Hat sich Migranten-Musik aus dem Archiv Heimatlieder angehört

Heute kein griechischer Wein

Das Archiv Heimatlieder sammelt Musik aus 50 Jahren Einwanderung in die BRD und die DDR.

Volksmusik wird heute zumeist als rückwärtsgewandte Musiktradition einer bestimmten Region begriffen, dabei galt sie Johann Gottfried Herder, der Ende des 18. Jahrhunderts den Begriff des »Volkslieds« prägte, als ausdrücklich politisch. Die aufkommende Burschenschaftsbewegung sah im Volkslied ein Instrument zur nationalen Identitätsstiftung. Das gemeinsame Singen deutscher Lieder sollte aus den in den verschiedenen Ländern Mitteleuropas Lebenden sich ihres Deutschseins bewusste Deutsche machen.
Auch die um 1900 in Berlin entstehende Wandervogelbewegung bezog sich bewusst auf das deutsche Volkslied, als Ausdruck einer imaginierten heilen Welt, die man durch Industria­lisierung und Moderne bedroht sah. Die Volksmusik wurde jedoch insgesamt immer unbedeutender, vor allem weil durch technische Entwicklungen wie Plattenspieler und das Radio neuere Musikgenres wie Ragtime, Swing oder Schlager schneller Verbreitung finden konnten.
Die von den Nationalsozialisten geschaffene Reichsmusikkammer wachte ab 1938 über »unerwünschte und schädliche Musik«, verbot Jazz sowie Unterhaltungsmusik jüdischer Künstler und propagierte »arteigene« Musik wie den Walzer und bestimmte, zumeist nicht-mundartliche Volkslieder. Nach 1945 war daher keine positive Bezugnahme auf traditionelles deutschsprachiges Liedgut mehr möglich. Nach und nach trat an seine Stelle jedoch der volkstümliche Schlager, zunächst popularisiert durch Heimatfilme, heute in Form einer gigantischen Industrie, die jede Woche Millionen vor die Fernsehgeräte lockt.
Das, was dort verkauft und zur Schau gestellt wird, hat zwar wenig mit traditioneller Musik zu tun, dennoch feiert sich das völkisch definierte Kollektiv darin selbst. Als Gegenbewegung zu dieser völkischen Form des Schlagers entstand in den siebziger Jahren eine sich zumeist links und alternativ begreifende Szene, die versuchte, an traditionelle Musik anzuknüpfen und eine Art deutschsprachige folk music zu begründen. Hannes Wader war Teil dieser Bewegung, genauso wie die Gruppen Ougenweide oder Zupfgeigenhansel. Teile der Szene kannten wenig Berührungsängste mit der Moderne. Die Gruppe Liederjan zum Beispiel benutzte auch schon mal ein Casio-Keyboard, was nun nicht gerade das traditionellste und deutscheste unter den Musikinstrumenten ist.
Doch auch diese Spielart der Volksmusik berief sich größtenteils auf deutsche Traditionen und übersah dabei geflissentlich, dass bei der Herausbildung des Volksliedkanons im 18. und 19. Jahrhundert bestimmte Musiktraditionen des deutschsprachigen Raums bereits ausgeschlossen wurden. Das gilt für die sorbische Musik genauso wie für die Musik der Sinti, insbesondere aber auch für die Musik in jiddischer Sprache.
Das Projekt »Heimatlieder«, das der Betreiber des deutsch-türkischen Labels Plak Musik, Jochen Kühling, und der Publizist Mark Terkessidis initiiert haben, definiert folk nicht länger völkisch. Ihre Sammlung von »New German Ethnic Music« widmet sich den Musiktradi­tionen der hier lebenden Einwanderer.
Losgezogen sind Kühling und Terkessidis wie einst die Folkloreforscher Alan und John Lomax. In Berlin gingen sie auf die Suche nach der Musik der Einwanderer, die als Vertrags- oder Gastarbeiter nach Deutschland gekommen sind. Bei allen Einwanderergruppen sei »das Singen von Liedern aus dem heimatlichen Kontext ein wichtiges Element von Community-Leben«, schreiben Kühling und Terkessidis. »Das Singen diente dazu, den durch die Migration erfahrenen Bruch in der Kontinuität von Kultur und Erinnerung zu kitten und sich im fremden Land sozusagen zu rekontextualisieren. Zunächst wurden vielfach Stücke aus dem lokalen Umfeld gesungen, später dann wurden die Emigranten ein Markt. In den Herkunftsländern wurden Stücke aufgenommen, welche das Schicksal der Auswanderer thematisierten (die für die griechischen Migranten maßgebliche Figur war etwa Stelios Kazantzidis), und in den Einwanderungsländern entstanden eigene Labels, die teilweise Musik aus der alten Heimat, teilweise aber auch solche aus der Neuen herausbrachten (für die Migranten türkischer Herkunft in Deutschland etwa das Label Türküola).«
Was Kühling und Terkessidis entdeckt und archiviert haben, ist beeindruckend. Die aus Ostserbien stammende Vokalmusik von Sandra Stupar und Dusica Gačić ist ebenso großartig wie die mit andalusischen Einflüssen aufgepeppte marokkanische folk music von La Caravane du Maghreb. Die heimlichen Stars des Projekts jedoch sind wohl die sechs Männer der kroatischsprachigen Gesangsformation Klapa Berlin mit ihren melancholischen Stücken.
Mitte Juni wurde zum »Heimatabend« in die Komische Oper Berlin geladen, wo die am Projekt beteiligten Gruppen und Chöre ihre Lieder präsentierten. Quasi alle Auftritte der Künstlerinnen und Künstler wurden gefeiert, wobei sich die Frage stellt, ob da nicht auch das grüne Bürgertum seine eigene Offenheit gegenüber der Multikulti-Kultur zelebriert hat. Weniger gut wurden die Remixes der Stücke, die ebenfalls Baustein des Projektes sind, vom Publikum aufgenommen. Die elektronisch bearbeiteten Lieder scheinen der Idee der Authentizität des Fremden zu widersprechen. Überhaupt ist das Wort Heimat, das ja auch Terkessidis und Kühling verwenden, ein kurioses. Im Grunde leitet es sich von dem Wort »Heim« ab und bezeichnet ähnlich wie das englische home nichts anderes als den Ort, wo jemand zu Hause ist. In dem Song »Fremd im eigenen Land« (1992) von Advanced Chemistry lässt der Rapper Torch sein imaginäres Gegenüber fragen: »Gehst du mal später zurück in deine Heimat?«, und er antwortet darauf mit der Gegenfrage »Wohin? Nach Heidelberg, wo ich mein Heim hab?« Was wie ein banales Wortspiel klingt, beschreibt ein Szenario, das viele Menschen in diesem Land nur allzu gut kennen dürften.

www.heimatliederausdeutschland.de