O’zapft is

»Hund beißt Briefträger« ist keine Nachricht, »Briefträger beißt Hund« ist eine Nachricht – so etwas lernt man als angehender Journalist. Man müsste also sagen: »NSA saugt aus dem Internet, was die Server fassen können« ist keine Nachricht. »Geheimdienst verzichtet freiweillig auf eine Methode, die Bevölkerung zu überwachen« oder »Parlament stoppt Zugriff des Geheimdiensts auf Datenverkehr« wären Nachrichten. Doch man wird wohl eher von Briefträgern hören, die Hunde beißen. Immerhin haben die Amerikaner mit ihrem unschlagbaren Showtalent aus der Enthüllung dessen, was jedem politisch informierten Menschen im Prinzip bekannt war, eine spannende Verfolgungsjagd gemacht, bei der auch der comic relief nicht zu kurz kommt, wenn etwa Dutzende Journalisten entgegen ihren Erwartungen ohne Edward Snowden nach Kuba fliegen und sich nicht einmal mit Alkohol trösten können, weil auf dieser Strecke keiner serviert wird.
Für Snowden ist die Angelegenheit allerdings ernst, auch wenn er darauf hoffen kann, dass die US-Regierung vielleicht gar nicht so sehr an seiner Auslieferung interessiert ist. Denn den Prozess gegen ihn wird sie verlieren, auch wenn sie ihn gewinnt. Einem Spion Spionage vorzuwerfen, weil er für die falsche Seite spioniert hat, ist an sich schon absurd, aber üblich. Ihm Spionage vorzuwerfen, weil er ausplaudert, dass spioniert wird, wirkt dann doch sehr absurd. Im Film »Brazil« ist die Staatsmacht ehrlicher, dort heißt es über den gesuchten Harry Tuttle: »Er wird der freischaffenden Subversion verdächtigt.« Das ist eine ehrenhafte Tätigkeit, dennoch ist es wohl an der Zeit, sich darüber klar zu werden, dass der Kampf gegen den Überwachungsstaat vorläufig gescheitert ist. Manche Menschen regen sich noch auf, wenn klar wird, dass nicht nur diese Ausländer, denen man ja noch nie getraut hat, überwacht werden, sondern sie selbst, oder wenn herauskommt, dass sie von Ausländern überwacht werden. Doch die meisten Bürgerinnen und Bürger nehmen es hin, als verdächtige Subjekte zu gelten. Die derzeit wirksamste Methode der Gegenwehr wäre daher wohl, möglichst viel sinnlosen Datenverkehr zu erzeugen, bis die Server platzen und den Überwachern die Köpfe rauchen. Sollen sie doch ersticken an unserem Datenmüll. Wer sich der freischaffenden oder organisierten Subversion widmen möchte, muss jedenfalls entsprechende Vorkehrungen treffen. Der Überwachungswahn könnte die Subversion sogar begünstigen. Unumstritten ist er in Fachkreisen keineswegs, denn er bindet Personal und Ressourcen, und der Ertrag ist dürftig. Ein kleiner Trost sind auch die Enthüllungen aus den Kreisen der Regierungen und der Bourgeoisie, etwa über die irischen Banker, die sich ungeniert zum Abzocken von Staatsknete (»Neuer Tag, neue Milliarde«) bekennen. In Überwachungsfragen sind wir der klassenlosen Gesellschaft erstaunlich nahe gekommen.