Die Provokationen aus Nordkorea

Strahlen für mehr Aufmerksamkeit

Das nordkoreanische Regime droht den USA mit einem Atomangriff. Wie ernst muss man das nehmen?

Diplomatie war noch nie die Stärke der nordkoreanischen Staatsführung. Die Ankündigung zu Beginn vergangener Woche, einen weiteren Atomtest durchzuführen, hat die Krise auf der koreanischen Halbinsel weiter verschärft. Dass selbst Chinas Führung erstmals auf Distanz zu ihrem einstweilen noch Verbündeten geht und Staats- und Parteichef Xi Jinping Nordkorea ermahnt, Provokationen zu unterlassen, bedeutet, dass es ernster werden könnte. Als einen Grund für die Eskalation nennen Experten oft, dass Kim Jong-un zwei Jahre nach Amtsantritt immer noch nicht wirklich ernst genommen werde und er mit seinem Auftreten nun seinen festen Platz in der Dynastie einnehmen wolle. Die tieferen Ursachen dürften aber andere sein. »Auch wenn es sich zunächst widersprüchlich anhört, das aggressive Auftreten Kims ist vor allem eine Art Hilferuf in Richtung China und vor allem der USA, um wirtschaftliche Hilfe und politische Akzeptanz zu bekommen«, sagt Götz Neuneck. Er ist wissenschaftlicher Referent am Institut für Friedensforschung und Abrüstungspolitik sowie Leiter der Interdisziplinären Forschungsgruppe Abrüstung, Rüstungskontrolle und Risikotechnologien an der Universität Hamburg. Nordkorea sei politisch isoliert und wirtschaftlich am Ende.

Doch auch innenpolitisch gibt es Probleme. Kim Jong-un hat seit seinem Amtsantritt einige führende Militärangehörige ausgetauscht, außerdem hat er Wirtschaftsreformen angekündigt und eine weitere Liberalisierung angedeutet. All dies wird von seinen innenpolitischen Gegnern durchaus kritisch gesehen. Da hilft es ihm, wenn er außenpolitisch offensiver und provokanter auftritt. »Das Militär ist nach wie vor der herrschende Faktor in Nordkorea. Mental befindet sich die Elite seit 1950 im Kriegszustand«, so Neuneck. Wobei man nicht unterschätzen dürfe, dass das Regime und die Militärangehörigen längst nicht mehr so einheitlich agierten wie noch vor 20, 30 Jahren. Die Folge sei eine tiefe Verunsicherung in den immer noch streng hierarchischen Organisationen.

Das Spiel aus Provokation und Verhandlung ist allerdings nicht neu. Schon bevor Kim Jong-uns Vater, Kim Jong-il, im Jahr 1994 die Herrschaft übernahm, gab es in unregelmäßigen Abständen Provokationen: 1984 feuerte Nordkorea seine erste, auf Basis der deutschen V2 entwickelte Scud-Rakete ab und sorgte für internationale Verstimmung. 1985 unterzeichnete Nordkorea auf Druck der UdSSR, seines damaligen Verbündeten, den Atomwaffensperrvertrag, arbeitete aber weiter an seinem Atomprogramm. 2002 trat Nordkorea aus dem Atomwaffensperrvertrag aus und 2009 erklärte Kim Jong-il, dass sich sein Land im Kriegszustand befinde. Vorausgegangen waren Atomtests Nordkoreas und die Nachricht, dass Südkorea an einer von den USA geleiteten Initiative gegen Massenvernichtungswaffen teilnehmen werde. Im vergangenen Sommer wiederholte Kim Jong-un die Drohung.
»Es gibt in Nordkorea eine für uns schwer nachvollziehbare Wahrnehmung der permanenten Bedrohung«, sagt Neuneck und weist darauf hin, dass die USA unter George W. Bush regelmäßig die Zeit für einen Regimewechsel für gekommen erklärt hätten. Auch wenn die Informationen aus Nordkorea nur zäh fließen, dürften Regierung und Parteiführung verfolgt haben, wie es dem Regime Muammar al-Gaddafis in Libyen ergangen ist: Nachdem der »Revolutionsführer« 2004 sein Arsenal an Massenvernichtungswaffen offengelegt hatte und durch den Westen demontieren ließ, wurde er Jahre später gestürzt. Ähnlich ist es Saddam Hussein widerfahren. Eine Aussicht auf einen Friedensvertrag und Sicherheitsgarantien für das Regime durch die USA gibt es bis heute nicht.
Wie akut die Bedrohung für Südkorea oder gar die USA durch das nordkoreanische Regime ist, lässt sich allerdings nur schwer einschätzen. Siegfried Hecker vom Center for International Security and Cooperation an der Stanford University hat Nordkorea insgesamt siebenmal besucht, dabei hatte er als einer der wenigen ausländischen Experten Zugang zu den nuklearen Einrichtungen. Gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press äußerte sich Hecker am Wochenende eher skeptisch: Niemand außerhalb der kleinen Führungsriege in Pjöngjang wisse wirklich, ob Nordkorea die Möglichkeit besitzt, Langstreckenraketen mit einer Präzision einzusetzen, die auch für die USA gefährlich sei. »Und vermutlich wissen sie es selbst nicht einmal, da sie keine Praxiserfahrung haben«, sagt Hecker.

Das nordkoreanische Regime verfügt derzeit ungefähr über 20 bis 40 Kilogramm Plutonium, das würde, je nach Sprengkraft, für vier bis acht Bomben reichen. Anlass zu größerer Sorge dürfte das Programm zur Urananreicherung bieten. »Die Entwicklung der Atomtests in Nordkorea zeigt, dass die Sprengkraft permanent zugenommen hat«, so Neuneck. Südkorea ist vor allem konventionell bedroht, die nukleare Bewaffnung richtet sich eher als letzte Trumpfkarte gegen die USA. Eine Raketenabwehr ist wegen der kurzen Wegstrecke für Südkorea kaum möglich, daher läuft es wohl auf eine »erweiterte Abschreckung« hinaus, wie sie aus dem »Kalten Krieg« bekannt ist.
So hat die südkoreanische Regierung in Seoul erst kürzlich wieder angekündigt, mit der Anreicherung von Uran zu beginnen. Bislang ist dies nicht möglich, jedenfalls nicht, ohne für eine weitere Verschärfung der Krise zu sorgen. Im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung mit den USA hat sich Südkorea verpflichtet, darauf zu verzichten – allerdings läuft die Vereinbarung im kommenden Jahr aus. Die USA würden sie gerne verlängern, Südkorea zögert noch.
Die Drohungen des feindlichen Nachbarn könnten die Position der südkoreanischen Regierung stärken. Seit im vergangenen Jahr die Parteivorsitzende der konservativen Saenuri-Partei, Park Geun-hye, die Tochter des ehemaligen Diktators Park Chung-hee, das Präsidentenamt von Lee Myung-bak übernommen hat, werden die Atompläne in Südkorea forciert. Es wird zwar davon ausgegangen, dass bei dem kritisierten Vorhaben der Urananreicherung und Wiederaufarbeitung zur Gewinnung von Plutonium zunächst die zivile Nutzung im Vordergrund steht, eine spätere militärische Nutzung kann aber nicht ausgeschlossen werden. »Es ist damit zu rechnen, dass die USA Seoul entgegenkommen werden«, glaubt Neuneck. Auf welche Weise, ist noch unklar.
Derzeit betreibt die Südkorea 22 Atomkraftwerke. Die abgebrannten Brennstäbe – zurzeit etwa 10 000 Tonnen – werden bislang auf dem Gelände der AKW gelagert. Experten gehen davon aus, dass die Kapazitätsobergrenze im Jahr 2016 erreicht wird. Der Anteil der Atomenergie soll bis 2022 von knapp einem Viertel auf fast ein Drittel der gesamten Kraftwerkskapazitäten steigen. Der »4. Hauptplan für die langfristige Elektrizitätsversorgung und -nachfrage« von 2010 sieht zudem den Bau von 14 Atomkraftwerken vor. Bereits 2009 und 2010 produzierte Südkorea mehr Strom aus Nuklearenergie als Deutschland. Bislang lässt das Land seine Brennstäbe unter anderem in Frankreich und den USA anreichern. Nach dem Willen der US-Regierung soll dies auch so bleiben. Dass es den USA neben der Vermeidung kriegerischer Akte auf der koreanischen Halbinsel auch um wirtschaftliche Interessen geht, liegt nahe, zumal Südkorea kürzlich Nukleartechnik in die Vereinten Arabischen Emirate exportiert hat.

Dennoch dürfte der Sicherheitsaspekt im Vordergrund stehen. Je mehr Länder über Nukleartechnologie verfügen, desto schwieriger wird die Kontrolle. 2004 musste Südkorea zugeben, dass hinter dem Rücken der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) Experimente zur Entwicklung von Urananreicherung und -aufbereitung stattgefunden hatten. Von 1979 bis 1981 hatten südkoreanische Forscher mit Uran experimentiert, bis März 2003 mit Plutonium. Allerdings waren die Mengen geringer als diejenigen, die für den Bau von Atombomben nötig gewesen wären. Nach dem Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen aus Südkorea 1992 hatten Süd- und Nordkorea die Halbinsel zur atomwaffenfreien Zone erklärt. Dabei hatten sich beide Regierungen verpflichtet, auch auf jegliche Anreicherungs- und Wiederaufbereitungsaktivitäten zu verzichten.
Es wird befürchtet, dass der Abrüstungsprozess nun wieder gestoppt werden könnte. Südafrika, Argentinien, Brasilien und drei ehemalige sowjetische Teilrepubliken hatten ihre Atomprogramme aufgegeben. »Die Aktivitäten auf der koreanischen Halbinsel könnten den Prozess verlang­samen oder in der Pazifikregion umkehren«, befürchtet Neuneck. Die Lösung werde letztlich von China und den USA abhängen. Wobei auch die chinesische Regierung derzeit keine Kontrolle mehr über ihren Verbündeten hat. »Nordkorea hat sich in der Beziehung verselbständigt«, sagt Neuneck – dies sei auch eine Folge der Öffnung Chinas zum Westen. Dennoch dürfte die chine­sische Führung ein innenpolitisches Interesse daran haben, dass es zu keiner weiteren Eskalation kommt. Millionen von Emigrantinnen und Emigranten aus Nordkorea würden sonst nach China kommen und die Volksrepublik vor enorme wirtschaftliche Herausforderungen stellen.