Die Telekom und das Ende der Netzneutralität

Das Ende der Flatrate

Die deutsche Telekom will ab 2016 die Datenmengen ihrer Neukunden einschränken. Sobald ein gewisses Datenvolumen überschritten ist, will der Konzern die Geschwindigkeit begrenzen. Für Kunden bedeutet das Internet im Schneckentempo.

Ein unverschämter Verstoß gegen die Netzneutralität – so lautete das einhellige Urteil der Experten zur Ankündigung der Telekom. Der Konzern möchte Kunden, die zwar über eine Flatrate verfügen, aber mehr Datenvolumen verbrauchen als durchschnittliche User, in absehbarer Zeit mit einer Drosselung ihrer Surfgeschwindigkeit bestrafen. Von Netzneutralität spricht man, wenn die Datenübertragung im Internet wertneutral ist. Ein Internet Service Provider – das sind alle Unternehmen, bei denen man als Kunde einen Internetanschluss erhalten kann – ist nur dann netzneutral, wenn alle übertragenen Datenpakete gleich behandelt und nicht verändert werden. Und zwar unabhängig davon, was sich in diesen Datenpaketen befindet, woher sie stammen und zu welchem Programm sie gehören.
Wichtig ist die Netzneutralität, weil sie sicherstellt, dass ein Provider sich nicht zu einer Zensurbehörde entwickelt, indem unerwünschte Dienste oder Websites gesperrt oder deren Inhalte kurzerhand verändert werden. In einer veränderten Website könnten zum Beispiel gezielt einzelne Artikel ausgeblendet und für Kunden nicht sichtbar gemacht werden, beispielsweise wenn sie negative Äußerungen über Produkte des Anbieters enthalten. Ein noch drastischeres Vorgehen des Providers wäre es, wenn Websites, die aufgerufen werden müssen, um zur Konkurrenz zu wechseln, sich nur quälend langsam aufbauen würden oder erst gar nicht zu erreichen wären. Allerdings beschränken sich die Anbieter von Internetanschlüssen meist darauf, einfach nur Internet als Dienst anzubieten. Sollte ein Anbieter, der sich nicht an die Netzneutralität halten will, zum Beispiel ein eigenes soziales Netzwerk gründen, könnte er Facebook, Twitter und Co. sperren und die Kunden auf sein eigenes, wenig besuchtes und vor allem leeres Portal umleiten. Betroffen könnten aber auch andere sein als lediglich die User eines nicht neutralen Internetanbieters. Die Betreiber einer Website müssten bei einem Provider, der Datenpakete verändert, beispielsweise fürchten, dass ihre Werbeeinblendungen ersetzt werden. Die Nutzer der Seite würden dann Geld in die Kassen des Telekommunikationsunternehmens spülen und nicht mehr den Betreiber der Website unterstützen. Von solchen Veränderungen würde niemand etwas merken, nur der Betreiber wäre verwundert, dass scheinbar niemand mehr auf die Werbung klickt. Selbst wenn man sich dafür entschiede, ein Angebot werbefrei zu halten, könnte Werbung während der Auslieferung zum Kunden nahtlos eingefügt werden.

Netzneutralität beugt solchen Machenschaften vor. Bei der Telekom ist es jedoch so, dass manche Dienste unter dem Begriff Managed Services eben nicht zu den Datentransferraten gezählt werden sollen. Meist wird bei diesem Vorhaben zwar nur das Fernsehprogrammpaket Entertain der Telekom genannt, doch der Konzern hofft, mit dieser Strategie auch anderweitig Geld zu verdienen. Man sei bereit, mit jedem zu sprechen, der seine eigenen Inhalte ebenfalls als einen solchen Managed Service anbieten möchte, teilte der Konzern mit, dann aber muss der Anbieter der Inhalte zumindest für die von ihm ausgehende Datenübertragung aufkommen. Das Fernsehangebot Entertain erlaubt nicht nur, Fernsehprogramme über Internet zu empfangen, sondern enthält auch den Zugang zu einer Online-Videothek. Das Triple-Bündelangebot des Unternehmens wird in fünf unterschiedlichen Paketen angeboten.
Dass diese Dienste nicht zum Datenvolumen gerechnet werden, hat einen einfachen Grund: Es geht darum, das eigene Angebot attraktiver als das der Konkurrenz zu machen. Die Datenmengen, die beim Live-Streaming von Videos anfallen, sind schließlich erheblich. Wenn man sich einen Film online ausleihen möchte, findet man in den Angaben der Anbieter meistens nur den Hinweis, welche Bandbreite ein Internetanschluss haben muss, um den Dienst optimal nutzen zu können, je nach Qualität variiert die angegebene Bandbreite meistens zwischen zwei und zwölf Megabit pro Sekunde. Was das aber für die anfallende Datenmenge bedeutet, ist bei einer drohenden Drosselung sehr einfach auszurechnen. Zwölf Megabit pro Sekunde entsprechen zwar nur anderthalb Megabyte pro Sekunde, weil acht Bit ein Byte ergeben, aber die Sekunden sammeln sich bei einem Film schnell zu einer Minute, bei der schon 90 Megabyte erreicht sind – also fast ein Zehntel Gigabyte (GB). Wer etwas mehr als elf Minuten Film in HD schaut, hat das erste Gigabyte im Surfvolumen schon verbraucht, bei einem kompletten zweistündigen Film können deutlich über zehn GB Datenvolumen anfallen.
So kann es schnell passieren, dass eine DSL-Flatrate, die zum Streaming von Videos eigentlich von der Bandbreite her vollkommen ausreichen würde, aber nur mit 75 GB an Transfervolumen vor der Drosselung ausgestattet ist, mit dem Anschauen von nur sieben Filmen innerhalb eines Monats bereits über das Limit gebracht würde – wenn man Kunde bei einer anderen Onlinevideothek ist als bei Videoload im Entertain-Paket der Telekom. Sieben Filme sind nicht viel – ein wöchentlicher Filmabend mit zwei Produktionen würde bereits das Volumen sprengen. Und dabei wäre noch nichts von dem passiert, was für die meisten Besitzer eines Internetanschlusses ganz einfach zur täglichen Routine gehört: E-Mails abrufen, Zeit bei Facebook oder Twitter verbringen, online Zeitungen lesen, ganz zu schweigen von aufwendigeren Dingen wie dem Installieren von Updates des Betriebssystems.

Besonders unverschämt ist die Drosselung, wenn es um die Nutzung internationaler Angebote geht, die sonst in Deutschland nicht verfügbar wären. Immer mehr Spezialservices bringen etwa Live-Sport über das Internet auf einen anderen Kontinent, wer also American Football der National Football League (NFL) über das Webangebot der NFL abonniert, muss sich als Telekomkunde schon sehr genau überlegen, welches Spiel geschaut wird und welches nicht, sonst kann es passieren, dass kurz vor der Entscheidung plötzlich die Drosselung den ganzen Spaß verdirbt. Aber nicht nur Sportfans sollten sich Sorgen um ihr Unterhaltungsprogramm machen: Ein Spiel als Download kaufen, es herunterladen und losspielen? Dabei werden oft mehr als zehn GB verbraucht. Eine Staffel mit zwölf Folgen der neuen Lieblingsserie ansehen oder downloaden? Das ergibt schon 60 GB.

Hinzu kommt, dass die Datenmenge in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen ist, und an dieser Entwicklung wird sich auch in absehbarer Zeit nichts ändern, gerade was die bewegten Bilder eines Films betrifft. Die Nachfolger für die derzeit weit verbreiteten Full-HD-Geräte gibt es schon zu kaufen und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie aus dem Luxussegment in die Klasse der normalen Verbrauchergeräte drängen werden. Mit diesem Schritt aber steigt die Datenmenge eines einzigen Films schon auf das 16fache – spätestens beim dritten Film wäre dann mit der angekündigten Drosselung wohl für den Monat Schluss.
Die Datengrenzen der Telekom, so betont der Konzern, seien allerdings schon auf das Jahr 2016 ausgelegt, denn frühestens dann soll die Drosselung in Kraft treten, vorher verfüge man noch gar nicht über die nötige Infrastruktur. Dass die Datenmengen bereits nach heutigen Maßstäben für Kunden, die im Internet mehr machen, als hin und wieder ihre Lieblingsseiten anzusurfen, nicht ausreichen, hat man dabei geflissentlich übersehen. Tendenziell wird die Menge der Menschen, die Online-Unterhaltung nutzen, in den kommenden Jahren sicher nicht sinken. Eine Zusage, auf die man sich verlassen kann, ist die schwammige Ankündigung für den Termin der Drosselung überdies natürlich nicht, vielleicht arbeiten die Telekomtechniker ja schneller als gedacht. Und auch darauf, dass wirklich nur Neukunden und Tarifwechsler von der Drosselung betroffen sein werden, wie die Telekom betonte, sollte man sich nicht verlassen. Spätestens 2018 möchte das Unternehmen nämlich analoge Festnetz- und ISDN-Anschlüsse auf IP-basierte Telefonie umstellen. Im Zuge dessen müssen auch die Altkunden neue Geschäftsbedingungen akzeptieren, inklusive der Klauseln zum ungedrosselten Volumen. Doch nicht nur Videoseiten betrifft das Ganze, die Drosselung wird noch viel früher wirksam. Wer regelmäßig ein paar Tage vor dem Ende des Monats gedrosselt wird, denkt vielleicht schon zu Beginn des Monats darüber nach, ob man sich die Seite nun wirklich anschauen möchte, denn man weiß ja vorher nicht, wie viele Megabyte das kosten wird.
Ein immer größer werdendes Datenvorkommen wurde dagegen bisher kaum angesprochen. Die Nutzer mobiler Endgeräte, wie zum Beispiel Smartphones, Tablets und Notebooks, greifen immer häufiger auf Cloud-Dienste zu, schließlich will man seine Dokumente auf allen verwendeten Geräten greifbar haben. Dazu gehören mit dem Smartphone fotografierte Bilder, die automatisch in die Cloud hochgeladen werden, damit der Computer zu Hause sie sich ebenso automatisch herunterladen kann. Bei einer drohenden Drosselung wird man sich wohl sehr genau überlegen, welche Dateien man in der Cloud speichert, damit das Synchronisieren das Datenvolumen nicht sprengt. Denn nicht nur das Notebook nutzt die Cloud über das heimische Internet, Tablet und Handy buchen sich in aller Regel dort auch ein. In einer Zeit, in der sich neue Dienste wie eben Cloud etablieren, beschneidet die Telekom sie mit der Begrenzung und der folgenden Drosselung auch gleich wieder – es sei denn, man nutzt die Telekom-Cloud. Aber ginge das überhaupt mit einem Handy von einem anderen Anbieter?