Über die Macht des Hype

Hyper, Hyper

Wie er entsteht, wem er nützt, was er bewirkt: der Hype als Kommunikation und kapitalistische Kulturtechnik.

Der Hype ist ein großes Versprechen. Er verspricht den Anbietern schnellen und großen Profit, vollkommen unabhängig vom realen Wert der Ware, die sie auf den Markt bringen. Er verspricht den Adressaten schnelle und nachhaltige Erfüllung ihrer Wünsche, eine Erlösung, die kaum etwas mit dem realen Wert der Ware zu tun hat. Und der Hype verspricht den Vermittlern, den Werbefuzzis, den Journalisten, den Trendforschern und Trendsettern, den role models und Promis, den Kritikern und Kolumnisten einen mächtigen Kompetenzzuwachs. Am Ende geht es beim Hype darum, etwas zu verkaufen. Aber vorher kommt es zu einem Austausch von Energien, Macht und Bildern, die keine der beteiligten Parteien vollständig kontrollieren kann.
In einer Gesellschaft, in der sich die Beziehungen vorwiegend über den Markt organisieren, wird der Hype (nebst Anti- oder Gegenhype) zum primären Kommunikationsmittel. Alles kann Hype-Objekt werden, eine neue Band, ein technologisches Wunderwerk, ein Getränk, ein Film, eine Partei, ein Club, ein Fingernagel-Design, und jede Kommunikation kann Elemente des Hype aufnehmen, jede Kritik, jede Debatte, jede Show, jede Vorlesung, jedes Gerücht, jeder Tweet. Trotzdem wäre es wohl falsch, zu behaupten, der Hype wäre das bevorzugte Medium der Verständigung auf dem Markt. Im Gegenteil: Nachhaltige und stabile Absatzzahlen erzielen eher Angebote, die ohne Hype auskommen, die zu Selbstverständlichkeiten des Alltags werden, wie gewisse Outdoor-Markenkleidungen, wie die Mehrzahl der Stücke der deutschen Hitparade, wie die Promis im deutschen Fernsehen, wie Ferienreisen nach Kroatien. Nur ein Bruchteil der Marketingkonzepte beruht auf dem Hype-Prinzip, was trotz der Allgegenwart des Hype zu dem Verdacht führt, dass der Hype eher ein krisenhaftes Geschehen auf dem Gebiet von Ökonomie und Kultur denn ›normales‹ Gleitmittel des Warentauschs ist. Hypes nämlich sind Spekulationen auf einen Riesengewinn, die sich für alle Beteiligten auch als tückisch erweisen können. Und dann verlieren die Anbieter mehr als nur das eingesetzte Hype-Kapital, die Vermittler verlieren mehr als ihre Glaubwürdigkeit, und die Adressaten verlieren mehr als ihre Illusionen. Aber selbst der gelungene Hype ist noch kein Grund zum Jubel, da der gehypte Gegenstand zwar einen Aufmerksamkeits-Flash erzielt, sich damit aber noch lange nicht etabliert hat. Der Hype ist nicht nur ein Versprechen, sondern auch ein Erwartungsdruck, wovon jede gehypte Band in der Tat ein Lied singen kann. Die drei am Hype Beteiligten, Anbieter, Vermittler und Adressaten, erleben nämlich im Hype einen gemeinsamen Rausch, aber das ändert nichts daran, dass sie insgesamt mindestens so sehr wie Komplizen auch Gegner sind.
»Der Markt«, das ist mehr oder weniger unser Leben, unsere Kultur, unsere Welt. Einerseits ein fades Kaufen und Verkaufen, Handeln nach Angebot und Nachfrage, Aufpeppen und Fälschen, Reklame und Auslage. Man muss das durchschauen, man muss sich wehren und einerseits ein paar Nischen finden, in denen es ein echtes Leben neben dem Markt gibt, und andererseits muss man sich doch vom Markt genau das holen, was einem guttut. Das muss man lernen, und Leute, die es nicht lernen, sind gefährlich und gefährdet, wie die Kids, die böse und krank werden, wenn sie nicht die richtigen Turnschuhe bekommen, trostlose shopaholics oder gierige Verschlinger von Lifestyle-, Promi- und Fernsehmagazinen. Der Mensch ist ein Opfer des Marktes, der eine mehr, der andere weniger. So ist das nun mal.
Andererseits ist der Markt ein hochkompliziertes und irrationales Geschehen, in dem die verschiedensten Interessen aufeinandertreffen und sich unheimlich spannende Sachen tun. Den Kapitalismus könnte man knicken, wenn es nur um Ausbeutung und glänzende Waren und Entfremdung und all den Scheiß ginge. Aber der Markt ist eben nicht nur eine gesellschaftliche Organisation, die das, was menschliche Produktivkraft vermag, tückisch ungerecht verteilt, sondern er ist auch ein Spektakel. Eines, das Sinn produziert, und Narrative, Dramaturgien und Visionen.
In dieser ewig laufenden Show gibt es ruhigere Passagen und dramatischere Ereignisse, Abkühlungen, Erhitzungen, Explosionen. Es wird uns etwas angeboten, das wir dringend kaufen sollen. Aber wir können ja gar nicht alles kaufen, wir wollen auch gar nicht alles kaufen. Richtig zwingen können uns die Anbieter nicht, etwas zu kaufen, was wir nicht brauchen. Aber da geht es schon los: Was wir brauchen, ist eine Sache von Empfindungen, Verhandlungen, Kommunikationen, von Fiktionen, Ängsten, Begierden. Auf dem Markt werden wir angesprochen, bis in die tiefsten Tiefen der inneren Regionen, wir sind Opfer und Täter, Menschen, die sollen, und Menschen, die wollen. Und so gehen wir auf den Markt zu einem Kampf um uns selber. Der Hype ist der plot point, der Augenblick, in dem man sich fühlt, in dem sich Angebot und Nachfrage wie zwei rasende Geliebte oder wie zwei Sumo-Ringer begegnen.
Die Anbieter der Waren und die Adressaten müssen miteinander kommunizieren. Darin steckt Gewalt, darin steckt Verführung, darin steckt Drohung, darin stecken der Bruch und die Verbindung. Ich weiß, was du willst, und du kriegst es. Ich weiß, was ich will, und ich kriege es. Nie, niemals ist das, was ich kriege, wirklich, was ich will. Nie, niemals ist das, was ich will, was ich kriege. Ich gehe mit dem Begehren auf den Markt, und ich weiß, dass ich enttäuscht werde. Der Markt ist nämlich in Wirklichkeit nicht das Leben.
Der Markt ist allerdings alles, was der Fall ist. Ein Hype entsteht, wenn sich die Anstrengungen eines Anbieters (einer Ware, einer Idee, einer Performance, einer Verhaltensweise, einer Partei) und die Energien der Adressaten wechselseitig verstärken, so dass aus kontrollierter Marktmanipulation und unkontrolliertem Begehren ein Geschehen entsteht, das nicht nur das begehrte Objekt, sondern das Leben der Adressaten selber meint.

Die Voraussetzungen für den Hype sind:

Utopischer Gehalt: Das Objekt des Hype ist mehr als das Ding. Es verspricht Lösungen für existentielle Probleme. Es wird mir helfen, bislang unüberbrückbare Abgründe in meiner Biographie zu überwinden. Es wird Teil meiner selbst werden.

Praktischer Nutzen: Das gehypte Ding oder die Idee sind in das Alltagsleben einzubauen und verändern, mindestens für eine Zeit, den Alltag selber. Das gehypte Ding ist zugleich ein soziales Instrument. Es füllt eine Lücke (auch wenn ich vorher nicht wusste, dass da eine war).

Innovation: Irgendwas am gehypten Ding war noch nie da, verspricht einen Schritt in die Zukunft, nimmt uns im Fortschritt mit.

Flache Verbindlichkeit: Das Objekt des Hype ist nicht kategorial, es gibt ganz unterschiedliche Tiefen der Identifikation und des Engagements. Den Hype kann man auch »ganz am Rande« mitmachen.

Erwerbbarkeit: Man muss das Objekt des Hype kaufen oder es sich auf andere Weise aneignen können (wie durch ein Kreuz auf dem Wahlschein). Es darf sich nie auf reine Metaphysik oder reine Ideologie beschränken.

Distinktion: Das gehypte Objekt muss mir nicht nur Identifikation versprechen, sondern auch einen Distinktionsgewinn. Irgendjemanden oder irgendetwas muss das gehypte Ding immer auch verachten, irgendwas oder irgendjemand ist auch »Feind« des Hype (und wenn es ihn nicht gibt, dann erfindet man diesen Feind).
Narrativ: Der Erwerb des gehypten Dinges muss mit gewissen Mühen und Konflikten behaftet sein. Man kriegt es nicht, man muss es sich holen. Das gehypte Ding ist die Belohnung dafür, dass man die Mühen auf sich genommen hat, es zu erwerben. Eine Schlange vor dem Kino oder vor dem Apple-Store kann gar nicht lang genug sein; das meiste, was im normalen Leben als lästig oder frustig angesehen wird, wird durch den Hype heilig und lustvoll.

Leichte Transzendenz: Das Hype-Objekt ist eines, das zumindest das Potential zu einem Kultobjekt in sich hat. Nicht nur durch seine Erwartungs- und Erlösungsdramaturgie nimmt es religiöse Züge an. Es hat die Form einer Erscheinung.
Man könnte diese Bestimmungen noch ein wenig fortsetzen, vor allem in Hinblick auf die äußeren Umstände. Ein Hype funktioniert ja nur, wenn das richtige Objekt zum richtigen Zeitpunkt erscheint, und auch dieser richtige Zeitpunkt ist zugleich Ergebnis komplizierter Beobachtungen und Berechnungen durch die Markt­experten und behält einen Teil Unberechenbarkeit, ja Irrationalität. Der Hype ist mittlerweile in der Tat im Zustand seiner wissenschaftlichen Berechnung, jedenfalls was seine Rolle bei den Einführungen neuer Technologien (vorwiegend digitaler Art) anbelangt. Jackie Fenn führte in ihrer Untersuchung »The Micro­soft System Software Hype Cycle Strikes Again« 1995 den Begriff des Hype-Zyklus ein, der sich einerseits als »Aufmerksamkeitskurve« in einem Diagramm darstellen lässt (wobei wir gewiss ein wenig Schwierigkeiten mit der Quantifizierung von »Aufmerksamkeit« haben: Hier benutzt man die Anzahl von Artikeln und Sendungen, die Häufigkeit der Klicks und Likes, die Nachfrage nach Informationen etc.), andererseits aber als ein Drama in fünf Akten:

Die Auslösung: Das neue Produkt wird vorgestellt, zunächst als Projekt einer Problemlösung, als Sensation in der Fachwelt und als Echo in den Kreisen der Szene der Prosumer. Die Erwartung steigt, indem immer mehr Informationspartikel verstreut werden, gerne auch in der Form von Gerüchten und manipulierten Indiskretionen.

Der »Gipfel der überzogenen Erwartungen«: Die Berichte, Gerüchte und Meinungen haben ein solches Ausmaß angenommen, dass Erwartung und Enthusiasmus eine Überschussenergie erzeugten. Jetzt muss das Ding einfach her. (Und wenn es jetzt nicht kommt, war der Aufwand umsonst. Eine todsichere Katastrophe erzeugt man, indem man genau an diesem Zeitpunkt die Erscheinung des Hype-Objekts – einen Film, ein Konzert, eine Spielkonsole, eine »politische Entscheidung« etc. – verschiebt.)

Das »Tal der Enttäuschung«: Der kritische Punkt ist erreicht, wenn das gehypte Produkt endlich auf den Markt kommt und die überzogenen Erwartungen gar nicht erfüllen kann. Nun wechselt die Verantwortung für den Hype von den ursprünglichen Erzeugern über die Vermittler und Trittbrettfahrer zu den Adressaten. Die Vermittler müssen erklären, dass das gehypte Ding doch so toll ist, wie es versprochen und erwartet wurde. Das ist manchmal gar nicht so einfach. Die Konsumenten versammeln sich um das Objekt des Hype, um es gegen die Kräfte der Enttäuschung und der Kritik zu verteidigen. Entweder ist ihr Enthusiasmus tatsächlich groß genug, um das Tal der Enttäuschung zu überstehen, oder aber sie müssen ihre Enttäuschung verdrängen. Wenn die öffentliche Aufmerksamkeit nachlässt, übernehmen sie es (zum Beispiel in Internet und sozialen Medien), sie wieder anzuheizen (oder zu simulieren).

Was Fenn den »Pfad der Erleuchtung« nennt, ist nun der Weg der Konsolidierung. An die Stelle des Enthusiasmus tritt eine Kennerschaft. Das gehypte Objekt wird zum notwendigen Teil der kulturellen Identität und des medialen Alltags. Auf die große Erwartung und die hysterische Verteidigung (Geburt) des Dings folgt eine scheinbar sachlichere Bewertung. Auf gar keinen Fall darf man zugeben, dass man als Vermittler eine Fehleinschätzung vornahm oder als Konsument einen Fehlkauf tätigte. Das gehypte Ding muss entweder in den Rang der selbstverständlichen Gebrauchs übergehen oder in ein Kultobjekt verwandelt werden. Man kann sich ein Leben ohne das gehypte Ding gar nicht mehr vorstellen (und das auch, wenn man durch ein Tal der Enttäuschung gehen musste). So sammelt der vierte Akt der Hype-Dramaturgie die Nachzügler und Zögerer ein, da aus der Hysterie Konformität geworden ist. Dieser vierte Akt ist auch insofern dringend notwendig, weil er die negativen Energien der Enttäuschung so vollständig wie möglich überdeckt. (Es existiert übrigens in den technischen Innovationszyklen auch eine Phase der möglichen Korrekturen und kleinen Updates.) Die Aufmerksamkeit etwa in Form der Berichterstattung und des Medienechos flaut in dieser Phase natürlich ab, aber zur gleichen Zeit wird der Gegenstand des Hype zu einer Referenzgröße für kenner. Ob man es toll findet oder nicht, man kann es sich nicht leisten, diesen Gegenstand des Hype zu ignorieren.

Das »Plateau der Produktivität« ist erreicht, wenn das technische Ding allgemein als Mittel der Lebensverbesserung und der Kommunikation eingesetzt wird. Was den Pop-Sektor anbelangt, könnte man wohl von einer semantischen Akzeptanz oder von einer kommunikativen Produktivität sprechen. Das Objekt des Hype ist jetzt ein Teil der Kultur geworden, der nach Ausweitung verlangt, die sozusagen von selber funktioniert und keines neuen Hype bedarf. Das Objekt des Hype bekommt Fortsetzungen, Nachahmer, Spin-Offs, im »besten« Fall wird aus dem Hype ein Genre. Dann breitet sich eine Ruhe aus, in der sich langsam, aber ziemlich sicher die Erwartung des nächsten Hype aufbaut.
Es ist noch nicht so lange her, da wurde der Begriff Hype fast ausschließlich im negativen Sinne einer übertriebenen Beeinflussung des Konsums durch die Kulturindustrie und ihre Vermittler benutzt. Den Hype galt es immer zuerst einmal zu durchschauen und dann abzulehnen. Allenfalls in den aufgekratztesten und besinnungslosesten Arealen der Unterhaltungskultur begann man mit einer positiven Bewertung. Der Unterschied zwischen den Hypes und dem Hippen wurde minimalisiert. Wenigstens ironisch machten sich dann die ersten DJs den Begriff zu eigen, und mittlerweile ist im Prosumenten-Sprech der Hype etwas durchaus Positives: Es gibt eine Musiksuchfunktion mit Namen »Hype Machine«, ein Management namens Hypeinnovation, ein Mac-App, einen Energy Drink, ein Hype Magazine, eine Modelinie, eine Werbeagentur und so weiter und so fort. In einer Kultur des Hype zu leben, macht offensichtlich immer weniger Menschen etwas aus. Einen Hype zu verpassen, scheint schlimmer, als von einem Hype verarscht zu werden.
Mit dieser allgemeinen Akzeptanz freilich verliert der Hype auch seine ursprüngliche dramatische Energie. Ein archaisches und dramatisches Geschehen zwischen Markt und Konsumenten, zwischen Ökonomie und Kultur ist in einer Welt kaum noch so zu bezeichnen, wo jeder Furz, den ein Werbefuzzi lässt, schon ein Hype sein soll, wo ein großer Kinofilm formel­haft nach den Hype-Zyklus-Regeln in die Kinos gebracht wird, und wo man zwischen einem Interesse und einem Hype nur noch unscharf unterscheiden kann. Das Paradoxon ist: Das Mittel, mit dem der Markt seine Alltagsroutine überschreiten wollte, ist selber zur Alltagsroutine geworden.