Berliner Jusos gegen Pfefferspray

Der Duft, der Jusos provoziert

Die Berliner Jusos möchten den polizeilichen Einsatz von Pfefferspray verbieten.

Als am 1. Mai in Berlin-Schöneweide Gegendemonstranten versuchten, sich einem Aufmarsch von NPD und Freien Kameradschaften in den Weg zu stellen, setzte die Polizei Pfefferspray ein, um sie davon abzuhalten. Das Vorgehen der Einsatzkräfte an diesem Tag kann als Beispiel dafür gelten, wie großzügig viele Polizeibeamte mit ihren Reizstoffsprühgeräten umgehen. Mit dem Antrag für eine stärkere Regulierung des Einsatzes von Pfefferspray, den die Berliner Jusos beim Landesparteitag der SPD am 25. Mai einbringen wollen, hatte der Vorfall jedoch nichts zu tun. »Der Antrag ist inklusive aller Vorarbeit ein knappes Jahr alt und fußt auf langjährigen Erfahrungswerten«, sagt Kevin Kühnert, der Landesvorsitzende der Jusos. »Schöneweide war da nur ein zusätzliches Beispiel.«
Was die Jusos in ihrem Antrag schreiben, ist im Grunde altbekannt und die daraus abgeleitete Forderung nach Verbot des Einsatzes von Pfefferspray beziehungsweise der Beschränkung desselben auf Ausnahmefälle, »wenn kein milderes Vorgehen zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben ist anwendbar ist« eigentlich nur konsequent.

Es gilt bereits seit Jahren als nachgewiesen, dass Oleoresin Capsicum, der Wirkstoff des Pfeffersprays, gesundheitsgefährdend ist und sogar tödlich sein kann. Vor allem bei Asthmatikern und Menschen unter Einfluss von Drogen – insbesondere Kokain – besteht bei Kontakt mit dem Wirkstoff eine deutlich erhöhte Todesgefahr. Bereits im Dezember 2009 berichtete Spiegel Online von drei Fällen innerhalb eines halben Jahres, bei denen Menschen in Deutschland nach dem Einsatz von Pfefferspray durch Polizisten gestorben waren. Zwei von ihnen standen unter Drogeneinfluss, einer hatte kurz zuvor Beruhigungsmittel gespritzt bekommen. Das US-amerikanische Justizministerium veröffentlichte 2003 eine Studie, die 63 Todesfälle im Zusammenhang mit Pfefferspray dokumentiert.
Nicht umsonst gilt Pfefferspray in Deutschland als Waffe im Sinne des Waffengesetzes. Wer es gegen Menschen einsetzt und nicht Polizist oder Justizvollzugsbeamter ist, macht sich der gefährlichen Körperverletzung schuldig. Dass es dennoch relativ leicht zu erwerben ist, liegt daran, dass Hersteller das Waffengesetz dadurch umgehen, dass sie es als Tierabwehrspray kennzeichnen, das jeder ab 14 Jahren völlig legal mit sich herumtragen darf.
Die Reizstoffsprühgeräte, die die Polizei bei Demonstrationen einsetzt, sind freilich von einem anderen Kaliber als die kleinen Spraydosen im Handtaschenformat. Nach Angaben der Firma Hoernecke aus Baden-Württemberg, deren Produkte bei der deutschen Polizei Verwendung finden, sind ihre Geräte vom Typ RSG-8 ausdrücklich »für Sondereinsätze von Polizei und Militär« gedacht. Sie wirbt mit einer »zuverlässigen Reichweite von bis zu sieben Metern« und damit, dass sie zum Einsatz »gegen Menschengruppen im Rahmen von Demonstrationen« geeignet seien.

Pfefferspray wurde Anfang 2000 in Deutschland als Einsatzmittel eingeführt, um den Beamten ein »milderes Zwangsmittel« als den Schlagstock oder die Schusswaffe an die Hand zu geben. Im Rahmen von Demonstrationen und bei der sogenannten crowd control scheint sich jedoch eher eine Praxis durchgesetzt zu haben, in der es nicht als Alternative zu härteren Zwangsmitteln, sondern als Ersatz für verbale Kommunikation verwendet wird. Gerade die enorme Reichweite der Geräte jedoch macht es nahezu unmöglich, sie präzise gegen einzelne Störer einzusetzen, was dazu führt, dass sie häufig großflächig gegen Gruppen von Menschen – Unbeteiligte inklusive – angewendet werden und auch immer wieder Polizeibeamte selbst betroffen sind.
Wie zynisch die Polizei selbst mit der Gefahr ernster bis tödlicher Folgen durch den Einsatz von Pfefferspray umgeht, zeigt eine Äußerung von Rüdiger Reedwisch, dem Vorsitzenden der Bundespolizeigewerkschaft, anlässlich der Castor-Transporte im November 2011: »Wir können nicht jeden fragen, ob er irgendwelche Medikamente nimmt. Wer sich ordnungsgemäß verhält, kriegt kein Pfefferspray ab.«
Es liegt nahe, dass bei einem derart autoritären Rechtsverständnis ein verantwortungsvoller Umgang mit einer potentiell tödlichen Waffe wie dem Pfefferspray nicht zu erwarten ist. Durch die Annahme des Antrags der Jusos auf dem Landesparteitag würde der von der SPD geführte Berliner Senat unter Druck gesetzt, die SPD müsste mit dem Koalitionspartner CDU beim Thema Innere Sicherheit wohl noch einmal nachverhandeln. Die Chancen dafür stehen Kühnert zufolge gut: »Die Antragskommission empfiehlt einstimmig Annahme. Ich sehe derzeit nicht, wer das noch abräumen könnte oder wollte.«

Für die Jusos geht es jedoch nicht nur um Pfefferspray, es geht auch um innenpolitische Themen von der Flüchtlingspolitik bis hin zu den jüngst beschlossenen Übersichtsaufnahmen bei Demonstrationen. »Die Differenzen der Koalition sind nirgendwo so deutlich zu sehen wie hier«, sagt Kühnert. Die SPD dürfe Innensenator Frank Henkel (CDU) das Feld nicht kampflos überlassen. Gut möglich, dass Pfefferspray tatsächlich genau das richtige Reizthema ist, um für den nötigen Konflikt innerhalb der Berliner Koalition zu sorgen.