Über das Urteil gegen Silvio Berlusconi

Die Party geht weiter

Der ehemalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi wurde wegen Amtsmissbrauchs und Förderung der Prostitution Minderjähriger verurteilt. Doch das politisches System, für das er steht, hat sich durchgesetzt.

Der Anwalt gab sich gleichmütig: »Das Urteil überrascht mich überhaupt nicht, ich habe es so erwartet.« Sein Mandant dagegen konnte seinen Schock kaum verbergen: »Ich war überzeugt, sie würden mich freisprechen, es gibt keine faktische Grundlage für die Verurteilung.« Dem Mailänder Gericht genügten einige Zeugenaussagen, die Auswertung der Abhörprotokolle und die Überprüfung von Bankverbindungen, um Silvio Berlusconi vorige Woche wegen Förderung der Prostitution Minderjähriger und Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Haft zu verurteilen. Überdies soll er lebenslang von allen politischen Ämtern ausgeschlossen bleiben.
Die drei Richterinnen sehen es als erwiesen an, dass die jungen Frauen, die während Berlusconis Amtszeit als Ministerpräsident zu »eleganten Abendessen« in seine Villa eingeladen wurden, Teil eines »Systems organisierter Prostitution« waren. Ihm habe auch bekannt sein müssen, dass Karima al-Mahroug, die unter dem Namen Ruby bekannt wurde, noch nicht volljährig gewesen sei. Die Telefonverbindungen belegten nicht nur einen engen Kontakt mit der Marokkanerin, Berlusconi habe ihr im Laufe der Jahre auch mehrere Millionen Euro zukommen lassen. Als sie 2010 wegen des Verdachts auf Diebstahl festgenommen worden war, habe er durch persönliche Telefonanrufe unter dem Vorwand, es handele sich um eine Nichte des damaligen ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak, auf ihre Freilassung gedrängt. Statt den zuständigen Sozialdiensten sei die junge Frau der Regionalabgeordneten Nicole Minetti übergeben worden. Minetti wird vorgeworfen, die »Bunga-Bunga-Partys« in Berlusconis Villa organisiert zu haben, sie muss sich in einem Nebenverfahren wegen Anstiftung zur Prostitution verantworten.

Für Berlusconis Anhänger handelt es sich um ein »barbarisches Urteil« dreier »Rachegöttinnen« gegen den privaten Lebensstil Berlusconis. Mit rot geschminkten Lippen organisierte Giuliano Ferrara, Chefredakteur der rechtsintellektuellen Tageszeitung Il Foglio, unter dem Motto »Wir sind alle Huren« am Tag nach dem Urteilsspruch eine Solidaritätskundgebung in Rom. Unter den mehreren hundert Teilnehmern waren auch Regierungsmitglieder. Einige drohten, man werde nicht dulden, dass der Vorsitzende einer der beiden Regierungsparteien »politisch massakriert« werde. Obwohl Berlusconi versicherte, an der Regierungstreue seiner Partei bestehe kein Zweifel, häufen sich die Anzeichen, dass er versucht sein könnte, im Streit um die Immobiliensteuer und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer einen Koalitionsbruch zu provozieren. Vorige Woche kündigte er an, seine ehemalige Partei Forza Italia wiederzubeleben. Die Einheitspartei Popolo della libertà (PDL) will er auf eine Föderation rechter Gruppen reduzieren. Spekulationen, dass seine Tochter Marina im Falle vorgezogener Neuwahlen sein politisches Erbe antreten könnte, wurden weniger deutlich als bisher zurückgewiesen.
Das Mailänder Urteil gegen Berlusconi bleibt zwar zunächst ohne Konsequenzen, da seine Anwälte Berufung einlegen werden. Allerdings hat Lele Mora, einer seiner engsten Vertrauten, der im Nebenverfahren angeklagt ist, die »Maßlosigkeit« der Gelage eingestanden. Sollten nun auch einige der eingeladenen Frauen zugeben, im Hauptverfahren falsche Aussagen gemacht zu haben, würde nicht nur das erstinstanzliche Urteil gegen Berlusconi bestätigt. Sie könnten auch den Beweis für die vom Gericht bereits angeordnete Untersuchung wegen mutmaßlicher Zeugenbestechung durch den Angeklagten liefern. Die Verfahren zum Fall Ruby werden also noch Monate andauern. Im Rahmen des Prozesses in Verbindung mit Berlusconis Konzern Mediaset droht ihm dagegen bereits im Herbst durch die Entscheidung des obersten Gerichtshofs wegen Steuerbetrugs eine endgültige Verurteilung zu einem Jahr Haft und einem fünfjährigen Verbot der öffentlichen Ämterführung. Für den bald 77jährigen wäre mit Inkrafttreten dieses Urteils die politische Karriere wohl endgültig beendet.

Nicht beendet wäre hingegen Italiens politische und institutionelle Krise. Dass das Berlusconi-Lager immer noch eine große Wählerschaft und sogar Mehrheiten mobilisieren kann, bescheinigen aktuelle Umfragen. Nicht zuletzt deshalb beteuert Ministerpräsident Enrico Letta, die Stabilität seiner Regierung werde durch »externe Ereignisse« nicht in Frage gestellt. Staatspräsident Giorgio Napolitano deutete an, dass er im Falle eines Koalitionsbruchs nicht automatisch Neuwahlen ausschreiben werde. Tatsächlich scheint eine Mehrheit beider Regierungsparteien nicht an einer Aufkündigung der Großen Koalition interessiert. Berlusconis parteiinterne Gegner spekulieren auf den Bruch mit dem verurteilten Vorsitzenden und seinen treuen Anhängern. Sie hoffen einmal mehr auf die Bildung eines neuen christdemokratischen Zentrums. Die Demokraten sind bis zu ihrem für den Herbst angekündigten außerordentlichen Parteitag mit sich selbst beschäftigt. Da erst dann über die zukünftige politische Ausrichtung der Partei entschieden wird, kommentierten die Demokraten das Mailänder Urteil nur ausweichend mit dem Hinweis, dass in anderen Ländern ein Politiker nach entsprechenden Vorwürfen schon längst hätte zurücktreten müssen. Die entscheidende Frage, warum Berlusconi zwar juristisch verurteilt, aber politisch seit 20 Jahren nicht besiegt werden kann, wird nicht mehr gestellt. Wie sehr die Prinzipien des Berlusconismus die politische Kultur in Italien bereits deformiert haben, zeigt die gegenwärtige Debatte um die geplante Verfassungsänderung, mit der die parlamentarische Demokratie zu einem autoritären Präsidialregime »reformiert« werden soll.