Der Paragraph 129a im NSU-Prozess

Starker Staat, schwer gefährdet

Der Paragraph 129a diente in den achtziger Jahren als Ermittlungsinstrument und gleichzeitig zur Kriminalisierung des gesamten RAF-Umfeldes. Auch im Zusammenhang mit den Morden des NSU spielt er eine Rolle.

Der Paragraph 129a des Strafgesetzbuches, der Ende der siebziger Jahre zur besseren Verfolgung der RAF und vor allem ihrer Sympathisantenschar eingeführte wurde, kommt auch allmählich in die Jahre. Dass es seine besten werden, ist nicht zu erwarten – gerade mit Blick auf das anstehende Verfahren gegen den NSU vor dem Oberlandesgericht München. Konnte in den Jugendjahren der Staatsschutzvorschrift schon eine schlichte, wenig kunstvolle Sprüherei wie »Zusammenlegung aller Gefangenen aus der RAF jetzt!« mittlere Polizeistaatsaktionen wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung auslösen und vorzugsweise PLO-Tücher tragende Antiimperialisten für einige Zeit in den Knast bringen, muss sich der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof (BGH) mittlerweile von dessen 3. Strafsenat in die Schranken weisen lassen: »Zu Ende gedacht würde die Auffassung des Ermittlungsrichters im Übrigen dazu führen, dass jede gegenüber Mitgliedern einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung geäußerte Bekundung von Sympathie für ihre Ziele oder Taten objektiv – ohne dass weiteres hinzukommen müsste – als Beihilfe zu den danach aus der Vereinigung heraus begangenen Straftaten zu werten wäre; dies wäre indes rechtlich nicht haltbar.« Der Haftbefehl gegen Holger G., der Mitglied der »Kameradschaft Jena« war und der Unterstützung des NSU beschuldigt ist, wurde aufgehoben. Dass er mittlerweile im Zeugenschutzprogramm des BKA ist und auch als Angeklagter vor dem Oberlandesgericht München auftreten muss, ist mehr als eine Fußnote in diesem staatsschutzlastigen Verfahren.
Ob eine strenge Auslegung des Paragraphen 129a StGB auch beim Einsatz gegen linksradikale Beschuldigte zum Tragen kommen würde, kann schwer prognostiziert werden – tatsächlich spielt der Paragraph in Ermangelung verfolgbarer Vereinigungen derzeit keine nennenswerte Rolle mehr. Erinnert sei allerdings an die ebenfalls vom 3. Strafsenat des BGH vorgenommene Herabstufung der »Militanten Gruppe«, die der Generalbundesanwalt noch voller Eifer als »terroristische Vereinigung« verfolgt hatte, zu einer »kriminellen Vereinigung« – mit dem Ergebnis, dass der Haftbefehl eines inhaftierten Beschuldigten außer Vollzug gesetzt wurde. Es dauerte drei Jahre, bis der BGH mehr als 30 Beschlüsse des Ermittlungsrichters, die die Überwachung von Tausenden von Telefonaten und E-Mails über fünf Jahre hinweg legalisiert hatten, für rechtswidrig erklärte – ein Beispiel dafür, dass der §129a StGB tatsächlich vor allem als Ausforschungs- und Ermittlungsparagraph diente.

Im Verfahren gegen den NSU lagen den Ermittlungsbehörden Ausforschung und Ermittlung der Zusammenhänge bekanntlich weniger am Herzen. Der §129a StGB erweist sich hier als Vorschrift, die es im Prozess erlauben wird, die Akzente der Beweisführung anders zu setzen. Statt der individuellen Beiträge zu konkreten Taten rückt die Frage in den Mittelpunkt, ob denn tatsächlich eine Vereinigung existiert habe, die aus mindestens drei Mitgliedern bestehen muss. Wird das bejaht, kann die Beweisführung sich im Weiteren mit diffuseren Erkenntnissen begnügen, denn zur Verurteilung reichen dann schon recht vage Beweise für »gemeinsame Taten, die (…) in einer aufeinander abgestimmten Arbeitsteilung verübt« worden sind. In den Verfahren gegen RAF-Mitglieder in den achtziger Jahren wurden die Taten, etwa die Ermordung des Generalbundesanwaltes Kurt Buback, so kursorisch aufgeklärt, dass fast 30 Jahre danach problemlos das Verfahren gegen eine angebliche Todesschützin noch einmal in Gänze, wenn auch ohne Ergebnis, aufgerollt werden konnte.
Im Verfahren gegen Beate Zschäpe ist die Aufklärung konkreter Fakten und Zusammenhänge noch weniger zu erwarten. Die Pressemitteilung der Bundesanwaltschaft über die Ergebnisse ihrer Ermittlungen liest sich daher wenig spektakulär, denn das einzige noch lebende Mitglied der nach einem Gesamtplan vorgehenden Vereinigung soll demnach in erster Linie den Tatbeitrag geleistet haben, »Normalität« zu simulieren. Darin ist zu lesen: »Die Angeschuldigte ­Zschäpe hatte hingegen die unverzichtbare Aufgabe, dem Dasein der terroristischen Vereinigung den Anschein von Normalität und Legalität zu geben. Dazu gehörte es, ihren Nachbarn und Bekannten die mit der Ausspähung möglicher Anschlagsziele und der Begehung der Taten verbundene häufige Abwesenheit von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos unverfänglich zu erklären. Sie war außerdem dafür verantwortlich, an ihren jeweiligen Wohnorten eine unauffällige Fassade zu pflegen, um die Funktion der gemeinsamen Wohnung als Rückzugsort und Aktionszentrale der terroristischen Vereinigung zu sichern.« Dass Zschäpe auch zur Last gelegt wird, Zeitungsartikel archiviert und Wohnmobile gemietet zu haben – von denen eines Tatfahrzeug gewesen sein soll –, macht deutlich, dass zumindest bei der öffentlich präsentierten Beweislage einiges an Wertung erforderlich sein wird, damit es zu einer Verurteilung kommt. Das allerdings erleichtert der §129a StGB bekanntermaßen: »Die Angeschuldigte Zschäpe ist daher bei wertender Betrachtung genauso für die terroristischen Verbrechen des ›NSU‹ verantwortlich wie Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die die Mordanschläge und Raubüberfälle letztlich unmittelbar ausführten. Sie ist damit strafrechtlich als Mitglied des ›NSU‹ und zugleich als Mittäterin der Taten der terroristischen Vereinigung anzusehen.«

Ob den zahlreichen Nebenklägern mit einer Verurteilung auf so dürrer Faktenbasis gedient ist, ob sie nicht gleich in der Tatsacheninstanz durch aktiven, eigenständigen Eingriff ins Prozessgeschehen versuchen sollten, sich nur mit mehr zufrieden zu geben, als die Bundesanwaltschaft gerne möchte, wird erst später zu beurteilen sein.
Gegenwärtig nutzt das Oberlandsgericht selbst die Vorschrift, um den Prozess unter Bedingungen stattfinden zu lassen, wie sie für ein Staatsschutzverfahren üblich, aber keineswegs erfreulich sind. Die restriktive Zulassung von Medien, vor allem der auf eigenwilliger selbstherrlicher Gesetzesauslegung basierende Ausschluss türkischer Journalisten hat die Öffentlichkeit bereits beschäftigt. Die dem Ausschluss zugrundeliegende sitzungspolizeiliche Verfügung »zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in der Hauptverhandlung«, die charakteristisch für §129a-Verfahren ist, enthält aber noch mehr Regelungen, die weder für die Beteiligten am Verfahren noch für die Öffentlichkeit akzeptabel sind. Sie stellt nämlich unter anderem sicher, dass die Hinterbliebenen der Ermordeten eine eingehende Leibesvisitation über sich ergehen lassen müssen, wenn sie in den Gerichtssaal wollen. Und nicht nur sie: »Die Verteidiger, Nebenklägervertreter, Nebenkläger, der Vertreter der Jugendgerichtshilfe und Sachverständigen werden ebenfalls auf Waffen und Gegenstände (durchsucht), die zur Störung der Hauptverhandlung geeignet sind.«
Ausgenommen vom Generalverdacht, stören und bedrohen zu wollen, sind dagegen die Vertreter der Staatsmacht selbst. Durchsuchungen von Rechtsanwälten, seien sie Verteidiger oder Nebenklagevertreter, sind so symbolisch wie der gezielte Verzicht auf die Durchsuchung von Richtern, Bundesanwaltschaft und Polizisten. »Die Mitglieder des Gerichts, die Vertreter der Bundesanwaltschaft, sowie die Amtshilfe leistenden Polizeibeamten und die zum Schutz gefährdeter Personen eingesetzten Polizeibeamten werden nicht durchsucht.« Der starke Staat tritt in Verfahren dieser Art vorzugsweise wehleidig auf und imaginiert sich gerne als gefährdet.