Die honduranischen Band Zona Urbana

»Hier herrscht Krieg gegen die Bauern«

»Zona Urbana« steht auf Straßenschildern in ländlichen Gegenden Mittelamerikas, um eine nahe Siedlung anzukündigen. So nennt sich auch eine Reggaeton-Band aus Honduras. Die jungen Bandmitglieder kommen nicht aus dem städtischen Milieu, sondern aus Bauernfamilien, die in der Region Bajo Aguán um Land kämpfen. Dort spielt sich momentan der wohl blutigste Landkonflikt Mittelamerikas ab. In ihren Songtexten nehmen Zona Urbana Putschisten, Besitzer von Palmölplantagen und paramilitärische Gruppen aufs Korn. Die Musiker Wilmer Humberto, Edgar Aguilar und Harry Ornay sprachen mit der Jungle World über Militarisierung und Landgrabbing im Norden von Honduras.

Eine Reggaeton-Band vom Land – das findet man selten. Wie habt ihr begonnen, Musik zu machen?
Ornay: Wir waren sehr jung, als wir Zona Urbana gründeten. Ich war zehn Jahre alt, der Jüngste von uns fünf. Wir haben begonnen, Beats zu mixen und Texte zu rappen. Unpolitische Sachen, die uns Spaß gemacht haben. Wir sind bei Dorffesten und Schulfeierlichkeiten aufgetreten. Heute spielen wir vor größerem Publikum. Wenn wir nicht auf der Bühne stehen, helfen wir unseren Eltern, das Land zu bestellen, Bohnen und Mais zu säen und zu ernten. Nebenbei versuchen wir, weiter zur Schule zu gehen.
Die Mehrheit der Bevölkerung Mittelamerikas lebt auf dem Land. Was bedeutet es, in Honduras als Kind von Bauern aufzuwachsen?
Humberto: Das bedeutet, auf dem Feld in der Sonne zu schuften, Wolkenbrüche auszuhalten, im Morgengrauen die Kälte und zu Hause meistens Hunger. Seit dem Putsch vor ein paar Jahren bedeutet es aber auch, verprügelt und verfolgt und im Fernsehen zum Staatsfeind Nummer eins erklärt zu werden. Als ich zwölf Jahre alt war, fing der Kampf der Bauern um ihr Land an. Die Mitglieder der Bauerngewerkschaften haben friedlichen Widerstand geleistet, damit sie nicht vertrieben werden und sie ihren Familien eine Überlebenschance und eine bessere Zukunft geben können. Aber die Großgrundbesitzer sind unerbittlich. Das alles hat uns sehr geprägt und deshalb rappen wir über die Bauernbewegung und den Landkampf.
Wer sind eure Fans? Wer hört eure Musik?
Aguilar: Früher hatten wir nur jugendliche Fans, doch heute bekommen wir auch von den älteren Generationen in Bajo Aguán viel Unterstützung. Schließlich drücken wir aus, was alle Menschen hier in der Region täglich erleben. Denn als vor drei Jahren die Verhandlungen über das Land abgebrochen wurden und das Militär einmarschierte, war für uns klar, dass wir politische Texte haben müssen. Wir begannen, über das zu berichten, was um uns herum geschieht. Auch wenn wir unserem Stil, dem Reggaeton, treu geblieben sind. Das sind urbane Beats, die uns ansprechen. Keine Gitarrenmusik mit Gesang, wie sie sonst meist auf den Dörfern zu hören ist.
Die Musik ist also nicht nur ein künstlerisches Ausdrucksmittel für euch, sondern auch ein Medium für politische Botschaften.
Humberto: Wenn die Bauerngewerkschaften zu Demonstrationen in die Hauptstadt ziehen, dann hören ihnen viele Leute nicht zu, denn die Gesellschaft ist seit dem Putsch von 2009 stark polarisiert. Wenn wir Musik machen, ist das anders. Durch die Musik können wir erzählen, was hier passiert. Wir geben eine Chronik des Landkonflikts, stellen die blutige Realität dar.
Aguilar: Mit unseren Texten erreichen die Berichte über die Gewalt gegen unsere Gemeinden ein breiteres Publikum. Denn hier herrscht ein Krieg gegen die Bauern. Fast 100 Menschen wurden in den letzten Jahren umgebracht. Alles, wovon wir singen, haben die Familien vor Ort erlitten.
Die Bandmitglieder von Zona Urbana kommen alle aus Guadalupe Carney. Am 15. November 2010 begingen paramilitärische Gruppen dort ein Massaker. Wie habt ihr diesen Tag erlebt?
Ornay: Das Massaker von El Tumbador war ein Schock für die ganze Gemeinde und ein großer Verlust für die Familien der Toten. Sie starben unter den Schüssen der »Blauen«, der Söldner, die für den Großgrundbesitzer Miguel Facussé mordeten. Wir erinnern in unseren Songs an sie.
Humberto: Dieser Tag hat uns in einem gewissen Sinne auch darin bestärkt, weiterzumachen, damit ihre Namen nicht in Vergessenheit geraten. Überlebende des Massakers haben erzählt, dass die Söldner an jenem Tag direkt das Feuer auf sie eröffneten. Bis heute gibt es keine ernsthaften Ermittlungen der Polizei gegen Facussés Männer, geschweige denn Festnahmen. Obwohl er die Taten seiner Untergebenen sogar freimütig eingestanden hat. Er rechtfertigt die Schüsse aber damit, dass unsere Leute auf seine Finca El Tumbador eingedrungen seien.
In den honduranischen Medien heißt es, die Bauerngewerkschaften besetzten die Plantagen der Agrarunternehmer. Die Bauernfamilien sagen hingegen, die Großgrundbesitzer seien »Großgrundbesetzer«. Wem gehört eigentlich das Land im Aguántal?
Aguilar: In den siebziger Jahren wurde Staatsland an Bauernfamilien vergeben und diese wurden in Kooperativen organisiert. Es war eine Maßnahme gegen die Armut. In den neunziger Jahren wurden unsere Eltern aber mit der Pistole im Rücken gezwungen, Anbauflächen und Betriebe zurück an die Regierung zu verkaufen. Sie wurden bedroht und über den Tisch gezogen. Der Staat war nun darauf bedacht, Geschäfte auf dem Weltmarkt zu machen.
Ornay: Die Großgrundbesitzer Miguel Facussé, René Morales und Reinaldo Canales setzten sich ins gemachte Nest und erwarben die mühsam urbar gemachten und mit Ölpalmen und Zitrusfrüchten bepflanzten Ländereien zu Spottpreisen. Unsere Eltern wurden vertrieben. Sie organisierten sich in der Kleinbauernbewegung des Aguán (MCA). Heute fordern diese und andere Bauerngewerkschaften das Land zurück. Sie fordern, dass Miguel Facussé die Ländereien verlässt, die er sich angeeignet hat. Ohne ihn würden wir hier nicht im Krieg leben.
Miguel Facussé hat in der Vergangenheit für seine Palmölplantagen und Biodieselanlagen international Kredite bekommen, so von der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG). Ein Weltbankkredit steht aus. Habt ihr ihn schon einmal im Aguántal gesehen?
Ornay: Nein. Er ist ein alter Herr mit grauen Haaren, der zwischen seinen Villen im ganzen Land mit dem Hubschrauber umherfliegt. Der größte Investor von Honduras, ein Millionär, der Banken und Unternehmensgruppen besitzt. Man sagt, er habe den Putsch finanziell getragen. Denn die Verhandlungen um Land, die der ehemalige Präsident Manuel Zelaya vorantrieb, nagten an seiner Macht. Hier lässt er sich nicht blicken, er hat seine Untergebenen, die Fincas und Anlagen beaufsichtigen – und seine Privatarmee.
Humberto: Facussé ist ein körperloses Gespenst für uns, aber seine Befehle treffen uns mit voller Härte. Er bezahlt Söldner, damit wir sterben. Diese lässt er von paramilitärischen Gruppen aus Kolumbien trainieren. Nach Kolumbien hat er gute Beziehungen, denn auf seinen Plantagen landen auch die Flugzeuge der Narcos.
In euren Songs geht es auch um die militärische Besetzung des Aguántals. Die Regierung von Porfirio Lobo, die auf den Putsch folgte, sandte Truppenverbände gegen Bauernfamilien aus. Wer stellt die größere Bedrohung dar: Söldner oder Soldaten?
Humberto: Sie arbeiten Hand in Hand. Die Söldner morden, die Soldaten führen Vertreibungen durch. Dabei werden Häuser und Felder niedergebrannt, Frauen vergewaltigt, Menschen verschleppt und gefoltert. Unsere Gemeinde Guadalupe Carney wurde zu Anfang der Militärbesatzung tagelang belagert. Soldaten drohten, das kommunale Radio Orquidia zu beschlagnahmen. Sie errichteten einen Kontrollposten im Dorf.
Aguilar: Heute ist es ruhiger, denn wir haben gegenüber anderen Gemeinden den Vorteil, dass wir für das Land, auf dem unsere Siedlung steht, Papiere haben. Unsere Eltern errichteten sie auf der CREM, einer ehemaligen militärischen Ausbildungsstätte der Contras, die in den achtziger Jahren gegen die Sandinisten in Nicaragua kämpften. Als die Contras gingen, haben unsere Eltern angefangen, Hütten aus Holz und Planen zu errichten und auf kleinen Parzellen das Nötigste anzupflanzen, das wir zum Essen brauchten. Heute ist Guadalupe Carney ein Zufluchtsort für viele Flüchtlinge aus anderen Dörfern der Region.
In Bajo Aguán wurden sogar aus dem Irak zurückkehrende honduranische Truppenverbände stationiert.
Humberto: In den Medien werden die Bauerngewerkschaften im Aguántal als Guerilla dargestellt, das rechtfertigt jede Repression vor Ort. Die Operation Xatruch, die im Irak gegen maßgebliche Terroristen begonnen wurde, wurde hier einfach weitergeführt. Heute erleben wir bereits die Operation Xatruch III. Nur dass wir jetzt die Terroristen sind. Bauernaktivisten werden entführt und bedroht, ebenso kritische Journalisten und Journalistinnen.
Aguilar: Es gibt Dutzende ausstehende Haftbefehle gegen Angehörige der Bauerngewerkschaften. Das bedeutet eine enorme Unsicherheit für die Betroffenen. Sie müssen sich in ihrer eigenen Gemeinde verstecken. Jede Landfahrt ist ein Risiko, umso mehr, wenn sie an einer Aktion oder Demonstration teilnehmen. Ein Angehöriger der MCA aus unserem Dorf, Isabel »Chavelo« Morales, sitzt seit vier Jahren unter falschen Anschuldigungen im Gefängnis. Er wurde nie eines Verbrechens für schuldig befunden, aber auch nie wieder freigelassen. Das kann uns im Grunde genommen allen drohen.
Wie stellt ihr euch ein Aguántal vor, in dem ihr leben wollt?
Ornay: Ohne Truppenverbände, in Frieden. Mit der Freiheit, dass man von einer Gemeinde zur anderen fahren kann, ohne von Militärkontrollen schikaniert zu werden. Und dass die Menschen nachts ruhig schlafen können, ohne Angst zu haben, dass die Soldaten ins Dorf kommen.
Aguilar: Zum Angeln an den Fluss gehen zu können, ohne die Kugeln der Söldner fürchten zu müssen, das wünsche ich mir.
Humberto: Und dass niemand anzweifelt, dass das Land hier den Bauernfamilien gehört. Damit diese den Gewinn der von ihnen kollektiv angebauten Produkte erhalten und Wege aus der Armut finden. Es gibt so viele Leute, die hier, in einer der fruchtbarsten Regionen von ganz Honduras, nicht einmal einen Teller Bohnen zum Essen haben. Das ist eine große Ungerechtigkeit.