Kommentiert die NSA-Affäre

Rechte fordern Rechte

Nur knapp scheiterte im US-Repräsentantenhaus der Antrag, die Befugnisse der National Security Agency einzuschränken.

Die Generalsekretäre der großen Parteien sind entsetzt, doch ein CDU-Abgeordneter will sich der Fraktionsdiszplin nicht beugen. Es sei eines Rechtsstaates unwürdig, dass Bundesbürger ohne Anlass überwacht werden, deshalb werde er beantragen, den Geheimdiensten kein Steuergeld mehr für die verdachtsunabhängige Datenaufzeichnung zur Verfügung zu stellen. Nach ­einer kontroversen Debatte wird der Antrag mit knapper Mehrheit abgelehnt, doch haben ihm 40 Prozent der Abgeordneten von CDU/CSU und FDP zugestimmt.
Ja, das klingt wie ein Märchen – in Deutschland. In den USA aber ist in der vorigen Woche so ­etwas geschehen. Mit nur zwölf Stimmen Mehrheit lehnte das Repräsentantenhaus den Gesetzesantrag des republikanischen Abgeordneten ­Justin Amash ab, der National Security Agency (NSA) die Finanzierung ihrer US-Amerikaner ­betreffenden Überwachungsprogramme zu entziehen. 94 der 218 republikanischen Abgeordneten stimmten für das Amash Amendment, die ­meisten stammen wie der Initiator aus den Reihen der Rechtslibertären und der Tea Party.
In diesem Milieu hasst man den Sozialstaat, für affirmative action und Feminismus hat man höchstens Spott übrig, und wenn die NSA Ausländer überwacht, interessiert das kaum jemanden. Wenigstens aber haben die Rechtslibertären und auch viele Konservative in den USA ein Bewusstsein für ihre eigenen Rechte und ihre individuelle Freiheit, das sich in vergleichbaren Milieus in Deutschland nie entwickelt hat und in anderen europäischen Staaten zu schwinden scheint.
Auch in Europa gibt es den NSA-Programmen vergleichbare Überwachungsmaßnahmen, deren Ausmaß nur deshalb geringer ist, weil es den Geheimdiensten an technischen Möglichkeiten fehlt. Doch sieht man von einigen Journalisten des Guardian ab, ist vom angelsächsischen Liberalismus derzeit wenig zu hören. Auch die Franzosen erwecken nicht den Eindruck, als wollten sie die Bastille ihres Geheimdienstes DGSE stürmen. In Deutschland gilt als liberal, wer in ökonomischen und gesellschaftlichen Fragen denkt wie ein amerikanischer Rechtslibertärer, aber glaubt, der Staat wisse in Sicherheitsfragen schon, was für die Bürger gut sei.
Besser als die meisten der angeblich so um den Datenschutz besorgten Europäer haben die Rechtslibertären in den USA begriffen, dass es beim Kampf gegen den Überwachungsstaat nicht allein um ein spezifisches Bürgerrecht, sondern um das grundsätzliche Verhältnis zum Staat geht: Der Bürger darf nicht generell als verdächtig gelten. Da es in den USA auch eine starke linksliberale Bürgerrechtsbewegung gibt, sind dort die Chancen für eine gesetzliche Einschränkung der Überwachung – weitere Anträge ­werden bereits vorbereitet – größer als in Europa.
An der Gesetzestreue von Agenten darf gezweifelt werden, doch kann in den USA mit dem Freedom of Information Act (FOIA) oft die Veröffentlichung von Geheimdokumenten erzwungen werden. Der FOIA wurde 1966 unter dem Druck der Bürgerrechtsbewegung beschlossen, es gab jedoch bereits damals eine überparteiliche Zusammenarbeit. Um die Stimmen seiner republikanischen Kollegen im Kongress warb der spätere Verteidigungsminister Donald Rumsfeld.