Die Reaktionen nach dem Mord an einem französischen Antifaschisten

Der Dritte Weg in den Tod

Nach dem gewaltsamen Tod des franzö­sischen Antifaschisten Clément Méric ­gelangen immer mehr Details über seine Peiniger an die Öffentlichkeit.

Wären die Vorgänge Teil eines Romans, würden sie wie eine schlechte Erfindung wirken: Ein junger und schmächtiger Antifaschist wird mitten in Paris auf offener Straße von Skinheads totgeprügelt. Der Haupttäter ist Angestellter einer Sicherheitsfirma und ein früherer Dorfnazi, der in einem Kaff namens Neuilly-Saint-Front aufgewachsen ist. Einen Hang zum Kitsch würde man dem Verfasser eines solchen Romans attestieren: Neuilly-sur-Seine ist der allgemein bekannte Millionärsvorort von Paris, eine der reaktionärsten Gemeinden in Frankreich, wenngleich es dort kaum Skinheads geben dürfte, weil sie zu unfein und subproletarisch sind. Und der Wortbestandteil Saint-Front, also »heilige Front« oder »heilige Stirn«, würde den Lesern wie eine allzu grobschlächtige Anspielung auf den Front National erscheinen.

Wahr ist all das dennoch. Neuilly-Saint-Front existiert tatsächlich, der Ort liegt in der Region Picardie und hat etwa 2 000 Einwohner. Der Front National erzielte dort bei den Wahlen im Frühjahr 2012 ein Drittel der Stimmen. Der 20 jährige, wegen Körperverletzung mit Todesfolge inhaftierte Naziskin Esteban M., Sohn eines spanischen Vaters und einer aus der Picardie stammenden Mutter, verbrachte dort seine Jugend. Und noch andere Details klingen wie aus einem schlechten Roman: M.’s 32jährige Freundin ist nicht nur ein blondes, tätowiertes Skinhead-Girl, sondern auch als radikale Tierschützerin bekannt und führendes Mitglied der Tierrechtsvereinigung Section Défense Animale. Wer allerdings auf deren Website per Kreditkarte bezahlt, finanziert – so fand es die Tageszeitung Libération am vergangenen Freitag heraus – direkt eine Neonazivereinigung. Das Geld landet bei der militanten Gruppe Troisième Voie, also »Dritter Weg«. Der Name ist als Absage an Kapitalismus und Kommunismus gleichermaßen zu verstehen.
Und leider ist ein weiteres Element der Geschichte wahr: Der 18 jährige französische Antifaschist Clément Méric starb vorvergangene Woche im Pariser Krankenhaus La Pitié-Salpétrière an den Verletzungen, die ihm eine Gruppe von Neonazis zugefügt hatte. Er war am Spätnachmittag des 5. Juni in der Nähe des Bahnhofs Saint-Lazare von rechtsextremen Skinheads angegriffen und schwer verletzt worden. Einen Tag später wurde er für klinisch tot erklärt. Am darauffolgenden Tag ergab eine Autopsie, dass er nicht, wie zunächst vermutet, an den Folgen eines Sturzes gestorben war, bei dem er mit dem Hinterkopf gegen einen Pfosten geprallt war. Er war direkt an den Folgen der erlittenen Schläge gestorben. Die Schläge ins Gesicht hatten das Nasenbein getroffen, eine Gehirnerschütterung und Hirnblutungen ausgelöst.
Méric war vor kurzem aus Brest in die französische Hauptstadt gezogen und hatte an der po­litikwissenschaftlichen Hochschule Science-Po studiert. Nachdem er zuvor bei der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CNT organisiert gewesen war, engagierte er sich an der Hochschule als Mitglied der linken bis linksradikalen Studierendengewerkschaft SUD-Etudiants. Er war ferner Mitglied der linksradikalen Action Antifasciste Paris-Banlieue.

Den tödlichen Schlägen voraus ging ein Streit in einem Bekleidungsgeschäft zwischen einer Gruppe von vier jungen Antifaschisten und ebenso vielen Skinheads, wobei erstere die Naziskins verbal provozierten. Nach Aussagen von Verkäufern und Aufsichtspersonal äußerten sich die Antifaschisten abfällig über »die Nazis, die einkaufen gehen«, und versprachen ihnen, »am Ausgang auf sie zu warten«. Doch die Naziskins – von denen einer erwidert haben soll: »Er ist ein schmales Hemd und provoziert uns!« – riefen telefonisch Verstärkung herbei, die auch alsbald eintraf. Anhand der Überzahl der Naziskins ebenso wie aufgrund der soeben zitierten Äußerung ist klar, dass die Rechtsextremen körperlich deutlich überlegen waren. Kurz darauf fielen die tödlichen Schläge. Wie die Sonntagszeitung JDD berichtete, zogen die Naziskins nach vollbrachter Tat »frohen Gesichts von dannen, nachdem ihnen klar geworden war, dass ihnen niemand folgte«, und »klatschten sich gegenseitig in die Hände, un­gefähr als ob sie gerade gemeinsam ein Diplom erhalten hätten oder Ähnliches«.
Zu den Herbeigerufenen zählte der mutmaßliche Haupttäter, der 20jährige M., ein Angestellter im Sicherheitsgewerbe. Vor zwei Jahren kam er nach Paris, wo er vom Umfeld von Serge Ayoub angezogen wurde. Ayoub ist Inhaber des rechtsextremen Veranstaltungsorts Le Local im Pariser Süden, war in den achtziger Jahren Skinhead-Anführer und ist mittlerweile Vorsitzender der Kleinstpartei mit dem Namen »Troisième Voie«.
Ayoub ist ein prominenter Anführer einer Unterströmung der extremen Rechten in Frankreich und nimmt auch oft an fraktionsübergreifenden Veranstaltungen teil, etwa an der Demonstration zu Ehren von Jeanne d’Arc am 12. Mai in Paris. Dabei handelt es sich nicht um den jährlichen Aufmarsch des Front National für Jeanne d’Arc – er findet immer am 1. Mai statt  –, sondern um eine alternativ stattfindende Demonstration, deren Veranstaltern der FN viel zu kompromissbereit erscheint. Von einem anderen Teil der extremen Rechten wird Ayoub allerdings wahlweise als »Türke«, »Syrer« oder, so von der faschistischen Splittergruppe L’Oeuvre Française, auch als »Jude« bezeichnet. Nichts davon ist wahr. Sein Großvater mütterlicherseits war christlicher Libanese und kam damit aus einer Bevölkerungsgruppe, die bei französischen Nationalisten stets beliebt war.
Der Front National blieb bislang relativ unberührt von der Diskussion um den brutalen Vorfall. Die Parteiführung in der Gestalt der Vorsitzenden Marine Le Pen und ihres Stellvertreters Louis Aliot betonte mehrfach, mit Gruppen wie jener der Schläger nichts zu tun zu haben. Inzwischen kommen allerdings Zweifel an dieser Darstellung auf. Französische Medien erinnerten unter anderem daran, dass Le Pen im August 2010 mit Ayoub gespeist hatte. Im April 2012 hatte Ayoub zur Stimmabgabe für Marine Le Pen bei der Präsidentschaftswahl aufgerufen.
»Troisième Voie« verfügt über eine gewaltbereite Gruppe von geschätzt 30 Mitgliedern mit dem Namen Jeunesses Nationalistes Révolutionnaires (JNR). Die Truppe übernimmt unter anderem die Ordnerdienste für die Kleinstpartei. Der mutmaßliche Haupttäter und einige andere an der Schlägerei vom Spätnachmittag des 5. Juni Beteiligte werden von Behörden und Medien als Mitglieder der JNR bezeichnet. Doch das ist schwer nachzuweisen, da die JNR über keinerlei formelle Struktur verfügen, wie Ayoub selbst schadenfroh in mehreren Zeitungen darlegte. Der mutmaßliche Haupttäter tauchte bei Facebook als Freund von »Troisième Voie« auf.

Unterdessen haben Innenminister Manuel Valls und Premierminister Jean-Marc Ayrault angekündigt, die Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die JNR und eventuell andere Nazigruppen zu prüfen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die offizielle Verbotsverfügung in der Kabinettsitzung am 26. Juni beschlossen werden.
Wegen des Todes von Clément Méric kam es in kürzester Zeit zu großen Protestdemonstrationen. Bereits wenige Stunden nach dem klinischen Tod des jungen Mannes fanden Demons­tra­ti­onen in 60 französischen Städten statt, mit insgesamt etwa 15 000 Teilnehmern. Am kommenden Sonntag soll nun in ganz Frankreich ein antifaschistischer Aktionstag mit Demonstrationen stattfinden, der von vielen linken Gruppen und Organisationen unterstützt wird.