elften Mal. Die Wahlen haben im Iran lediglich kosmetischen Charakter, denn die Bevölkerung darf nur die Kandidaten der verschiedenen islamistischen Gruppierungen wählen, die von der totalitären Institution des Wächterrates zugelassen werden. Dennoch gibt es innerislamistische Machtkämpfe. Diese eskalierten in letzter Zeit derart, dass Ali Khamenei am 16. Februar öffentlich einschreiten musste. Khamenei, als »Revolutionsführer« das Staatsoberhaupt des Iran, verpasste den Kontrahenten jeweils einen Rüffel. So habe Mahmoud Ahmadinejad gegen das religiöse Gesetz verstoßen, als er im Majless, dem islamistischen Pseudoparlament, mit quasi-geheimdienstlichen Methoden Korruptionsvorwürfe gegen Ali Larijanis Bruder erhoben hatte. Larijani ist immerhin Vorsitzender des Majless. Tatsächlich wird es, wie am Dienstag bekannt wurde, zu einem Verfahren gegen Larijanis Bruder kommen – ein Erfolg für Ahmadinejad. Ali Khamenei verurteilte insbesondere die Proteste gegen Larijani, die stattfanden, als dieser bei einer öffentlichen Kundgebung in Qom, der »heiligen Stadt« des schiitischen Klerus, eine Rede halten wollte. Bei den Protestierenden handelte es sich offensichtlich um Anhänger Ahmadinejads, Khamenei forderte daher, man müsse die Kräfte gegen die wahren Gegner richten.

Trotz der Schlichtungsversuche des »Revolutionsführers« bleiben die Konflikte bestehen, weil sie strukturelle gesellschaftliche Ursachen haben. Die islamistischen Fraktionen werden in »Prinzipialisten« oder »Prinzipientreue« und in »Reformislamisten« eingeteilt, die Prinzipialisten wiederum in drei Gruppen.
Die erste prinzipialistische Gruppe besteht aus der »Gesellschaft der Kämpfenden Geistlichkeit« (Jameye Rohaniat Mobarez), der »Gesellschaft der Lehrenden des wissenschaftlichen Kreises in Qom« (Jameye Modaressin Hoseye Elmiye Qom) und der »Front der Anhänger der Linie des Imam und des Führers« (Jebeheye Peyrawane Khate Imam wa Rahbari). Diese Organisationen schlagen zwar nicht immer gemeinsame Kandidaten vor, weil sie sich selten einig sind, konnten sich aber immerhin bei der vorigen Präsidentschaftswahl auf Ahmadinejad einigen. Sie konzentrieren sich auf den Staatsklerus. Die Favoriten dieser Organisationen, die im Iran als »rechte Traditionalisten« bezeichnet werden, für die kommenden Wahlen sind Ali Akbar Velayati, Manouchehr Mottaki und Mostafa Pour-Mohammadi.
Als zweite prinzipialistische Fraktion kann die »Einheit der Förderer des Wandels und der Standhaftigkeit« (Etehade Tahawolkhahwa Paydari) genannt werden. Diese Gruppe gehörte zunächst zu den engen Verbündeten Ahmadinejads, inzwischen will sie jedoch unabhängig agieren. Ayatollah Masbah Yazdi, der zunächst ebenfalls Ahmadinejad unterstützte, gilt als ihr wichtigster Mentor. Masbah Yazdi war einer der Befehlshaber bei der Ermordung von Schriftstellern und Politikern Ende der neunziger Jahre. Die von ihm angeordneten sogenannten Kettenmorde wurden vom iranischen Geheimdienst ausgeführt. Gholam Ali Haddad-Adel (ehemaliger Sprecher des Majless), Saeed Jalili (ehemaliger stellvertretender Außenminister), Kamran Bagheri Lankarani (ehemaliger Gesundheitsminister) und Parviz Fattah (ehemaliger Energieminister) zählen zu den wichtigen Anführern dieser Gruppe. Zu ihrer Basis gehören viele junge Kleriker und Studenten.
Die Politiker, die man zu dieser Fraktion zählen kann, sind oft in verschiedenen Organisationen aktiv. Haddad-Adel, ein fanatischer Feind der religiösen Minderheit der Bahai, ist beispielsweise auch Mitglied der Gruppe »Einheitsfront« unter den Prinzipialisten. Gerne würde ihn die radikal-prinzipialistische Gruppe der »Rahpuyan Enqelabe Eslami« (Die Wegweiser der Islamischen Revolution) für sich gewinnen. Ihr gehört auch der Israelhasser Mehdi Taeb an.
Die dritte prinzipialistische Fraktion bilden die Anhänger der Regierung Ahmadinejads. Seyyed Hassan Mousavi und Ali Akbar Salehi zählen zu ihren Kandidaten. Die »Freigebigen« (Jamiate Issargaran) stellen ein Sammelbecken für die Parteigänger Ahmadinejads dar. Aber selbst hier stößt der amtierende Präsident auf immer mehr Widerspruch. Der Kandidat, der von Ahmadinejad favorisiert wird, ist sein enger Freund und ehemaliger Stellvertreter Esfandiar Rahim Machai. Er droht jedoch disqualifiziert zu werden. Der Vorsitzende des Wächterrates, Ayatollah Ahmad Jannati, sagte, falls er selbst vor den Präsidentschaftswahlen sterben sollte, werde noch seine Seele die Wahl von Maschai verhindern. Dafür können einige Minister aus dem Regierungskabinett von Ahmadinejad, etwa der Regierungssprecher Gholam-Hussein Elham und der Außenminister Ali Akbar Salehi, hoffen, vom Wächterrat akzeptiert zu werden.

Auch bei den »Reformislamisten« besteht alles andere als Einigkeit. Diese zweite Hauptgruppe neben den Prinzipialisten wird in Moderate und Radikale eingeteilt. Zu den radikalen Reformislamisten werden Behzad Nabavi und Saeed Hajjarian gezählt. Inzwischen gibt es Stimmen, die meinen, dass sich die beiden von dem politischen System der Islamischen Republik Iran verabschiedet hätten. Ihr Präsidentschaftskandidat könnte Kamal Kharazi werden. Zu den moderaten Reformislamisten zählen diejenigen, die sich von den Protesten gegen die Wahl Ahmadinejads distanziert haben, unter ihnen Seyyed Hassan Khomeini und Majid Ansari. Einigen Berichten zufolge soll Hassan Rohani, ein früherer Atomunterhändler, ihr Präsidentschaftskandidat werden.
Es ist aber noch nicht klar, ob überhaupt ein Kandidat der Reformislamisten vom Wächterrat zugelassen wird. Die großen reformislamistischen Organisationen, wie die »Partizipationsfront« und die »Organisation der Mojahedin der islamischen Revolution«, sind längst verboten. Es ist nicht zu erwarten, dass ein reformislamistischer Präsident gewählt werden könnte.
Eine weitere Gruppierung, die im Machtgefüge des Iran eine Rolle spielt, sind die Wächter der islamischen Revolution (Pasdaran), die sich weder einer prinzipialistischen Gruppe unterordnen noch sich als reformistisch verstehen wollen und sich daher als neutral darstellen. Die politische Führung liegt bei ehemaligen militärischen Kadern der Pasdaran wie Mohammed Bagher Ghalibaf, Ali Larijani und Mohsen Rezai.
Es gibt natürlich noch viele andere Organisationen mit Einfluss, wie etwa die islamistische Arbeitervereinigung, die sich »Haus der Arbeiter« nennt. Diese islamistische Pseudogewerkschaft steht politisch Hashemi Rafsanjani nahe, einem der reichsten Unternehmer des Iran, und befürwortet die Zerschlagung der unabhängigen Arbeiterbewegung. Die Vereinigung will offenbar Hussein Kamali, der unter den Präsidenten Rafsanjani und Khatami Arbeitsminister war, als Präsidentschaftskandidaten vorschlagen.

Wer am Ende tatsächlich Präsident werden könnte, weiß gegenwärtig niemand im Iran. Es hängt sicherlich auch davon ab, wie die Wahlen manipuliert werden. Auf jeden Fall werden die Revolutionswächter eine wichtige Rolle dabei spielen und die Befehle Khameneis und des Wächterrates ausführen. Über einige Personen wird dennoch derzeit heftig spekuliert: Aus dem Lager der Prinzipialisten soll Saeed Jalili gute Chancen haben. Er ist gegenwärtig Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates. Zudem soll auch Gholam Ali Haddad-Adel gut im Rennen sein. Der Vater seines Schwiegersohnes ist immerhin der »Revolutionsführer« Ali Khamenei. Haddad-Adel hat aber einen entschlossenen Gegner: Ali Larijani.
Interessant ist, dass sich einige Politiker auch quer zu den großen Fraktionen verbünden. Als Beispiel sei das Bündnis »2 plus 1« genannt, das aus Ghoalam Ali Hadad-Adel, Mohammed Bagher Ghalibaf und Ali Akbar Velayati besteht. Diese wollen jeweils zugunsten eines Mitglieds der Dreiergruppe zurücktreten, so dass wenigstens einer von ihnen Präsident wird. Sie legen aber auch Wert darauf, zu erfahren, ob Ali Khamenei einen von ihnen bevorzugt. Falls der Favorit des Führers bekannt würde, würden die beiden anderen ihren Wahlkampf aufgeben und den von Khamenei Erkorenen unterstützen. Haddad-Adel hat wegen seiner Verwandtschaft mit dem »Revolutionsführer« gute Karten. Alle drei versprechen sich von dem Deal, dass zwei von ihnen wichtige Posten erhalten, falls einer Präsident wird.
Haddad-Adel kann nicht nur auf Unterstützung von Khamenei hoffen. Er hat sich mit Ahmad Jannati, dem Vorsitzenden des Wächterrats, mit Mohammed Reza Mahdavi Kani, dem Vorsitzenden des Expertenrates, und sogar mit Asgar Oladi, dem Vorsitzenden der »Front der Anhänger der Linie des Imam und des Führers«, abgesprochen. Sie wollen ihn unterstützen. Doch auch die Chancen von Ali Akbar Velayati sind nicht zu unterschätzen. Er hielt sich aus den Konflikten zwischen Ahmadinejad und Rafsanjani sowie Ahmadinejad und Ali Larijani heraus. Diese Haltung stärkte seine Position in allen Lagern. Und Mohammed Bagher Ghalibaf zählt zu den Politikern, die einen sehr großen medialen Einfluss haben. Die meistgelesene Zeitung in Teheran, Hamschahri, steht ihm sehr nahe. Diese Zeitung greift regelmäßig den größten Rivalen Qalibafs an: den Präsidenten Ahmadinejad.
Auch Ahmadinejads Vorgänger im Präsidentenamt, Mohammed Khatami, könnte sich als Kandidat ins Gespräch bringen. Um Erfolg zu haben, müsste er sich aber vollständig von der Protestbewegung gegen Ahmadinejad distanzieren und vor Unruhen warnen.
Tatsächlich handelt es sich bei allen genannten Gruppierungen um islamistische Fraktionen, die zusammen nur einen kleinen Teil der iranischen Gesellschaft repräsentieren und hauptsächlich die verschiedenen Kräfte innerhalb des islamistischen Establishments repräsentieren. Die iranische Gesellschaft umfasst jedoch auch eine Vielfalt verschiedener linker säkularer Organisationen, säkularer bürgerlich-nationalistischer und republikanischer Kräfte sowie Anhänger einer parlamentarischen Monarchie nach spanischem oder schwedischem Modell. Sie alle werden bei der bevorstehenden Wahl keine Rolle spielen. Mit einer Wahl im demokratischen Sinne hat die am 14. Juni geplante Abstimmung nichts zu tun.