Eine kleine Geschichte des Whistleblowing

Die netten Verräter

Eine kleine Geschichte des Whistleblowing.

Berühmte Whistleblower? Klar, Julian Assange, Bradley Manning, Edward Snowden – und dann ist meist auch schon Schluss mit der Aufzählung, denn in Deutschland wurde das merkwürdige Wort erst mit Wikileaks richtig bekannt. In den USA ist es dagegen seit Jahrzehnten gebräuchlich, denn »Whistleblower« erinnert nicht von ungefähr an den Pfiff eines Schiedsrichters, der eine unfaire Aktion anzeigt – der US-amerikanische Verbraucherschutzaktivist und -anwalt Ralph Nader hatte es bereits in den frühen siebziger Jahren benutzt, um die lange gebräuchlichen negativ konnotierten Begriffe wie »Verräter« oder »Spitzel« zu vermeiden.
Spektakuläre Fälle gab es schließlich schon lange vor Snowden und Co., vor allem im Unternehmensbereich. 1996 etwa trat mit Jeffrey S. Weigand ein führender Manager einer Tabakfirma im CBS-Magazin »60 Minutes« auf, um zu enthüllen, dass Zigaretten gezielt Zusatzstoffe beigemengt wurden. Zu den politisch brisantesten Enthüllungen zählen wohl die des bis vor kurzem anonym gebliebenen FBI-Mitarbeiters Deep Throat, die zum Bekanntwerden der Watergate-Affäre führten. Auch wenn der dazugehörige Begriff erst seit kurzem in Deutschland bekannt ist, ist anonymes Whistleblowing nicht erst seit Wikileaks möglich.

Das LKA Niedersachsen bietet etwa seit rund zehn Jahren auf seiner Website die Möglichkeit, ohne Namensnennung online Meldungen über Korruption und Wirtschaftskriminalität einzureichen – wer möchte, kann sich, so die Behörde, allerdings auch einen Account mit Nickname und Passwort anlegen, um auf Wunsch Rückmeldungen zu erhalten oder Fragen zu beantworten. Das Vertrauen in die kriminalpolizeiliche Anoymitätszusicherung scheint recht groß zu sein, laut LKA nutzten bislang 2 600 Personen die Whistleblower-Funktion. Die Polizei Baden-Würtemberg bietet einen ähnlichen Service, nicht nur für Wirtschaftskriminalität, sondern auch für anonyme Hinweise auf Rechtsextremismus.
Dass Whistleblower dabei straffrei bleiben sollten, auch wenn sie Dinge verraten, die ihre Arbeitgeber lieber geheim halten wollen, ist im übrigen auch keine ganz neue Idee.
In den USA sorgte kurz nach der Unabhängigkeitserklärung die Beschwerde von zehn Seeleuten für das erste Gesetz zum Schutz von Whistleblowern. Im Winter 1777 war das Kriegschiff »Warren« in Providence, Rhode Island, vor Anker gegangen, wo sich die Männer trafen, um gemeinsam gegen den Kommandeur der Continental Navy, Commodore Esek Hopkins, vorzugehen. Ihr Vorhaben war riskant, denn der Befehlshaber stammte aus einer der einflussreichsten Familien von New England, aber schweigen wollten die Revolutionäre nicht länger. Hopkins hätte gefangene britische Soldaten »inhuman und barbarisch« behandelt und gefoltert, erklärten zehn Whistleblower in ihrem Schreiben, das als Petition von einem Marinekapitän namens John Grannis vor den Continental Congress gebracht wurde. Die Politiker fanden die Argumentation wohl überzeugend, denn sie beschlossen am 26. März 1777 die Entlassung Hopkins von seinem Posten. So einfach wollte sich der ehemalige Oberbefehlshaber allerdings nicht geschlagen geben, vor dem Gericht von Rhode Island reichte er Klage gegen sie ein. Zwei Seeleute, Samuel Shaw und Richard Marven, die sich zufällig vor Ort befanden, wurden daraufhin inhaftiert, erklärten jedoch zu ihrer Verteidigung, sie seien verhaftet worden, »weil wir ­etwas taten, was wir für nichts als unsere Pflicht hielten und halten«. Der Kongress schloss sich ihrer Sichtweise an und erließ ein Gesetz, das festlegte, dass es in der Tat die Pflicht »aller Personen, die im Dienst der Vereinigten Staaten stehen, sowie aller anderer Einwohner« sei, »den Kongress oder Behörden über Fehlverhalten, Betrug und Vergehen zu informieren, die durch Offiziere oder andere Personen, die im staatlichen Dienst stehen, begangen wurden«. Darüber hinaus wurde den beiden Inhaftierten vom Continental Congress Geld für die Verteidigungskosten zur Verfügung gestellt.
Für Esek Hopkins bedeuteten Entlassung und Enthüllung seiner Folterpraktiken allerdings nicht, dass er vor Gericht gestellt wurde. Bis zu seinem Tod im Jahr 1802 lebte er in Rhode Island, sein Wohnhaus steht auf der Liste der nationalen Kulturdenkmäler, von 1903 bis 1946 waren drei Kriegsschiffe nach ihm benannt.

Edward Snowden kann von einem solchen Ausgang seines Falls derzeit nur träumen. Allerdings hat er auch nur teilweise mit klassischem Whistleblowing zu tun, denn im Gegensatz zu den berühmten Informanten wie Deep Throat handelt es sich beim derzeit auf dem Moskauer Flughafen Festsitzenden eben nicht um einen klassischen Insider, der durch Vorgänge an seinem Arbeitsplatz derart schockiert ist, dass er sich schließlich an die Öffentlichkeit wendet oder Behörden informiert. Snowden hat vielmehr, wie er selber der South China Morning Post in einem Interview am 12. Juni erklärte, die Stelle bei Booz Allen Hamilton bereits mit dem Ziel angetreten, später Einzelheiten über das US-Spionageprogramm veröffentlichen zu können. »Meine Position garantierte mir Zugang zu Listen mit den Maschinen in der ganze Welt, die von der NSA gehackt wurden«, sagte er, »das ist der Grund, warum ich sie vor drei Monaten angetreten habe.« Etwas später bekräftigte er in einem Chat, dass er sogar Gehaltseinbußen in Kauf genommen habe, um »spezifische Arbeiten« zu erledigen: »Booz waren nicht diejenigen, die mich am besten bezahlt haben.« Allerdings dürfte die Firma wohl zu den argloseren Unternehmen der Branche gehören, denn Snowden gelang es, mit selbst angefertigten electronic keys in Bereiche einzudringen, die eigentlich für ihn verschlossen sein sollten, ohne dass dies auffiel.