Der Prozess gegen die Revolutionären Zellen in Frankfurt

Ein langer Prozess

Vor dem Frankfurter Landgericht findet der wohl letzte Prozess gegen zwei mutmaß­liche Mitglieder der Revolutionären Zellen statt.

Am 6. August sollte es zum vorerst letzten spannenden Termin im Prozess gegen die Revolutionären Zellen (RZ) kommen – zumindest wenn es nach den Wünschen der Frankfurter Staatsanwaltschaft gegangen wäre. Diese hatte Hermann F. als Zeugen der Anklage geladen. Hermann F. wollte 1978 gegen die argentinische Militärdiktatur protestieren und nachts eine Bombe am argentinischen Konsulat in München deponieren. Der letzte Test jener Bombe endete allerdings für Hermann F. verhängnisvoll. Die Bombe explodierte auf seinem Schoß, in der Folge mussten ihm beide Beine amputiert werden und er verlor sein Augenlicht. Entscheidend hieran für den Prozess gegen die 80jährige Sonja Suder und den 72jährigen Christian Gauger – die beiden Angeklagten im RZ-Prozess – ist, dass Hermann F. bereits 24 Stunden nach dem Erleiden der schweren Verletzungen von Ermittlungsbehörden verhört wurde – und belastende Aussagen über ­Suder und Gauger machte. Das Verhör fand unter fragwürdigen Umständen statt: Hermann F. wurde unter dem Einfluss von starken Schmerzmitteln und ohne jede Orientierungsmöglichkeit befragt. Laut eigener Aussage stand Hermann F. zu diesem Zeitpunkt »voll unter deren Fittichen«, wie er 1980 in einem Brief befand, der gleichsam auch einen Widerruf seiner Aussagen darstellte. In der Regel würden Aus­sagen wie die 1978 gewonnenen aufgrund ihres fragwürdigen Entstehens vor Gericht nicht zu­gelassen. Im Prozess gegen die RZ verhält sich das anders: Die vorsitzende Richterin Bärbel Stock verweigerte sich bisher der Begutachtung Hermann F.s durch einen unabhängigen Traumatologen und hält an der Verwertbarkeit der damaligen Aussagen fest. Das verwundert nicht, sind diese doch die einzigen Beweise im Verfahrenskomplex RZ, in dem den beiden Angeklagten die Beteiligung an drei Brand- und Sprengstoffanschlägen vorgeworfen wird.

Konkret handelt es sich, neben der Brandstiftung am Heidelberger Schloss von 1978, um einen Sprengstoffanschlag auf die Nürnberger Niederlassung der Firma MAN 1977 sowie einen Anschlag auf die Firma KSB in Frankenthal im selben Jahr. Beide Firmen waren als Zulieferer im Atomgeschäft tätig. MAN pflegte während des Apartheid-Regimes Geschäftsbeziehungen mit Südafrika. Hierin wird ein Merkmal der damaligen RZ-Politik deutlich: Die Revolutionären Zellen verfolgten den Anspruch, ihre Aktionen über Kämpfe in sozialen Teilbereichen hinaus zu erweitern. Bei den RZ handelte es sich um eine heterogene Organisation, deren Anspruch es war, militante Politik unter den Aspekten der »Vermittlung, Vermassung und Verankerung« zu praktizieren. So sollten die Aktionen in Kampagnen der legalen Linken eingebettet sein. Durch eigens produzierte Diskussionsorgane wie den Revolutionären Zorn versuchten die RZ, ihren Aktionen und Diskussionen Transparenz zu verleihen, nicht zuletzt um eine Beteiligung interessierter Aktivisten zu vereinfachen. Dies, aber auch die Tatsache, dass die Politik der RZ im Gegensatz zur RAF und der Bewegung 2. Juni nach Möglichkeit aus der Legalität heraus praktiziert wurde, ermöglichte ein kontinuierliches politisches Handeln. Ebenso konti­nuierlich waren die Verfolgungsbemühungen des deutschen Staates. Der Umgang mit Hermann F. ist nur ein Beispiel unter vielen. Suder und Gauger tauchten Ende der siebziger Jahre nach der Enttarnung durch Hermann F. in Frankreich in die Illegalität ab. Später musste er 1999 von seiner Lebensgefährtin Suder nach einem Herzinfarkt im Untergrund reanimiert werden. Zwei Jahre später wurden sie in Paris festgenommen. Zur Empörung der deutschen Behörden wurden sie allerdings nicht ausgeliefert, da im französischen Recht der Tatbestand der »Bildung einer terror­istischen Vereinigung« nicht vorhanden ist. Das Leben in der Legalität endete erst mit dem neuen, durch die deutschen Behörden beantragten euro­päischen Haftbefehl. Der 2006 eingeführte europä­ische Haftbefehl verpflichtet alle Mit­glieds­staaten der EU unabhängig von der eigenen Rechts­lage zur Auslieferung ins Antragsland. Schließlich wurden auch Gauger und Suder im September 2011 an die Bundesrepublik ausgeliefert.

Seitdem sitzt Suder in Untersuchungshaft, während Gauger wegen seines gesundheitlichen ­Zustands davon verschont blieb. Suders lange Inhaftierung ist auch ihrer mutmaßlichen Verstrickung in den Opec-Anschlag geschuldet. So wirft die Staatsanwaltschaft ihr neben den genannten Sprengstoffanschlägen auch die Unterstützung der Geiselnahme auf die Minister­konferenz der Erdölexportierenden Länder (OPEC) 1975 in Wien vor. Suder soll die Geiselnehmer teilweise angeworben für diese Waffen besorgt und sich somit des Mordes – bei dem Anschlag kamen drei Menschen ums Leben – mitschuldig gemacht haben. Zwar handelt es sich bei den Sprengstoffanschlägen der RZ und dem Opec-Anschlag um zwei unterschiedliche Themenkomplexe – und doch werden sie in einem Gerichtsverfahren verhandelt. Dies verwundert nicht bei einem Prozess, der von Beginn ein politischer gewesen zu sein scheint.

So vielschichtig der Prozess ist, so umfassend ist auch die Solidarität, die den Angeklagten entgegengebracht wird. Alte, aber auch junge Genossen aus verschiedensten Lebensabschnitten der Angeklagten, auch aus ihrer Zeit in Frankreich, begleiten den Prozess und organisieren Solidaritätsarbeit und Prozessbeobachtung. Grund zum Jubel hatten die Prozessbesucher, die dem Aufruf zur Prozessbeobachtung der Soligruppe »Verdammtlangquer« gefolgt waren, Anfang voriger Woche: Die bisher vier Monate andauernde Beugehaft gegen Sybille S., der ehemaligen Lebens­partnerin F.s, die als Zeugin jede Aussage verweigert hatte, wurde aufgehoben. Darüber hinaus erschien Hermann F. nicht, entschuldigt durch ärztliche Gutachten, die eine Verschlimmerung seines Zustandes durch eine Befragung vor ­Gericht für möglich hielten. Das Gericht sah unter diesen Umständen von weiteren Vorladungen F.s vorerst ab und will nun klären, inwieweit seine Aussagen aus dem Jahre 1978 zu verwerten sind. Da die Anschuldigungen ausschließlich auf diesen Aussagen F.s beruhen und im Zusammenhang mit dem Opec-Anschlag der Belastungs­zeuge Hans-Joachim Klein kaum Brauchbares aussagte, steht die Anklage auf tönernen Füßen. Doch selbst wenn es zu einer Verurteilung kommen sollte, die radikale Linke in Frankfurt hätte ­etwas gewonnen: Der Prozess forcierte eine neue innerlinke Auseinandersetzung mit der Politik der Revolutionären Zellen und somit einem nicht ganz unbedeutenden Teil der eigenen Geschichte.