Über Alkoholerzeugung trotz der Verbote in verschiedenen Ländern des Nahen Ostens

Mach es selbst!

Selbstgemachter Wein aus dem eigenen Badezimmer, ein palästinensiches Oktoberfest und ein Bier, das gebraut wird, um den Krieg zu vergessen. In den Ländern des Nahen Ostens macht der Verbot von Alkohol erfinderisch.

Schon der große persische Astronom, Mathematiker und Dichter Omar Khayyam schrieb im 11. Jahrhundert Gedichte über »Wein und Liebe«. Verse wie diese stammen aus seiner Feder: »Was predigst du vom Fasten und vom Beten? / Statt zur Moschee lass uns ins Weinhaus treten, / Füll Krug und Becher, eh’ sie deinen Staub, / Khayyam, zu Krügen und zu Bechern kneten.« Die Stadt Shiraz, nahe der antiken Hauptstadt Persepolis, im Süden des Iran, war damals berühmt für ihre Weinberge und unter Reisenden bekannt dafür, den besten Wein der Welt zu erzeugen. Die heute beliebten edlen Shiraz-Rotweine werden allerdings in Australien produziert, mit Trauben der Shiraz-Sorte, die zu den ältesten der Welt gehören und ursprünglich aus dem Iran stammen. Seit 1979 ist der Weinbau im Iran nur zur Produktion von Tafeltrauben und Rosinen erlaubt.
Das ehemalige Persien ist zum Land der Koran-Ideologen geworden, doch auch hier, wie in anderen Ländern des Nahen Ostens, haben die Produktion und der Genuss alkoholischer Getränke überlebt. Mit der Machtergreifung der Ayatollahs 1979 wurde der Konsum von Alkohol zur Todsünde erklärt, ganz zu schweigen von der Produktion. Aber mit dem Alkoholverbot kam auch der Wille, es umzugehen, auf. Verbote machen erfinderisch und so werden alkoholische Getränke in privaten Räumen nicht nur konsumiert, sonder nicht selten auch hergestellt, in kleinen Kammern oder auch in der eigenen Badewanne.
»Seit Jahren machen wir Wein in unserem Badezimmer«, sagt Ayazé*, die mit ihrem Ehemann Reza* in Teheran wohnt. »Manchmal organisieren wir kleine Partys, unseren Freunden schmeckt der Wein sehr gut«, fügt Reza mit gewissem Stolz hinzu. Trauben, Zucker, Antioxydationsmittel und zusammengebastelte Geräte reichen, um der Fatwa und den Kontrollen der Tag und Nacht patrouillierenden Basij-Milizen und Revolutionsgarden ein Schnippchen zu schlagen.Aber auch, wenn private Wohnungen selten durchsucht werden, geht ein großes Risiko ein, wer Feiern organisiert, bei denen Alkohol angeboten wird.
»Beeil dich, die sind da.« Diesen Satz hört man oft in den Wohnungen von Teheran, in denen Menschen versuchen, das Leben ein wenig zu genießen. In vielen Vierteln haben die Anwohnerinnen und Anwohner eine Art Wache organisiert, um sich gegenseitig zu warnen, wenn Basij-Milizen oder Revolutionsgarden auf der Straße gesichtet werden. Dann verbreitet sich die Warnung schnell von Fenster zu Fenster. Es geht auch nicht nur um Alkohol. »Wir müssen auch jedes Mal aufs Dach, um die Satellitenschüssel herunterzunehmen, denn wenn sich auch nur eine offene Haustür findet, kommen sie hoch und nehmen uns die Schüssel weg«, erzählt Vartan*, ein Iraner armenischer Abstammung, der im Stadtzentrum wohnt. »Aber mittlerweile achten die meisten darauf, dass die Türen geschlossen bleiben, so braucht man auch nicht jedes Mal die Flaschen zu verstecken«, sagt er, während er stolz auf die Flaschen mit reifem Cognac und Wein zeigt, die er regelmäßig aus Armenien bezieht. Alkohol schmuggeln ins Reich der Ayatollahs, wie geht das überhaupt? »Ich habe so meine Tricks«, sagt er schmunzelnd und deutet an, nichts Weiteres verraten zu wollen. »Außerdem werde ich als Christ nicht so streng kontrolliert wie andere.«
Neben selbstgemachtem Wein und Arak, dem beliebten Anisschnaps, gibt es auf dem florierenden Schwarzmarkt, von dem viele vermuten, dass er von den Mullahs selbst kontrolliert wird, auch Hochprozentiges. Allerdings kann eine Flasche bis zu 120 Euro kosten.

Nicht verstecken müssen sich, um ein Glas zu trinken, die Kurden im Nordirak. Die Kurden sind bekannt für ihren Alkoholgenuss und Irakisch-Kurdistan ist auch als die »Bar des Nahen Ostens« bezeichnet worden. Auf den Straßen der Hauptstadt Arbil und in Suleymaniah reiht sich in der Tat eine Bar an die andere, neben Läden, die jede erdenkliche Sorte alkoholischen Getränks anbieten.
»Wir sind zwar Muslime wie die Iraker«, lacht Mustafa, der bei Emergency in Suleymaniah arbeitet, »aber wir sind viel lockerer drauf!« Er sitz am Tisch eines Restaurants mit weiteren fünf Freunden, unter ihnen auch der Lokalbesitzer. Mustafas Fischgericht wird von einer Flasche australischen Weißweins begleitet. Irakisch-Kurdistan ist die autonome kurdische Region Nordiraks. Der Unterschied zum Süden des Irak könnte nicht größer sein. »Wir leben hier in Frieden und alle, die aufgrund der Repression gegen Minderheiten aus dem Irak fliehen, sind bei uns willkommen«, sagt Ra’id, der in Irakisch-Kurdistan geboren wurde, in Bagdad gelebt hat und später wieder in den Norden fliehen musste, weil er zur christlichen Minderheit gehört. »Wir Christen konnten hier in Arbil unsere Aktivitäten wieder aufnehmen, darunter eben auch den Verkauf von Alkohol.« Die Regionalregierung unter Masud Barzani hat natürlich das Geschäft mit Alkohol gefördert, weshalb Kurdistan auch bei internationalen Alkoholkonzernen beliebt ist: Jede bekannte westliche Alkoholmarke kann man hier finden.

Größer könnte der Unterschied zur Stimmung im irakischen Mosul nicht sein. Hier, nur wenige hundert Kilometer von Suleymaniah entfernt, herrschen al-Qaida und die sunnitischen Fundamentalisten. Nicht nur alkoholische Getränke sondern alles, was aus dem Westen kommt, wollen sie von hier vertreiben, Personen inklusive.
Ferdousi Street ist die »Straße der Bücher«, eine der schönsten der Stadt. »Vor 2003 kamen wir jeden Tag hierher und haben auch Wein getrunken«, beschreibt Omar, ein Intellektueller aus Bagdad, die Situation vor dem Sturz des Diktators Saddam Hussein, »heute kommen wir nur freitags her und außer Chai ist nichts erlaubt. Niemand trauert der Diktatur nach, aber das, was danach kam, hat mit Demokratie und Freiheit nichts zu tun«, fasst er eine verbreitete Meinung zusammen.
Nach dem Ende des Regimes von Saddam Hussein hätten die Iraker angefangen, untereinander um die Kontrolle der Städte zu kämpfen: »Schiiten, Sunniten, dazu noch die westlichen Mächte, die die Konflikte innerhalb der Bevölkerung zugespitzt haben.« Man lebe in einem permanenten Angstzustand.
Das kennen die letzten 55 christlichen Familien, die noch in Basra leben, nur zu gut. Die südirakische Stadt, die einst als »Venedig des Nahen Ostens« bekannt war, wirkt heute verlassen.
»Vor dem Krieg gegen den Iran gab es in Basra rund 3 500 christliche Familien, vor dem Krieg 2003 waren es noch rund 1 200. Dann sind alle geflohen«, erzählt der Pfarrer der Stadt, Pater Albanna, und fährt fort: »Wer hiergeblieben ist, ist gegen alles und jeden misstrauisch geworden und man trifft sich nur auf der Sonntagsmesse.« Pater Albanna erzählt weiter, es seien meistens die Christen gewesen, die Alkohol verkauft hätten. »Dann begannen die Anschläge auf Lokale und Geschäfte, die Einschüchterungen, die Entführungen und die Morde. Langsam haben alle die Stadt verlassen.« Heute sieht die Gegend dem nahen Iran immer ähnlicher.

Für Nadim Khoury war es auch nicht einfach. Der 50jährige ist der Besitzer der mittlerweile auch im Ausland bekannten Biermarke Taybeh, benannt nach einem kleinen Dorf nördlich von Jerusalem, in dem hauptsächlich Christen wohnen. Khoury war aus seinem Dorf in die USA ausgewandert, nach Boston. »Dort habe ich alles gelernt, was man über Bier wissen muss«, erzählt der Unternehmer. »Nach den Oslo-Abkommen von 1994 beschloss ich, in meine Heimat zurückzukehren, um das, was ich gelernt hatte, in die Praxis umzusetzen.« Khoury kam mit zwei Freunden zurück, die bereits Erfahrung mit der Bierproduktion hatten, überzeugte mit viel Mühe die Bank, ihm einen Kredit zu gewähren, verkaufte sein Haus in Boston und begann das Geschäft, das aus ihm einen der größten Bierbrauer des Nahen Ostens machen sollte. Taybeh ist auch in Israel sehr beliebt und mittlerweile sogar in Europa bekannt, in Deutschland und den Niederlanden war es auf Festivals vertreten. Aus München kam dann auch die Idee, das Oktoberfest nach Taybeh zu bringen. Das Bierfest findet dort seit 2005 jährlich statt. Einfach ist das trotz des Erfolgs immer noch nicht. »Geschäfte zu machen, ist hier mühsam. Jede Entscheidung, die wir für unser Unternehmen treffen, muss erstmal von den Israelis geprüft werden«, erzählt Kohury. »Nachdem sie die Mauer gebaut haben, mussten unsere LKW einen absurden Umweg durch den Checkpoint in Tarqumya fahren. Jedes Mal wurde die Ladung so penibel kontrolliert, dass unsere Fahrer sehr oft verspätet in den Restaurants in Jerusalem und Tel Aviv ankamen, als die Gäste schon weg waren.« Später schaffte es Kohury, eine Erlaubnis für den viel näheren Checkpoint in Betunya zu bekommen. Sogar im Gaza-Streifen hat Khoury versucht, sich zu etablieren, »mit alkoholfreiem Bier, versteht sich«, lacht er. Denn die dort regierende Hamas hätte nichts anderes erlaubt. Aber aufgrund der Importverbote und der ständigen Kontrolle seien die Aktivitäten nach kurzer Zeit eingestellt worden, da sie sich nicht mehr rentiert hätten. »Jeden Tag gibt es ein neues Problem, und das ist sehr entmutigend für jedes Unternehmen. Warum lassen sie uns nicht frei unsere Geschäfte machen?« empört sich der Bierbrauer. Kohury war bei alledem ein Pionier. Nach seiner Brauerei sind in Betlehem und Ramallah zwei Arak-Destillerien entstanden.

»Jahrhunderte vor Christus hat man im Nahen Osten schon Bier gebraut. Dann kam der Islam und danach kamen die Franzosen, die Bier durch Wein ersetzten«, lacht Mazen Hajjar. Der 36jährige Libanese ist gläubiger Muslim und eine bekannte Person in Libanon. Er ist der Inhaber der bekannten libanesische Biermarke »961«. Deren Geschichte beginnt mit dem zweiten Libanonkrieg im Jahr 2006 in Beirut. »Nachmittags verließen wir nicht das Haus und beteten, nicht von einer Rakete getroffen zu werden«, erinnert sich der junge Unternehmer. »Nachts gingen wir aber in die wenigen Bars, die noch offen hatten, um den Kriegsalltag ein wenig zu vergessen. Irgendwann hatte ich es satt, viel Geld für ausländisches Bier auszugeben.« So beschloss er mit zwei Freunden, sein eigenes Bier zu brauen, »und zwar bei mir zu Hause«, erzählt der ehemalige Fotograf. »961« nannten sie ihr Produkt, nach der internationalen Vorwahl für Libanon. In wenigen Jahren ist Mazen eine berühmte Person geworden. »961« gibt es in sechs Sorten und jede hat einen einzigartigen Geschmack, der mit Hilfe typischer libanesischer Gewürze wie Zatar, Thymian, Anis und Sumach erzeugt wird.
»Das erste Bier, das wir im Jahr 2006 gebraut haben, schmeckte überhaupt nicht«, sagt Mazen, »aber die Freunde kamen zu uns, weil sie darin etwas Besonderes fanden. Dann habe ich mir alle auf Amazon bestellbare Bücher über das Bierbrauen besorgt, vor allem ›Beer School‹ hat mir geholfen, mein Produkt zu verbessern.«
Heute wird »961« in 19 Ländern verkauft, über Mazen und seinen Geschäftspartner Omar gab es Reportagen auf CNN und BBC, die Marke ist im Libanon eine Institution. Und in der Tat scheint der Libanon das Land zu sein, in dem es am einfachsten geht. »Ich bin Moslem, aber mir hat noch nie jemand ein Problem gemacht. Das interessiert niemanden.«

George Kharoufeh, Finanzdirektor der jordanischen Destillerie Eagle in Zarqa, kann nicht dasselbe behaupten. In der haschemitischen Monarchie von König Abdullah II. wird der Alkohol zumindest toleriert, und es gibt zwei Destillerien im Land. Eagle ist ein Familienbetrieb in der Geburtstadt des al-Qaida-Führers Abu Musab al-Zarqawi. »Vor Rund zehn Jahren haben einige Fundamentalisten versucht, über den Zaun unserer Fabrik zu klettern, um alles zu zerstören«, erzählt Kharoufeh, »seitdem haben wir den Zaun erhöht und Wasserkanonen auf dem Dach platziert, um uns zu verteidigen.« Er betreibt sein Geschäft weiter und exportiert seine Produkte in die ganze Welt – aber immer mit Diskretion. Das scheint in vielen Ländern des Nahen Ostens das höchste Gebot zu sein im Umgang mit Alkohol.

Aus dem Italienischen von Federica Matteoni
* Namen von der Redaktion geändert