Die Vorratsdatenspeicherung wird zum Thema im deutschen Wahlkampf

Kein Anlass zum Umdenken

Seit den Enthüllungen von Edward Snowden diskutieren die Parteien in Deutschland wieder über die Vorratsdatenspeicherung. Ernsthaft in Frage gestellt wird sie allerdings von niemandem.

»Alle Gesprächspartner hier verstehen, dass es in Deutschland und Europa eine große Sensibilität gibt beim Schutz der Privatsphäre«, sagte Hans-Peter Friedrich in der vergangenen Woche nach einem Treffen mit dem US-amerikanischen Vizepräsidenten Joe Biden. Ungewohnte Worte aus dem Munde jenes CSU-Bundesinnenministers, der dafür bekannt ist, mit Trojanern auf private Computer zugreifen und jegliche Anonymität im Internet aufheben zu wollen. Damit nicht genug, haben einzelne Unionspolitiker mittlerweile sogar die Vorratsdatenspeicherung kritisiert. Werden nach den Enthüllungen Edward Snowdens nun selbst die konservativsten Europäer zu Liberalen?
Laut der europäischen Vorratsdatenspeicherrichtlinie von 2005 müssen die EU-Staaten ihre Telekommunikationsanbieter per Gesetz verpflichten, personenbezogene Kommunikationsdaten ohne jeglichen Anlass mindestens sechs Monate zu speichern, damit zur Aufklärung von Verbrechen auf sie zugegriffen werden kann. Deutschland setzte die Richtlinie 2006 durch ein Gesetz um, 2010 erklärte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz wegen datenschutzrechtlicher Mängel für verfassungswidrig. Seitdem streitet die Regierungskoalition um ein neues Gesetz: Während die FDP für eine liberale Überarbeitung der Richtlinie eintrat, waren die Unionsparteien für die Umsetzung. Plötzlich aber wurde nun die Forderung nach der Vorratsdatenspeicherung aus dem Wahlprogramm gestrichen. Allerdings: Es haben sich nur die Begriffe geändert, die Rede ist nunmehr von »Mindestspeicherfristen für Verbindungsdaten« – genau das fordert die europäische Richtlinie.

Die Unionsparteien müssen keine Entrüstungsstürme aus der rot-grünen Opposition befürchten. Brigitte Zypries, Mitglied im »Kompetenzteam« von Peer Steinbrück, forderte vergangene Woche die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung – als Justizministerin unter Gerhard Schröder hatte Zypries die europäische Richtlinie bereits als »gutes Beispiel für einen sachgerechten Interessenausgleich zwischen den Freiheitsrechten der Bürger und dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung« bezeichnet. Die Grünen gerieren sich demgegenüber gerne als Bürgerrechtspartei – der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Wolfgang Wieland, kritisierte allerdings im Juni einmal mehr, dass Deutschland die Richtlinie noch nicht umgesetzt habe. Auch mehrere rot-grüne Landesregierungen haben sich für die Einführung der Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen.

Damit bleibt die »Linke« die einzige Partei im Bundestag, die gegen jede Art der Vorratsdatenspeicherung streitet. Die Piratenpartei schafft es hingegen nicht, aus der gegenwärtigen Debatte politisches Kapital zu schlagen. Zwar sind die Oberpiraten derzeit gefragte Gesprächspartner in den Talkshows des Landes. Allein damit ist keine Partei zu machen, die Umfragewerte dümpeln wie vor den Enthüllungen Snowdens bei drei Prozent. Das Eintreten für Datenschutz und Bürgerrechte kann die Führungsquerelen und rechts­extremen Umtriebe einzelner Parteimitglieder ebenso wenig vergessen machen wie die Tatsache, dass kaum ein Mensch weiß, wofür die Piratenpartei ansonsten politisch eintreten würde, wenn sie denn im Bundestag säße.
So wird es dem Europäischen Gerichtshof vorbehalten bleiben, einzelne Korrekturen an der Vorratsdatenspeicherung vorzunehmen. Vergangene Woche wurde in Luxemburg darüber diskutiert, ob die Richtlinie mit den europäischen Grundrechten vereinbar sei. Die Richter stellten kritische Fragen an die Vertreter der Kommission und wiesen – zu Recht – darauf hin, dass es ­keine Beweise dafür gebe, dass die langwierige Datenspeicherung der Aufklärung und Bekämpfung von Verbrechen diene. Experten gehen ­davon aus, dass der Gerichtshof jedenfalls die sechsmonatige Speicherfrist als grundrechtswidrig verwerfen wird. Das Urteil wird für Ende dieses Jahres erwartet.