Das neue Album von Jace Clayton alias DJ /rupture

Unbekannte Meister

Jace Clayton alias DJ /rupture verneigt sich auf seinem neuen Album vor dem afroamerikanischen Avantgarde-Komponisten und Pianisten Julius Eastman.

Schon immer war die Performance von Jace Clayton alias DJ /rupture unkonventionell und verweigerte sich der abendfüllenden Serviceleistung für ein ignorantes Wochenendpublikum. Auch wenn jeder gute DJ von sich behauptet, ein Digger, also ein Spezialist im Finden von rarer und origineller Musik zu sein, hat das DJing von Clayton genau diese besondere Qualität. Mit Gefühl für das Verhältnis von Sound und Geschichte mischt er nicht nur erfrischend groovige Sounds, die jenseits von strikten Genrekonventionen funktionieren, sondern erarbeitet, wie es einmal Mark ­Pytlik von der Website »Pitchfork Media« genannt hat, »einen alternativen Kanon«, der sich respektvoll vor großen, aber unbekannteren Meistern der Musik verneigt. Seine virtuosen Mixes, die den Hörern ein Gefühl dafür vermitteln, was das Wesen von Rap-Musik ausmacht, wenn er sie mit diversen Stilen aus der Musikgeschichte fusioniert, gehören mit zum Besten, was die afroamerikanische DJ-Kultur hervorgebracht hat.
Ursprünglich aus New York, aber seit langem in der Bostoner Szene aktiv, begann Clayton seine Laufbahn als Musiker in den neunziger Jahren als Teil des Drum & Bass-Kollektivs Toneburst. Meistens mit drei, anstatt der obligatorischen zwei, Plattenspielern ausgestattet, erweitert er die Kunst des Auflegens um eine weitere Dimension, wenn er zum Beispiel Vocals, Beats und Drones ineinander mischt, als würde er live ein Remix herstellen. Nachdem sein zweites Mixtape »Minesweeper Suite« (2002) vom englischen Musikfachmagazin Wire als eines der zehn besten Alben des Jahres bezeichnet wurde, war sein experimenteller Sound nicht nur in den besten Clubs und auf den wichtigsten Festivals der Welt zu hören, sondern zunehmend auch an den für die Bildenden Künste reservierten Orten wie dem Whitney Museum oder dem Museum of Modern Art in New York. Mit der Gründung des Labels Soot Records wie auch der Band Nettle erweiterte der bisher als Solist arbeitende Künstler erneut sein Spektrum.
Während heute jeder DJ oder Laptop-Musiker, der schon mal in einer Galerie aufgelegt hat, zum »interdisziplinären Künstler« erklärt wird, ist der Begriff im Fall von Clayton bzw. DJ /rupture durchaus treffend. Ob er mit postkolonialen Stücken aus Südamerika oder schräger Avantgarde-Musik arbeitet, um sie mit zeitgenössischem Groove zu verbinden, seine Mixes schaffen es, vielfältige Ebenen von Hörerfahrung mit subtilen politischen oder musikhistorischen Statements zu verbinden.
Konzeptuelle Arbeiten wie »Sunset Park Rent Strike Mix« (2012) verbinden beispielsweise das DJ-Set einer Blockparty mit dem Lokalpolitischen, wenn Kumbia-Tracks und Latino-HipHop als Teil einer Demo gegen hohe Mieten und Vertreibung aus dem primär von mexikanischen Migranten bewohnten Viertel verbunden werden. Während der angenehm schaukelnde Groove im Hintergrund läuft, hört man Stimmen der dortigen Anwohner, die über ihre Wohnsituation berichten. Auch »Harlem is Nowhere« (2011) verweist auf seine einzigartigen Fähigkeiten, das Genre des Mixtapes in eine höhere Kunstform mit ausdifferenzierter Dramaturgie zu überführen. In Zusammenarbeit mit der Autorin Sharifa Rhodes-Pitts, die in ihrem gleichnamigen Roman den Alltag des Viertels als Spiegel afroamerikanischer Geschichte zwischen Ghetto-Frustration, Erinnerungen an die Sklaverei, Polizeigewalt und Arbeitslosigkeit beschreibt, entwickelt er einen Soundtrack aus Rap, Folk, Soul und Gospel, um die vielfältige afro-amerikanische Geschichte zwischen Text und Sound historisch zu reflektieren.
Seine neue Platte, eine Hommage an den eher unbekannten, queeren, afroamerikanischen Pianisten Julius Eastman, geht einen Schritt weiter. Clayton widmet Eastman ein Album und interpretiert bekannte Arbeiten von ihm neu. Der Titel des Albums »The Julius Eastman Memory Depot« macht deutlich, dass dieser Musiker dem Vergessen entrissen werden soll.
Eastman, der 1990 im Alter von 49 Jahren unter ungeklärten Umständen zu Tode kam, gilt als einer der ersten Musiker, die die Grenzen zwischen »E«- und »U«-Musik, Pop und Avantgarde aus einer afroamerikanischen Perspektive zu überwinden vermochten. Neben seinen Kompositionen und seinem Gesang war es insbesondere sein repetitiver Piano-Stil, der etwa auf dem Album »Stay On It« vom Minimalismus inspirierte Melodien mit der konzeptuellen Tiefe des Improvisierten verband. Eastmans Werk gehört noch immer zum unterrepräsentierten Teil einer weiterhin primär durch weiße Musiker erzählten Geschichte der Avantgarde. Doch Eastmans Sound intervenierte nicht nur akustisch, sondern auch politisch in den Mainstream der Moderne: »Evil Nigger« und »Gay Guerilla« (1979) boten nicht nur brillante Musik, sondern verwiesen durch ihre Titel provokant auf seine eigene Zugehörigkeit zu verschiedenen Minderheiten. »Gay Guerilla« bezieht sich dabei auf Martin Luthers Kirchenlied »Ein feste Burg ist unser Gott«, dessen Botschaft Eastman dekonstruiert und zum schwulen Manifest umdefiniert.
Die beiden Stücke, die auch das Herzstück von Claytons Album sind und die von Pianisten wie David Friend und Emily Manzo interpretiert werden, verdichten sich zu einem sich aus diffizilen Echos und akustisch konzentrierten Überblendungen ausbreitendem Laptop-Mix. Man hat das Gefühl, sich in einem Labyrinth aus Sound zu verlieren und von einer ganzen Reihe von Klavieren umgeben zu sein, deren Spiel sich mal melancholisch und diffizil, mal dramatisch und wütend seinen Weg durch den Gehörgang bahnt. Damit aktualisiert er Eastmans Methode, jeden gespielten Ton loop­artig zu verdoppeln und gleichzeitig durch jede hinzukommende Intonation ein resonanzhaftes Spiel aus Differenz und Wiederholung zu entwickeln. Eastman hätte sich bestimmt gefreut, dass seine Kompositionen in derartig ausgetüftelter Sound-Qualität erklingen.
Mit diesem subtilen, aber gleichwohl beeindruckenden Album erinnert Clayton an einen außergewöhnlichen Musiker, der zu seiner Lebzeit nie genug Anerkennung erfuhr. In den letzten Jahren seines Lebens fand er sich zwischen Arbeitslosigkeit und Prekarität, Alkoholismus und Drogensucht wieder. Die musikalisch bewegende Erinnerungsgeste von Jace Clayton erschöpft sich also nicht in diesem gelungenen Album, sondern lädt auch dazu ein, dem komplexen Werk von Julius Eastman die Aufmerksamkeit zu schenken, die es verdient hat.

Jace Clayton: The Julius Eastman Memory Depot. New Amsterdam