Berichtet vom »Alter Summit« in Athen

Alternativen zum Abgrund

In Athen hat am vergangenen Wochenende der »Alter Summit« stattgefunden, eine Nachfolgeveranstaltung der europäischen Sozialforen.

»Gestern standen wir am Abgrund, aber heute sind wir einen Schritt darüber hinaus.« Dieses Bonmot, das auf einen früheren Staatspräsidenten der Côte d’Ivoire, Félix Houphouët-Boigny, zurückgeführt wird, ließe sich auch auf die Europäischen Sozialforen anwenden. Um deren Krise zu überwinden, fand am Wochenende in Athen eine europaweite Veranstaltung unter einem veränderten Titel statt: nicht mehr als Sozialforum, sondern als »Alter Summit«. Menschen von Spanien bis Weißrussland trafen sich im riesigen Olympiastadion der griechischen Hauptstadt. Die Halle der Radrennbahn war für die Vollversammlungen zur Verfügung gestellt worden. Diese besuchten rund 2 000 Menschen. Auf der Demonstration am Samstagabend unter dem Motto »Für ein Europa der Solidarität und sozialen Gerechtigkeit« wurde es etwas voller und zu ihrem Abschluss richtig bunt. Der Demonstrationszug des Alternativgipfels traf da auf die Athener »Gay and Lesbian Pride«-Parade und die beiden Züge vereinigten sich auf dem Syntagma-Platz. Dieser Ausklang hob die Stimmung beträchtlich.

Vor dem Treffen vom Wochenende war beim letzten europaweiten Sozialforum im Herbst 2010 in Istanbul eine schwere Krise dieser Organisationsform konstatiert worden. In manchen Berichten fielen Worte wie »Abgrund« und »Sterbebett«. Nur knapp 3 000 Menschen waren damals in der türkischen Metropole zusammengekommen. Für eine Veranstaltung, die den Anspruch erhob, die sozialen Bewegungen auf dem europäischen Kontinent wie im »Gastland« zu repräsentieren, war dies wenig.
Daraus wurden allerdings widersprüchliche Schlussfolgerungen gezogen, und auch die Ursachen wurden unterschiedlich analysiert: Wo für einige zu wenig Basisverankerung in den sozialen Bewegungen vor Ort vorhanden war und man deswegen »in die Stadtteile« gehen solle, monierten andere eher eine bereits zu starke Verzettelung und Zersplitterung. Trotz zahlreicher interessanter Veranstaltungen waren aus der Sicht letzterer im Nachhinein wenig konkrete Ergebnisse zu verzeichnen, da die einzelnen Themen und Aktionen nur wenig aufeinander bezogen waren und oft relativ zusammenhanglos nebeneinanderstanden. Dieser Standpunkt konnte sich vorläufig durchsetzen. Und so kam es zur Ablösung der »Sozialforen« in ihrer bisherigen Form durch eine Art Multiplikatoren-Treffen. Sie sollen auf einem »Alternativgipfel« als Arbeitstreffen nach einem Konsens zu bestimmten Themen suchen und stärker ergebnisorientiert arbeiten. Anstelle von zahlreichen autonom organisierten Veranstaltungen »im Rahmen des Forums«, wie bisher bei den Sozialforen, soll es nur »vom Gipfel« organisierte Treffen und Workshops geben als Bestandteil eines gemeinsamen, verbindlichen Rahmens. Allerdings haben die Treffen dadurch an Offenheit und Pluralismus eingebüßt. Insbesondere Gewerkschaften wie die französische CGT und die italienische CGIL und andere große Organisationen wie Attac, deren französische Sektion die wichtigste des Netzwerks bleibt, obwohl sie seit etwa fünf Jahren an Einfluss verloren hat, können bei der Vor- und Nachbereitung die Inhalte erheblich bestimmen.

Schwerpunkte waren am Wochenende unter anderem Gesundheitspolitik, »Arbeit und Prekarität«, Schuldenstreichung und der Kampf gegen die extreme Rechte. Das Thema Antifaschismus fehlte bei den ersten Vorbereitungstreffen im September 2012 fast völlig. Durch das starke Engagement von antifaschistischen Gruppen bekam es aber letztlich einen breiten Raum beim Athener Alter Summit. Die Vollversammlung am Freitagabend begann mit einer Schweigeminute für den 18jährigen französischen Antifaschisten Clément Méric, der 48 Stunden zuvor in Paris von Neonazis zu Tode geprügelt worden war. Eine der größten Veranstaltungen des Alter Summit fand zum Thema »Kampf gegen die extreme Rechte in Europa« statt.
Dort wurden zunächst Berichte und Analysen über die erschreckenden Erfolge der extremen Rechten in Griechenland und Ungarn, aber auch in anderen Ländern wie der Tschechischen Republik ausgetauscht. Der deutsche Europaparlamentarier Helmut Scholz (Die Linke) berichtete von der NSU-Affäre und der Verwicklung deutscher Polizeiorgane. Einige anwesende Antiautoritäre wollten Antifaschismus vor allem auf den Kampf gegen staatliche Repression und zwischenstaatliche polizeiliche Zusammenarbeit konzentrieren, als Beispiel für eine derartige problematische Kooperation nannten sie die Auslieferung eines türkischen Flüchtlings von Griechenland an die Türkei. Ihren Standpunkt konnten sie jedoch nicht durchsetzen. Mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer, unter ihnen der Moderator Walter Baier, betonten, dass »nicht alle Katzen grau« seien und es einen Unterschied zwischen konservativen bürgerlichen Kräften und offenem Faschismus gebe. Als gemeinsame Aktionen werden ein europaweiter antifaschistischer Aktionstag, möglicherweise am 8. Mai, und eine europäische Großveranstaltung im zweiten Halbjahr 2014 anvisiert. Wegen der politischen Entwicklung in Ungarn wird letztere voraussichtlich in Budapest stattfinden.

Gleichzeitig diente der Alternativgipfel als Forum für die Präsentation des »Europäischen antifaschistischen Manifests«. Dieses war im vergangenen Jahr von einer Gruppe in Athen lanciert worden und hat inzwischen breitere Unterstützung in Griechenland – wo etwa 50 Abgeordnete der linken Partei Syriza das Manifest unterzeichnet haben –, Slowenien und Spanien gefunden. In Slowenien unterstützten vom Verband der Veteranen des Widerstands gegen die Nazibesatzung bis hin zu einer Polizeigewerkschaft zahlreiche Organisationen das Manifest. In Madrid erhielt es ebenfalls breite Unterstützung und in Valencia fand im Oktober vorigen Jahres ein antifaschistischer Kongress von Intellektuellen, Schriftstellern und Filmemachern statt. Im November soll eine Folge­veranstaltung dazu organisiert werden. Auch in Frankreich wächst die Unterstützung für das Manifest, ein Arbeitstreffen könnte im Herbst in Paris stattfinden.
Weniger konkret blieb die Zusammenarbeit beim Thema »Arbeit und Prekarität«, wo die Streik- und Erfahrungsberichte aus den einzelnen Ländern dominierten. Eine gemeinsame Perspektive zu erarbeiten, erwies sich hingegen als mühsames Unterfangen. Ein grenzüberschreitender Aktionstag im Sozialprotest soll jedoch wahrscheinlich im Oktober stattfinden.