Guilty pleasure

Markeningenieure sorgen dafür, dass die Produkte mittlerweile die Zielgruppe erschaffen, die sie überhaupt erst erreichen sollen. Soziologen späterer Generationen bleibt es überlassen auszuforschen, ob es etwa die »coolen Eltern«, die ein Magazin wie Nido ansprechen möchte, vor der Gründung des Blattes tatsächlich gegeben hat – oder nur ein Gemenge von Gemütslagen, Abgrenzungsbedürfnissen und handgewebten Baumwollwindeln, die von dem Presseprodukt erkannt, formalisiert und zur Ideologie geschmiedet wurden.
Besonders der Markt der Schönheitsprodukte lässt ständig neue Nutzerpsychologien knospen. Die größte Frechheit in dieser Hinsicht hat sich Garnier erlaubt, dessen »Garnier Body Tonic« explizit »für trockene, erschlaffte Haut« entwickelt wurde. Hat man das schon gesehen? »Die Salbe für hässliche Alte – wer mich kauft, hat schon aufgegeben!« Ein Produkt, das den Minderwertigkeitskomplex anspricht und befeuert; eine Lotion, die nicht nur pflegt, sondern auch beleidigt! Welcher Hauttyp wohl als nächstes entdeckt wird? Garnier Phobia – für die lichtempfindliche, entzündete Haut von Leuten, die nicht mehr so gerne das Haus verlassen? Garnier Hideous, für den hexenartigen Hauttyp und Frauen mit grindigem, zerfurchtem, warzenübersätem Gruselface? Wenn Marken wie Hollister darauf abzielen, sich exklusiv an schöne Menschen zu richten, und deswegen auf Übergrößen verzichten, ist es letztlich nur konsequent, wenn andere sich ausschließlich den Losern zuwenden. Kaffee für besonders trübe Tassen, XXXL-T-Shirts mit vorgestanzten Schweiß­flecken, tränengewürztes Trockenbrot, gar Rasierklingen mit besonders guter Adergängigkeit: Werbung war schon immer Strafe – doch jetzt bestrafen wir uns selbst.

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.