Talmi

Recht auf Fleisch

Man kann dem Wetter nur danken, dass es sich so nass und wechselhaft darstellt, denn ein anderes Mittel gegen die Grillerpest ist noch nicht gefunden. Jeder noch so zittrige Sonnenstrahl wird genutzt, um minderwertiges Fleisch anzukokeln und den Magen bis zum Rand mit Asche, Kohlenstaub und anderen erlesenen Karzinogenen zu füllen. Der Verzehr scheint dabei unbedeutend, wichtig ist, dass ständig irgendwas auf dem Rost vor sich hin raucht. Inzwischen gibt es keinen öffentlichen Raum, der nicht dem Grillen gewidmet ist: In den Bahnhöfen brutzeln die Burgerbrater vor sich hin, auf den Straßen- und Stadtteilfesten gibt es Grilliertes, bei Demonstrationen und politischen Veranstaltungen macht unausweichlich eine Bratwurstbude auf, und keine unterirdische Passage, die ohne eine dieser neuen Mikro-McDo­nald’s-­Filialen in Kioskgröße auskommt. Öffentlichkeit und der Geruch von verbranntem Fleisch gehören offenbar zusammen; ein permanentes Brandopfer für unbekannte Götter, denen der Geruch wohlgefällig ist. Man fühlt sich nicht recht unter Leuten, wenn nichts schmort; ähnlich der Beklemmung, wenn in einer Restauration mal keine Musik gespielt wird. Die permanente Verfügbarkeit von Gebratenem wird Teil der Grundversorgung. Es wird noch so weit kommen, dass man in Behörden zur Wartenummer ein Bratwürstchen dazu erhält. Immerhin differenziert sich auch hier der Markt aus: Edeka bietet nun Grillwürstchen für Männer und Frauen an. Verziert mit einem Model des jeweils anderen Geschlechts, sind die Damenwürste »besonders mager«, die Herrenwürste doppelt so lang und extra fettig. Jeder sein eigenes Würstchen!

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.