Hamburger Techno

Der Norden rollt

Die Stadt werkelt weiter an ihrem Sound. Queens und DJ Koze verkörpern die beiden Extreme des Hamburger Techno.

Eine lange Zeit schien die Hamburger Musikszene vor allem durch – zugegeben bahnbrechende – Entwürfe von Diskurs-Rock und HipHop geprägt. Während in Köln und Berlin monotones Geklacker als geschmackvolles Distinktionsmerkmal schon lange Alltag war, entwickelte elektronischer Sound in Hamburg erst langsam einen eigenen Stil. Insbesondere das Label Dial und der Star-DJ Koze machten immer wieder durch konsistente Qualität auf sich aufmerksam. So artikuliert sich Techno in Hamburg durch zwei Extreme. Auf der einen Seite ein postminimaler Sound mit Gespür für die Tiefe von House und melancholische Eleganz, auf der anderen Seite eklektizistischer Hedonismus mit Hang zu sehr eigenwilligem Humor.
Es gibt kaum einen sympathischeren DJ als Koze. Wo andere DJs den coolen König der Nacht raushängen lassen oder sich mit ernstem Blick hinter dem Laptop verschanzen, ist Koze ein selten guter Alleinunterhalter, den weder glamouröse Arroganz noch steifes Jungsnerdtum umweht. Nicht umsonst wird er immer wieder zum »DJ des Jahres« in Magazinen wie Spex, Intro und DeBug gewählt. Bereits in den Neunzigern, als er mit der HipHop-Truppe Fischmob unterwegs war, garnierte er seine DJ-Virtuosität und Rap-Skills mit humoristischen Elementen. Typische MC-Posen wie eierschaukelnde Angeberei und mackerhaftes Könnertum inszenierte Koze als überdrehte Parodie. Er überzog die Konventionen des Genres mit so viel Absurdität und Erfindungsreichtum, dass sich der ernsthafte Respekt vor beherrschtem Rap-Handwerk und die Distanzierung von den Stereotypen des Genres nicht widersprachen, sondern ergänzten. Der Höhepunkt dieser ersten Hälfte von Kozes Werdegang war zweifelsohne das Solo-Projekt Adolf Noise. Zwischen psychedelischem Ambient, verkifft-quatschmäßigen Telefonverarschungen und dadaistischem Battle-Rap (»Deine Reime sind Schweine«) war er, bevor er sich vom HipHop entfernte und den Techno entdeckte, schon in einer eigenen Liga angelangt.
Als Rap in Deutschland zwischen regressiven Gangster-Posen und neonationalistischem Stumpfsinn an seine Grenzen geriet, war es kaum verwunderlich, Koze immer öfter auf Techno-Partys auflegen zu sehen, wo eine weniger engstirnige Partyatmosphäre herrschte. Dort hinterließ er gleich 1999 mit einem Remix von Steve Bugs »Lover Boy«, zu dem er den Gesang von Jochen Distelmeyer hochpitchte, seine Spuren.
Unvergessen ist auch sein Stück »Zu viel Zeit«, für das er einen Wutanfall des trotteligen Schlagersängers Gunter Gabriel sampelte, der sein Publikum als faule Hartz-IV-Empfänger verunglimpfte. Der Monolog wurde zum ambivalenten Ravetrack, er ließ sich auch als liebevolle Publikumsbeschimpfung gegen ein Wochenend-Tanzpublikum lesen, das nichts außer banalem Four-To-The-Floor-Service zu schätzen weiß. Die lustvolle Verbindung einander diametral gegenüberstehender Welten, Klänge und Referenzen gelingt auch wieder auf seinem neuen Album »Amygdala«. Quatscheffekte und übertriebene Kontraste treten jedoch in den Hintergrund. Auch ein DJ Koze wird älter. Mit einer Vielfalt an Vokalisten ausgestattet, von Dirk von Lowtzow über Ada bis Caribou, Apparat und gar Hildegard Knef, groovt sich das Album durch sämtliche Genres zwischen Downbeat, DeepHouse, Minimal wie Maximal Techno, ohne je den Instinkt für Flow zu verlieren. Tanzbar, aber auch zu Hause wundervoll hörbar, sticht hier einer aus der schieren Menge an monatlichen Veröffentlichungen heraus und belohnt uns mit Sounds von langer Halbwertszeit.
Während bei Koze die freudige Überwältigung durch eine Vielfalt von Klängen und Grooves jenseits von ästhetischen Dogmen überwiegt, liegt die Stärke des Labels Dial eher im anderen Extrem. Subtilität und spartanische Genauigkeit in Sachen Beat-Geometrie bilden einen postminimalen und deepen Gegenpol zum endlos bunten House-Sound der Großraumdiscowelt. Einen besonderen Glanz entwickelt Dial gerade durch Zurückhaltung und Offenheit. Die Grenzen von Techno werden von Veröffentlichungen des Labels immer wieder durch Anlehnungen an Musique Concrète, Drone oder Ambient aufgeweicht.
Lawrence, einer ihrer Aushänge-Producer und außerdem Label-Chef wie auch Mitbesitzer des gemütlichen Plattenladens Smallville, betont, dass es bei Dial neben der Liebe zur Musik auch um Tiefe gehe. Die Differenz zum Techno-Mainstream besteht auch ideologisch. Wo selbst kluge Labels wie Kompakt ihre Platten in den Farben der deutschen Nationalflagge designen, hat die stilvolle Zurückhaltung von Dial eine partiotismuskritische Note. Selbst im linksrockigen Hamburg, wo es mehr als in anderen Städten möglich schien, durch eine neue, komplexe und politische Sprache überhaupt auf Deutsch musikalisch zu agieren, hält Dial zumeist Abstinenz in Sachen deutscher Texte und richtet seinen Label-Karalog internationalistisch aus.
An den Rändern von Techno und Dancefloor ist auch das Album von Queens angesiedelt. Der Projektname soll, wie auch der Name von Scotts anderem Projekt Jane, Weiblichkeit als eine Alternative zur männlichen Erlebniswelt betonen. Während im Hintergrund eine krautige Atmosphäre Referenzen wie Can, La Düsseldorf und Faust in Erinnerung ruft, vermitteln Drones und minimale Beats, trauriger Gesang und weit ausufernde Echos den Eindruck, das Album sei in einem Moment der Verletzlichkeit aufgenommen worden. Der Albumtitel »End Times« hingegen evoziert Apokalyptisches – einen Topos, der von Autoren wie Slavoj Žižek oder Franco »Bifo« Berardi in den vergangenen Jahren auch mit der globalen Krise des Kapitalismus und der Erschöpfung des Subjekts im flexibilisierten Arbeitsmarkt verbunden wurde. Queens’ Mastermind Scott Mou bestätigt diesen Zusammenhang: »Ich habe das Gefühl, dass ein archaischer, mittelalterlicher Begriff unsere Zeiten gut beschreibt. Der Titel bezieht sich auf zugleich intimste und öffentlichste Arten der Vergänglichkeit: Individuen und Regime, Spezies und Kulturen, Ressourcen und Gewohnheiten. Viele Formen des Verlusts können wahrlich wie das Ende der Welt wirken – aber sie verweisen auch auf neue Anfänge.« Auf den ersten Blick ist »End Times« auch ein Winteralbum, Titel wie »Frost Flowers« und »Here Comes the Snow« scheinen eindeutig. Scott ist jedoch der Ansicht, dass die Tracks auch auf jeder Afterhour gut funktionieren könnten, wenn die Kraft nachlässt und die Sinne sich öffnen. Aufgenommen wurde das Album übrigens zur Hälfte in einer restaurierten Kirche in New York. Bei einem Teil des Produktionsprozesses half ihm Deakin von Animal Collective, den Rest betreute Phillip Sollmann alias Efdemin von Dial in Hamburg. Scott befindet sich also in guter Gesellschaft. Bei allen Differenzen verbindet Queens mit DJ Koze, dass die angeblich so anonyme Musik des Techno durch ihre persönliche Autorschaft eine intime Musikalität erlangt. Während Techno mittlerweile zum scheinbar globalen Massenprodukt geworden ist, schaffen es Hamburger Labels und Künstler also, durch eine eigene Handschrift den kleinen Unterschied auszumachen.