Muffins und Pappschachteln

Am Sonntagnachmittag war ich zu Kaffee und Kuchen eingeladen in der Berliner Singlezentrale. Also nicht da, wo einsame Menschen sich treffen, sondern da, wo Vinylsingles entstehen. Roland Schulz betreibt Squoodge Records, das in Berlin wohl wichtigste Singlelabel. Natürlich musste ich als Singlefan ihn irgendwann mal dort besuchen.
Musikalisch dreht sich die Squoodge-Welt hauptsächlich um verschiedene Rock’n’Roll-Spielarten wie Garage Rock, Punk und Rocka­billy und Kultmusiker wie Billy Childish und Lightning Beat-Man. Besonders fördert Roland das Genre der One-Man-Bands, Musiker wie Bloodshot Bill und Dead Elvis, die gleichzeitig singen, Gitarre spielen und sich dabei am Schlagzeug begleiten.
Wirklich herausragend allerdings sind am Squoodge-Label, neben den schönen Songs, die völlig abgedrehten Tonträgerobjekte, die Roland sich ausdenkt. Er hat damit das Plattenveröffentlichen selbst zu einem Kunstwerk gemacht. Sonderauflagen in verschiedenen Vinylfarben und Größen sind ja im Punk seit den siebziger Jahren üblich – darin drückte sich schon immer die Liebhaberei echter Punkfans aus. In dieser Tradition stehend, spielt Squoodge virtuos auf der Klaviatur der DIY-Stilistiken. Roland siebdruckt die Cover oder lässt sie professionell in der Druckerei im Hinterhof herstellen, klebt in Handarbeit die Umschläge zusammen, stempelt die Inner Sleeves und legt dann die Singles in der jeweiligen Vinylfarbe oder Form bei.
Aber nicht nur die Miniauf­lagen machen Squoodge besonders, die gibt es schließlich auch im DIY-Hardcore-Bereich. Da ist es manchmal richtig absurd, wenn eine Band, die sich musikalisch mit radikaler Kapitalismuskritik und Menschenhass beschäftigt, mit ihrem einem Kunstwerk ähnlichen Tonträger ganz solide Wertschöpfung betreibt.
Während ich in Rolands Mansardenwohnung in Mitte Muffins mampfte, die seine Freundin gebacken hatte, präsentierte er mir einige der seltsameren Squoodge-Produkte: ein Single/DVD-Hybrid im 5-Inch-Format – eine eigene Erfindung von Roland, die eine größere Platten­firma ihm regelrecht stahl und dann als Patent anmeldete; eine im Stil einer Videokassette gestaltete Pappschachtel, in der sich eine rechteckige Vinylscheibe befindet – mit zwei Löchern und zwei sich überschneidenden, jeweils abspielbaren Rillen und »Die kleinste Platte der Welt« – eine 2-Inch. Die Squoodge-Box mit den zwei Singles von Die Tödliche Doris hatte ich schon, da überreicht mir Roland ein brandneues Produkt in einer gesiebdruckten Pappschachtel. Das von Wolfgang Müller, ehemals Die Tödliche Doris, initiierte Projekt »Panning Fanning« beinhaltet zwei Singles, die auf zwei Plattenspielern gleichzeitig abgespielt werden müssen. Das Konzept stammt von der gehörlosen New Yorker Künstlerin Christine Sun Kim, die damit versucht, ihre Wahrnehmung von Musik wiederzugeben. Ein total irres Ding. Ich liebe Singles! Hatte ich das schon erwähnt?