Der Buster

Dass mein Vater den natürlich unbezahlten, aber nichtsdestoweniger wichtigen Job, den ich heute lobpreisen möchte, ausübte, erfuhr ich im NRW-Wahlkampf 1975. Direkt vor unserem Haus wurde ein Wahlplakat der CDU aufgestellt, mit dem Konterfei Kurt Biedenkopfs. Mein Vater, überzeugter Sozialdemokrat, ärgerte sich maßlos über diese Unverschämtheit. Drei Tage lang tat er nichts anderes als zu wüten, am Morgen des vierten Tages aber trug Biedenkopf plötzlich Hasenohren und -zähne und der Vater ein sehr zufriedenes Lächeln zur Schau. Es wurden diverse Familienfotos vor dem verschönerten Plakat aufgenommen und die Subversivität seiner heimlichen Verbesserung freute meinen Vater noch jahrelang. Er war ein geborener Wahlplakate-Buster. Dass diese Veränderungen busting, also »kaputtmachen« oder »auffliegen lassen«, genannt werden, wusste er nicht. Auch ich habe erst im Zuge dieser Kolumne diesen Namen kennengelernt.
Es ist ein schöner Job, ein guter, Wahlplakate in ihrer meist schlecht zu übertreffenden, nun ja, Plakativität, zu verwahrheiten. Es gibt die Berufsanfänger, die Augen von Kanditaten ausstechen und ihnen damit ihr richtiges, dämonisches Antlitz wiedergeben, die, die Merkel einen Hitlerbart anmalen (ach ja, Hitler halt) oder einfach mit Edding »Deutschland muss sterben« drüberschreiben. Ein Slogan, der im Übrigen selbst mal sterben sollte. Dann kommen die erfahreneren Gesellen, das sind die, die Merkel eine rote Pinocchio-Nase auf ihre eigene kleben – eine verblüffend einfache und richtige Klarstellung – oder die aus dem Satz der CDU »Gemeinsam erfolgreich« durch Wegstreichen das viel bessere »Gemein erfolgreich« oder »Einsam reich« machen.
Die Meister dieser Zunft, die nur nachts arbeitet und damit das Richtige für Spätaufsteher ist, analysieren den vorgegebenen Werbesatz und verbessern ihn, wo es nötig scheint. So wird aus dem unsäglichen NPD-Plakat »Geld für Oma statt für Sinti und Roma« das hübsche »Sauf dich ins Koma mit Geld von der Oma«. Hier bleibt sogar die schräge Grammatik des Originals erhalten. Aus dem SPD-Befehl »Das Wir entscheidet« wird ein herrliches »Das Wirr entscheidet«; bei der populistischen »10 Euro Mindestlohn«-Forderung der Linkspartei wird durch Ausradieren der 0 der Unterschied zwischen Wahlkampf und Realpolitik sichtbar gemacht. Auch schön: »Rassismus und Ausbeutung. So bleibt Deutschland stark« und »Überwachung braucht Weitblick«.
Leider aber werden die Meister der Plakatverbesserer immer weniger. War die Stadt früher voll mit ihren Schönheiten, muss man sie heute fast mit der Lupe suchen und die paar Beispiele, die es gibt, geistern durchs TV und WWW. Schade eigentlich, aber der nächste Wahlkampf kommt bestimmt und vielleicht ist der Nachwuchs dann wieder aktiver. Es wäre doch zu blöd, wenn dieser wunderbare Job aussterben würde.