Rula Quawas im Gespräch über Feminismus in Jordanien

»Feminismus entsteht zu Hause«

Rula Quawas ist Professorin für amerikanische Literatur und feministische Theorie an der University of Jordan in Amman. Sie war die Erste, die feministische Theorie in den Lehrplan aufnahm, gegen den Widerstand ihrer Vorgesetzten. Im September vergangenen Jahres wurde ihr wegen eines kontroversen Videos der Posten als Fachbereichsleiterin entzogen. Die Jungle World sprach mit ihr über »arabischen« und »westlichen« Feminismus und die Kraft, die es kostet, sich in Jordanien für die Rechte von Frauen stark zu machen.

Was bedeutet Feminismus für Sie?
Feminismus steht für mich für eine Frau, die selbstbestimmt und selbstbewusst ist. Für eine Frau, die an Menschenrechte glaubt und sich behaupten kann. Feminismus bedeutet für mich Gleichheit, Gerechtigkeit und Parität. Ich sehe darin einen inklusiven Ansatz, keinen exklusiven. Ich möchte nicht zwischen den Geschlechtern, zwischen männlich und weiblich, unterscheiden. Feminismus ist Handlung. Es ist dein Wille und deine Entschlossenheit, zu tun, was immer du möchtest, sei es innerhalb deiner Traditionen und Gebräuche oder darüber hinaus. Feminismus gibt dir die Möglichkeit, Traditionen anzuzweifeln und mit ihnen zu brechen. Natürlich bedeutet es auch, dass du auf Widerstand stoßen wirst. Feminismus ist nicht zuletzt eine permanente Auseinandersetzung mit dem gegnerischen Diskurs, einem Diskurs, gemacht von Männern und für Männer.
Worin unterscheiden sich »arabischer Feminismus« und »westlicher Feminismus« Ihrer Meinung nach?
Ich glaube, wir können viel von Frauenbewegungen in aller Welt lernen. Das heißt nicht, dass wir sie kopieren sollten, aber wir können vieles anpassen. Die Vorstellung, dass Feminismus nicht monolithisch ist, ist schließlich nicht neu. Auch in den USA ist es unmöglich, die vielen verschiedenen Ansätze auf einen Nenner zu bringen. Unser Feminismus, arabischer Feminismus, unterscheidet sich darin, dass es hier Stolpersteine gibt, die der Westen nicht kennt. Wir stehen einer Verschränkung aus Nationalismus, dem Er­be des Kolonialismus und nicht zuletzt dem Islamismus gegenüber. Resultierend aus den Erfahrungen des Kolonialismus, glauben unsere Gegner, dass wir Feministinnen das Sprachrohr des Westens seien. Sie glauben an eine »westliche Vergiftung«. Da ich Feministin bin, glauben sie, ich sei eine Agentin des Westens, ich sei antiislamisch und würde mit meinen fremden Ideen den Geist der Studierenden vergiften. Als ob wir keinen eigenen Verstand hätten. Man bezeichnet uns als Antinationale, die ihr Land und ihre Mitmenschen nicht schätzen. Weil du eine Feministin bist, wirst du automatisch als Gegnerin des Islam betrachtet. In den Augen einiger Menschen hier braucht es keine anderen Frauenrechte als die, die im Koran festgelegt sind. In all diesen Diskursen wird etwas sehr Wichtiges vergessen: Feminismus entsteht zu Hause.
Passen Islam und Frauenrechte für Sie zusammen?
Ich denke nicht, dass ich in meiner Situation einen Kommentar dazu abgeben kann. Nur so viel: Ich bin keine Muslima und das erschwert es mir zusätzlich, Kritik zu üben.
Sie haben feministische Theorie an der University of Jordan (UJ) eingeführt. War es schwer, Feminismus als Gegenstand der Lehre durchzusetzen, oder waren Ihre Vorgesetzten offen dafür?
Sie waren ganz und gar nicht offen dafür. Ich habe den größten Teil meines Masterstudiums an der UJ absolviert, war aber auch einige Zeit an der University of Sterling in Schottland. Dort habe ich mich entschieden, dass ich meine Masterarbeit über feministische Theorie und amerika­nische Schriftstellerinnen schreiben möchte. Mein Betreuer war der Erste, der mir sagte, dass er das nicht mitmachen würde. Für ihn geht es im Feminismus nur um Sex, eine revisionistische Lesart, auf die man hier häufig trifft. Man wird zum resistant reader, wie Judith Fetterley sagen würde. Das wollte ich ihm erklären, aber er hörte mir nicht zu. Meine Arbeit war die erste, die sich mit Themen wie Feminismus und amerikanischen Schriftstellerinnen befasste, und ich war bereit, Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen. Eine der Autorinnen, mit denen ich mich beschäftigte, war Kate Chopin und ihr Roman »The Awakening«. Die Figur Edna begeht in dieser Geschichte Ehebruch und bringt sich danach um. Innerhalb des islamischen Diskurses gilt das als Blasphemie, aber die Prüfer haben keine einzige Frage dazu gestellt. Ich glaube, sie waren einfach zu schüchtern.
Auch in meiner Dissertation ging es wieder um Feminismus, das hat man hier gar nicht gemocht. Ich erinnere mich, dass der Dekan mich in sein Büro rief und mich fragte: ›Denken Sie, das ist ein PhD, den Sie da haben? Das ist Müll. Wir machen hier keine feministische Theorie.‹ Zu der Zeit war ich international schon eine angesehen Akademikerin, aber dann kommen die und trampeln auf dir herum. Kurz danach habe ich angefangen zu unterrichten und mir fiel auf, dass im Lehrplan keine Schriftstellerinnen vorgesehen waren. Da habe ich zu mir selbst gesagt: Wenn ich etwas ändern möchte, dann muss ich es selbst tun. In jedem Kurs, den ich unterrichte, wollte ich zumindest ein paar Frauen vorstellen. Es war harte Arbeit, aber ich habe Frauen in der klassischen Literatur, im Drama und in der Poesie in den Unterricht eingeführt.
Konnten Sie immer frei entscheiden, was Sie unterrichten?
Zu der Zeit, als ich mit einem Kurs »The Awakening« besprach, bat mich der Dekan um ein Gespräch. Schon auf dem Weg in sein Büro fühlte ich mich unwohl. Er wusste, dass ich eine gute Lehrerin bin, und ich weiß das auch. Aber er sagte zu mir: ›Diese Geschichte, die Sie unterrichten, das ist keine gute Idee. Sie ist voll von Sexualität. Die Studierenden fangen an, darüber zu sprechen.‹ Ich antwortete ihm: Wissen Sie, warum ich »The Awakening« unterrichte? Weil es der Inbegriff eines neuen Frauenbildes ist. Meine Studierenden sollen wissen, dass die neue Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Amerika geboren wurde. Warum, frage ich mich, geht es immer nur um den Aspekt der Sexualität?
Das klingt nach einer Menge Kämpfe und harter Arbeit.
Es war eine Zeit voll von Scham, Schuld und Skepsis. Dass ich so in Frage gestellt wurde, ist nicht spurlos an mir vorübergegangen. Sie trivialisieren, was du tust, grenzen dich aus, und irgendwann beginnst du selbst zu glauben, was sie sagen. Es kostet so viel Kraft, warum, fragst du dich, musst du das überhaupt tun? Wenn ich dann im Klassenzimmer stehe, betrachte ich meine Studierenden mit all ihren Fragen und ihrem Potential. Sie wollen die Dinge aus einem anderen Blickwinkel sehen, darum unterrichte ich. Wer unterrichtet, berührt Leben und verändert Bewusstsein. Feminismus ist für mich eine Veränderung des Bewusstseins, und das ist es, was wir erreichen müssen.
Zusammen mit einem Ihrer Kurse haben Sie 2012 ein Video gedreht. Irgendwie gelangte es auf Youtube und Sie wurden als Leiterin des Fachbereichs Englisch entlassen. Warum?
Für Graduierte gibt es einen besonderen Kurs in unserem Fachbereich, er ist freiwillig und inhaltlich nicht gebunden. Immer wenn ich diesen Kurs unterrichte, wissen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass er sich mit feministischer Theorie beschäftigen wird. Im Wintersemester 2011 hatte ich die Idee, die Studierenden arabische Autorinnen in englischer Übersetzung lesen zu lassen, um meinen Standpunkt zu illustrieren .
Die Ansicht, dass Feminismus keine fremd­artige Idee ist?
Genau. Gegenstand waren Geschichten aus Nordafrika und dem Mittleren Osten, mit denen sich viele identifizieren konnten. Zur gleichen Zeit wurde ich zur Fachbereichsleiterin berufen. Das Abschlussprojekt dieses Kurses sollte etwas sein, das über die Grenzen des Klassenraums hinausgeht. Vier meiner Studentinnen hatten die Idee, einen Film zu machen. Ich fand das großartig. Was das Thema anging, hatten sie viele Ideen, aber am Ende ging es um sexuelle Belästigung auf dem Campus. Das ist ein kontroverses und brutales Thema, aber wir müssen uns damit auseinandersetzen. Die jungen Frauen befragten Studentinnen auf dem Campus und kamen mit mehr als 100 Geschichten zurück. Die Rezeption des Films im Kurs war großartig; alle Studierenden haben ihn geliebt. Der Schmerz, der darin zum Ausdruck kommt, war sehr ergreifend und für einige sehr real. Eigentlich hätte es das gewesen sein können, alle bekamen ihre Note, das Projekt war vorbei.
Im darauffolgenden Juni bekam ich allerdings einen Anruf vom Vizepräsidenten der Universität. Er schrie mich durch den Hörer an: ›Dieses Video!‹ Es waren sechs Monate vergangen, ich wusste nicht einmal, wovon er sprach. Er schrie weiter: ›Dieses Video über sexuelle Belästigung auf Youtube. Sie haben den Ruf der Universität beschmutzt!‹ Ich habe durchgeatmet und sehr ruhig geantwortet: ›Ich spreche nun zu Ihnen nicht als Rula, die Fachbereichsleiterin, sondern als Ru­la, die Lehrerin. Sie haben kein Recht, mir vorzuschreiben, was ich zu lehren habe oder nicht.‹ Da legte er auf. Anfang September erzählte mir eine Freundin, mein Name sei in der Zeitung. Es ging um das Video, jemand hatte mich in meinem Posten als Fachbereichsleiterin ersetzt. Die Universität hat es nicht einmal für nötig gehalten, mich darüber zu informieren.
Manchmal muss man für die Dinge, die man tut, bezahlen, aber die Büchse der Pandora ist geöffnet. Sie können sexuelle Belästigung nicht länger leugnen.