07.03.2013
Massenproteste und Regierungskrise in Slowenien

Alle werden fertiggemacht

In Slowenien gibt es seit Monaten Massenproteste gegen die politische Korruption. Vorige Woche ist der Ministerpräsident nach einem Misstrauensvotum zurückgetreten. Doch die Proteste gehen weiter.

Das hätte er sich wohl nicht einmal in seinen wildesten Träumen vorstellen können: Vor 25 Jahren noch war Janez Janša ein in Slowenien inhaftierter Journalist, ein paar Jahre später dann Held der Unabhängigkeitsbewegung des Landes und im Februar 2012 wurde er – nach einer ersten Amtszeit ab 2004 – als Vorsitzender der rechtskonservativen Demokratischen Partei (SDS) sogar zum zweiten Mal Ministerpräsident. Nur ein Jahr später ist es damit schon wieder vorbei. Am Mittwoch vergangener Woche trat er nach einem Misstrauensvotum gegen ihn zurück. Das Vertrauen des Parlaments verlor Janša, nachdem in einem am 8. Januar veröffentlichten Bericht der staatlichen Anti-Korruptions-Kommission Vorwürfe gegen ihn erhoben worden waren: Einkünfte von 210 000 Euro soll er nicht ausreichend deklariert haben. Nach Bekanntwerden der Korruptionsvorwürfe hatten sich auch drei seiner Koalitionspartner, die marktliberale Bürgerliste (DL), die Rentnerpartei (Desus) und die konservative Slowenische Volkspartei (SLS), von der Minderheitsregierung verabschiedet. Die DL und die Desus beteiligten sich daraufhin am Misstrauensantrag der Opposition.

Das Misstrauensvotum brachte die Regierung letztlich zu Fall, doch bereits seit vier Monaten ist das politische und ökonomische Establishment Sloweniens mit Massenprotesten konfrontiert. Am 9. März ist es wieder so weit: Der »4. Gesamt-Slowenischen Aufstand« steht an – der nächste in einer Reihe von Massenprotesten. Am letzten, dem »3. Aufstand« am 8. Februar, einer der größten Demonstrationen in der slowenischen Geschichte, beteiligten sich 25 000 Menschen allein in Ljubljana. Die vermeintlich passive Bevölkerung hat die Dinge in ihre eigene Hand genommen. Die Proteste weiteten sich seit November vergangenen Jahres von Maribor über ganz Slowenien aus, ohne dass einer der etablierten Politiker den »Aufstand« entscheidend unterstützt hätte. Janšas Regierung versuchte sogar, die Proteste zu kriminalisieren, und nannte sie »linken Faschismus«.
Der Auslöser für die Aufstände war die Stationierung einer Radaranlage in der Stadt Maribor, mit 100 000 Einwohnern die zweitgrößte Sloweniens. In einer Public-Private-Partnership sollten die Gewinne der Radaranlage zu 90 Prozent den privaten Investoren zugutekommen. Federführend für dieses Geschäft war der inzwischen abgesetzte Bürgermeister, Franc Kangler (ehemals SLS), gegen den zwölf Strafanzeigen wegen Korruption aus seiner ersten und zweiten Amtszeit vorliegen. Der zunächst lokale »Gotof je!«-Aufstand (»Der ist fertig!« oder »Es reicht!«), der vor allem über Facebook organisiert wurde, erregte überregionales Aufsehen, nachdem die Polizei am 30. November ungewohnt brutal gegen die Demonstrierenden vorgegangen war. Die Proteste wurden daraufhin landesweit unterstützt. Im Dezember gab es bereits Proteste gegen die lokale und nationale politische Führung in 19 Städten in ganz Slowenien. Kangler wurde zum Rücktritt gezwungen, auch durch starken Druck seiner Politikerkollegen. Unterdessen kämpfen die Menschen weiterhin für den Rücktritt der gesamten Gemeinderegierung in Maribor, aber auch anderswo. Der Sturz der Regierung, der nach dem Misstrauensvotum zunächst erreicht scheint, wurde ebenso gefordert wie ein grundlegender Systemwandel. Obwohl sich einige Organisationen, wie der dem kulturellen Widerstand zugerechnete slowenische Pen-Club und das Kulturkomitee Koks, an der neuen Übergangsregierung beteiligen wollen, gehen die Proteste weiter. Das bekräftigte auch eine der größten an den Aufständen beteiligten Initiativen, »Aktivni državljan« (Aktive Bürger), in einer nach dem Rücktritt Janšas veröffentlichten Stellungnahme. Die ganze politische Klasse müsse gestürzt werden, kleine Änderungen auf der Führungsebene genügten nicht.
Die Beweggründe der Menschen für ihren Protest sind vielfältig und in den vergangenen Jahren noch zahlreicher geworden, in gewisser Weise zerstörten die Proteste den Mythos vom »erfolgreichen postsozialistischen Übergang zu Marktwirtschaft und Demokratie«. Viele derjenigen, die Ende der achtziger Jahre für Unabhängigkeit und Demokratie im zusammenbrechenden Jugoslawien demonstriert hatten, fanden sich bei den späteren slowenischen Aufständen wieder. Sowohl die inzwischen gestürzte Mitte-Rechts-Koalition als auch die vorherige Mitte-Links-Regierung unter Borut Pahor betrieben eine strenge Sparpolitik, die weder wirtschaftliches Wachstum noch neue Jobs brachte. Die Sozialausgaben wurden drastisch gekürzt, die Arbeitslosenrate beträgt 13 Prozent, Staatsunternehmen wurden privatisiert, es kam zu Massenentlassungen. Janšas Regierung setzte außerdem gegen großen Widerstand der Opposition die Gründung einer bad bank durch, die die slowenischen Banken entlasten sollte, die wegen ihrer umstrittenen Kreditvergabepraxis in die Krise geraten waren. Slowenien befindet sich in einer Wirtschaftskrise, es steht unter Druck, sein Haushaltsdefizit den EU-Vorgaben gemäß zu reduzieren, und es wird damit gerechnet, dass es auch bald Finanzhilfen der EU in Anspruch nehmen muss. Die wirtschaftlichen Probleme müssen vor dem Hintergrund der Sparpolitik der EU gesehen werden. Es waren aber nicht nur der Abbau des Sozialstaats und die schlechte Konjunktur, derentwegen die Menschen aufbegehrten, ihr Protest richtete sich vor allem gegen die korrupte Führungsschicht und ihre Straffreiheit.

Denn nicht nur gegen Janša gibt es Korruptionsvorwürfe, sondern auch gegen den einstigen Oppositionsführer der linksliberalen Partei Positives Slowenien (PS) und Bürgermeister Ljubljanas, Zoran Janković, der die PS kurz vor den Wahlen 2011 gegründet hatte. Er unterstützte zwar zunächst die Protestierenden und fieberte mit ihnen von seinem Sofa aus vor dem Fernseher mit, doch die Proteste galten auch ihm als Teil der korrupten Führungsschicht. Nach den Vorwürfen der Anti-Korruptions-Kommission gab er Mitte Januar den Parteivorsitz zunächst vorübergehend an Alenka Bratušek ab, sein Rücktritt erfolgte aber unter der Bedingung, dass sie zur Ministerpräsidentin gewählt werde. Die Abgeordnete der PS und ehemalige Mitarbeiterin des ­Finanzministeriums wurde nun Janšas Nachfolgerin und soll binnen zwei Wochen eine neue Koalitionsregierung bilden. Daran scheiterte die PS, die eigentlich die jüngsten Wahlen gewann, bereits voriges Jahr, weshalb dann die nur auf dem zweiten Platz gelandete SDS die Regierungsbildung übernahm. Als Bürgermeister trat Janković nicht zurück.
Der Massenaufstand in Slowenien wurde zu einem demokratischen Aufbruch. Vor allem nach der Veröffentlichung des Korruptionsberichts nahm er eine deutlichere politische Gestalt an: Es geht um Alternativen zu den liberal-demokratischen Institutionen. Was noch vor einigen Monaten unmöglich schien, rückte nun ins Zentrum der öffentlichen Diskussion politischer Organisationen und Foren, aber auch der Massenmedien. Kritik an der Krisenpolitik und am Establishment wurde für alle ein Thema, nicht nur für die gebildete Elite. Junge und Alte, Arbeiter und Studierende, Queers, prekär Beschäftige, Umweltschützer, Anarchisten und Sozialisten verlangen alle einen tiefgehenden sozialen Wandel.
Was für die politische Reife der Aufstände spricht, ist die Intensität und die Vielfalt der Forderungen: von einer moralischen Kritik an korrupten Politikern über reformistische und graduelle Änderungen zu einem revolutionären Umsturz, von der Stärkung des Rechtsstaats zu Initiativen für direkte Demokratie oder demokratischen Sozialismus. In dieser politischen Situation ist es wichtig zu sehen, dass der slowenische Aufstand nur einer im Mosaik der Kämpfe an der Peripherie der EU ist. Die sozialen Proteste in Bulgarien, Griechenland, Spanien, Portugal, Italien – all diese Kämpfe beleuchten die Ungleichheiten innerhalb der EU. Doch dürfen die Kämpfe in der Peripherie nicht isoliert bleiben, die Forderungen sollten an das Zentrum gerichtet werden: Wie kann man die europäischen Institutionen demokratisieren und das Kapital regulieren, das in Europa frei flottiert? Wie können die sozioökonomischen Beziehungen zwischen Nord und Süd gerechter gestaltet werden? Offensichtlich ist das keine Frage, die nur die Aufstände an der Peripherie beantworten müssen, sondern eine zentrale Frage für alle, die das Projekt eines gemeinsamen Europa weiterführen wollen.

Aus dem Englischen von Nicole Tomasek