Die Debatte um die NSA in den USA

Yes, we scan

In den USA ist die Debatte über die Überwachung durch die NSA und Prism weniger schrill als in Europa, doch die Stimmung ändert sich langsam.

»Happy Birthday America, hier ist das Macy’s Program zum 4. Juli«, schallt die Stimme des Moderators aus den Lautsprechern auf den Piers am Hudson River in New York. Tausende Schaulustige säumen die Flussufer, um das traditionelle Großfeuerwerk, organisiert von der Kaufhaus­kette Macy’s, am Abend des amerikanischen Unabhängigkeitstags zu beobachten. Die Nationalhymne wird kurz angespielt, dann wird zügig zu den Auftritten von Stars wie Mariah Carey übergegangen, Kostüme in den Farben der Landes­flagge sind zu sehen, doch die Menschen sind vor allem zum Feiern gekommen.
Ein paar hundert Meter südlich demonstrierten Stunden zuvor einige hundert Menschen gegen die NSA und das Prism-Programm. Kostüme und Slogans gibt es auch hier zu sehen. »Yes we scan« oder auch »Restore the Fourth«. Gemeint ist der vierte Verfassungszusatz, der den Amerikanern eigentlich ein Leben frei von ungerechtfertigten Durchsuchungen und Beschlagnahmungen garantiert. »Restore the Fourth« ist auch der Name der Koalition von Internetaktivisten, die für den 4. Juli zu landesweiten Protesten gegen die NSA-Überwachung aufgerufen hatte. Proteste in 50 Städten waren die Folge. Bei den »größten Protesten in Boston, Washington, D.C., New York und San Francisco« seien jeweils »etwa 500 bis 1 000 Menschen« zusammengekommen, teilten die Organisatoren mit. Dieselbe Koalition brachte im vorigen Jahr vorerst SOPA, die mit Acta vergleichbare Gesetzesinitiative über ein verschärftes Copyright, zu Fall. Nun wollen die Internetaktivisten eine Graswurzelkampagne beginnen, die die Regierung dazu bringen soll, den vierten Verfassungszusatz einzuhalten.
Über »eine Überwachungsmaschine, die unsere Freiheit auffrisst«, klagt Oliver Stone in einem mit düsterer Musik untermalten Video der American Civil Liberties Union (ACLU). Die Überwachung durch die NSA sei ein »ein bestürzender Angriff auf die Verfassung«, urteilte Rand Paul, ein republikanischer Senator aus Kentucky. ­Oliver Stone, Regisseur von Filmen wie »Natural Born Killers« und »Born on the Fourth of July«, ist ein ehemaliger Unterstützer Barack Obamas, Rand Paul ist Tea-Party-Aktivist und Liebling vieler junger Rechtslibertärer in den USA. Auch Edward Snowden spendete 2012 mehrmals für Paul.
Abgesehen davon reagierte das politische Establishment der USA jedoch wenig empört und schloss sich trotz vereinzelter Forderungen nach besserer Information weitgehend der Regierungsposition zu den Enthüllungen über das Überwachungsprogramm Prism an. Überwacht würden nur Ausländer, versicherte diese. Die Überwachungsmaßnahmen seien begrenzt, der Kongress sei über die Programme informiert gewesen und habe sie »seit 2006 mehrmals« gebilligt und verlängert, so Obama. Aufgezeichnet würden lediglich Metadaten, und das sei nötig, um »potentielle Hinweise auf Personen, die vielleicht ­terroristische Aktionen planen«, zu erhalten. »Keiner hört den Inhalt ihrer Telefongespräche ab«, beruhigte der Präsident seine Bürger. »­Abstrakt« könne man »über Big Brother klagen«, aber »wenn Sie auf die Details schauen, sehen Sie, dass wir die richtige Balance getroffen haben«, so der Präsident.

Das Bekanntwerden von neuen Einzelheiten des Drohnenprogramms zur »Terroristenjagd«, hungerstreikende Gefangene in Guantánamo, die im Mai aufgedeckte Überwachung von Reportern von Associated Press – das linksliberale Image von Obama hat in letzter Zeit gelitten. Das Spionagegesetz wurde unter Obama häufiger angewendet als unter George W. Bush – der Prozess gegen Whistleblower Bradley Manning läuft ­gerade. Bush zeigte sich vorige Woche in einem Interview sehr zufrieden damit, dass Obama wichtige Teile seiner Anti-Terror-Politik fortgeführt habe. »Ich denke, dass der Präsident die Gefahren, vor denen die USA steht, erkannt hat, als er ins Oval Office kam«, lobte der sichtlich entspannte ehemalige Präsident im Urlaub in Tansania ­Obama. »Er hat getan, was nötig ist«, so Bush.
Obwohl die systematische Überwachung von Internet, Telefon- und Briefverkehr genügend Grund zur Empörung bietet, war die Reaktion des durchschnittlichen Amerikaners im vorigen Monat eher schulterzuckende Gleichgültigkeit, stellte das linke Magazin The Nation fest. Nach über zehn Jahren Krieg gegen den Terror habe sich Amerika an die Normalität von Überwachung gewöhnt und »zeige ein hohes Maß an Toleranz gegenüber Behauptungen der Regierung, was nötig sei zur Terrorbekämpfung«, schrieb die New York Times. Auf Twitter seien die Reaktionen eher ironisch und fatalistisch gewesen, bemerkte die Huffington Post.

Doch allmählich regt sich der Protest. Eine Petition auf der Homepage des Weißen Hauses für die umgehende Begnadigung des »Helden« Edward Snowden für alle etwaigen »Verbrechen« durch sein Whistleblowing erhielt im vergangenen Monat 129 000 Unterschriften, ein offener Brief an den Kongress mit der Forderung, alle Spionage-Programme der NSA offenzulegen, fand 550 000 Unterstützer. Am 4. Juli probten dann die Aktivisten von »Restore the Fourth« zum ersten Mal den Protest auf der Straße.
Eine neue Umfrage belegt, dass die amerikanische Öffentlichkeit einen Monat nach Beginn des Skandals langsam ihre Meinung ändert. Nachdem Umfragen zum Thema seit Jahren gleichbleibende Zustimmung zu weitreichender Überwachung zeigten, ermittelte die Umfrage der Quinnipiac University »eine massive Meinungsverschiebung«. Eine relative Mehrheit von 45 Prozent gab an, die Terrorbekämpfung der Regierung verletze Bürgerrechte zu sehr, 40 Prozent meinen, die Maßnahmen gingen nicht weit genug; 2010 waren das noch 63 Prozent. 54 Prozent sehen Edward Snowden als Whistleblower und nur 34 Prozent als Verräter. Während 53 Prozent der Befragten erklären, das Programm zur Überwachung aller Telefonanrufe in den USA dringe zu weit in die Privatsphäre der Bürger ein, erklären gleichzeitig 54 Prozent, das Programm sei »nötig, um die Sicherheit zu garantieren«.
Unterdessen baut die NSA ihre Kapazitäten weiter aus. In diesen Tagen wird das neue Datenzentrum der NSA in Bluffdale, Utah, fertiggestellt. Wenn das 1,2 Billionen Dollar teure Computerzentrum im September in Betrieb geht, wird die NSA auf 140 000 Quadratmetern weitere Speicher- und Rechenkapazitäten im Umfang von fünf Zettabytes haben. Das entspricht 250 Milliarden DVDs. Betreut werden sollen sie von 200 Technikern. Die eigentlich geheimen Informationen darüber stammen von Bill Binney, einem weiteren Whistleblower und ehemaligen technischen ­Direktor der NSA-Einheit »World Geopolitical and Military Analysis Reporting Group«. »Mit fünf Zettabytes lassen sich etwa 100 Jahre weltweiter Kommunikation, Telekomunikation, E-Mails und weiteres speichern«, sagt Binney. Doch das ist offenbar nicht genug. Die NSA baut bereits an einem weiteren Datenzentrum nahe ihres Hauptquartiers in Fort Meade in Maryland.
Die Mitglieder von »Restore the Fourth« raten derweil empörten Amerikanern, ihre Volks­vertreter in Kongress und Senat anzurufen, und planen weitere Demonstrationen. In einer kurzen Stellungnahme zu den Demonstrationen am 4. Juli erklärte die NSA, sie habe »keine Einwände gegen jeglichen gesetzestreuen und friedlichen Protest«. Die NSA und ihre Mitarbeiter würden »fleißig und gesetzestreu, jeden Tag und rund um die Uhr« am Schutz der Nation und ihrer Bürger« arbeiten.