Talmi

Deckel drauf!

Gar nicht auszudenken, wohin die Welt schlingerte, gäbe es keine Verpackungsingenieure mehr. All diese ­filigranen Milchtütenreißleinenringe, all diese glänzenden »Hier ziehen«-Wimpel, all die mehrfach in sich gefalteten und beinah nicht-euklidischen, den Raum krümmenden Kartonagen, all diese hauchdünnen Einkaufstüten, die erst beim Verlassen des Ladens platzen – wie schlicht wäre unser Leben, wenn alles, wie anno Großmama, nur in kruppstählernen Konserven daher­käme. Ja, und was täte die Hygieneindustrie, wenn nicht alle Tage ein schlecht geöffneter Orangensaft-Tetrapak sich in die Küchen ergösse; wenn nicht abgerissene Laschen und geplatzte Ventile für einen Saustall in der Stube sorgten? Nein, der Verpackungsingenieur ­verdiene Preis und Sang, sein Lebenspartner streichle ihm abends aufmunternd übers vom Sinnieren über Aluummantelungen und Einspritzwinkel heißgelaufene Köpfchen. Neueste Leistung des Berufsstands ist der abziehbare Klebesticker auf M&Ms-Packungen, der dafür sorgt, dass die Nusstüte das höchste Prädikat erhält, das eine bundesdeutsche DIN-Verpackung erringen kann: »wiederverschließbar« zu sein. Denn es geht nicht an, dass alles ehedem Verpackte entgrenzt durchs Weltall kullert. Ordnung muss sein! Die Wiederverschließbarkeit ist die Exit-Strategie des entfesselten Konsumismus: Ja, der Überfluss ist gewaltig, überall schmelzen die Butterberge, werden Lebensmittel vernichtet, doch lässt sich der Verschwendung ein Riegel vorschieben, in Form ­eines kleinen Klebestreifens. Er wird uns retten vor der Warenflut, und allzeit zu loben ist der wackere Verpackungsingenieur, der uns diese Waffe in die Hand gedrückt hat: die Büchse der Pandora, wiederverschließbar.

Leo Fischer ist Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.