Die französischen Rechten lehnen eine Intervention in Syrien ab

Kein Blut für Gas

In der Frage eines militärischen Eingreifens in Syrien haben französische Rechtsextreme ihre vermeintliche Friedensliebe entdeckt. Auch französische Rechtskonservative lehnen einen Kriegseinsatz ab.

Friedensliebe erwacht derzeit in Ecken, in denen man sie nicht erwartet hätte. So macht sie sich etwa bei den für gewöhnlich eher martialisch auftretenden Anhängern des Bloc identitaire bemerkbar, einer rechtsextremen außerparlamentarischen Gruppe in Frankreich. Ihre Mitglieder und Sympathisanten sind nicht als sensible Pazifisten bekannt.
Doch die zunächst verkündeten, aber nach einer außenpolitischen Initiative Russlands wieder aufgeschobenen Pläne für ein militärisches Eingreifen der USA und Frankreichs in Syrien empören die »Identitären« sehr. In einer E-Mail-Mitteilung vom 11. September forderte der Bloc identitaire, US-Präsident Barack Obama müsse den Friedensnobelpreis, der ihm 2009 verliehen worden ist, umgehend zurückgeben. An seiner statt solle er Russlands Präsident Wladimir Putin überreicht werden. Putin ist auch aus anderen Gründen ein Vorbild für weite Teile der extremen Rechten: beispielsweise wegen der »Stärkung des russischen Nationalbewusstseins« und der Verschärfung der Einwanderungspolitik gegen Kaukasier und Zentralasiaten. Auch Marine Le Pen, die Vorsitzende des Front National, stimmte aus diesen und anderen Gründen wiederholt Lobeshymnen auf das russische Staatsoberhaupt an.

Ihre Nichte, die 23jährige Abgeordnete und Jurastudentin Marion-Maréchal Le Pen, ging dieser Tage demonstrieren. So nahm sie am 9. September an einer Protestkundgebung vor der Botschaft des Golfstaats Katar in Paris teil. Ihre Schärpe, durch die Mitglieder der französischen Nationalversammlung und andere Mandatsträger sich bei öffentlichen Auftritten zu erkennen geben, trug sie allerdings nicht. Mit der Kundgebung sollte gegen die Rolle Katars in Syrien protestiert werden, vorgeblich wegen der Notwendigkeit, die syrischen Christen zu schützen.
Die Website des Observatoire de la Christianophobie hatte ursprünglich zu der Kundgebung aufgerufen. Der Observatoire versteht sich als »Beobachtungsstelle für Christenfeindlichkeit« und als Antwort auf öffentliche Vorwürfe, in Frankreich würden Muslime diskriminiert. Vor allem richtet sich die rechtsextreme Initiative ­gegen »Inländerbenachteiligung«. Derzeit ruft sie lautstark zu einer Unterstützung des syrischen Regimes auf, das als Schutzmacht der Christen im Land dargestellt wird. Ähnlich hatte die extreme Rechte bereits im Fall des Regimes von Saddam Hussein argumentiert, dessen Vizepräsident Tarik Aziz ein Christ war. Als drohendes Szenario wird ein militärischer Sieg von al-Qaida und anderen islamistischen Kräften ausgemalt.
Zu den nur schwach besuchten linken Demons­trationen gegen eine mögliche US-amerikanische und französische Intervention in Syrien hatte die von Marion-Maréchal Le Pen besuchte Kundgebung keine Verbindungen. Zu unterschiedlich waren die Ausgangspunkte. Regimenahe und mit Fahnen ausgestattete Syrer nahmen allerdings an der rechtextremen Kundgebung teil. Regimeanhänger und Rechtsextreme unterschiedlicher Couleur beteiligten sich auch an den ersten Antikriegsdemonstrationen Ende August. Eine solche Kundgebung in Paris war zwar von Linken und Linksnationalisten geprägt, aber auch Anhänger Assads mischten sich darunter, während die rechtsextreme verschwörungstheoretische Website »Cercle des Volontaires« ausführlich live von der Kundgebung berichtete.
Manche Linke zogen daraus inzwischen die Schlussfolgerung, solchen Kundgebungen entweder fernzubleiben oder auf einer klaren räumlichen Trennung zwischen sich und Anhängern des syrischen Regimes sowie französischen Rechtsextremen zu beharren. Als einzige Möglichkeit, sich abzugrenzen, betrachten viele ra­dikale Linke, die gegen einen Militärschlag eintreten, inzwischen Aufrufe, in denen explizit der politische und militärische Sieg der syrischen Opposition über das Regime und zugleich die Unterstützung progressiver Oppositionsgruppen gefordert wird.

Die extreme Rechte hat keinerlei Schwierigkeiten, sich positiv auf das Folter-, Massaker- und Giftgasregime in Damaskus zu beziehen. Ein wichtiger Lobbyist für Assad in Frankreich ist seit mindestens 15 Jahren Frédéric Chatillon, ein ehemaliges führendes Mitglied der gewalttätigen rechtsextremen Studentengruppe Groupe Union Défense. Mittlerweile betreibt er eine eigene Security-Firma, die oft Aufträge für den Front National übernimmt. Chatillon ist auch ein informeller Berater und persönlicher Freund der Parteivorsitzenden Marine Le Pen. Sein langjähriger Gewährsmann im syrischen Regime war bis vor kurzem der ehemalige Verteidigungsminister Mustafa Tlass. Dessen Sohn, Manaf Tlass, desertierte ­allerdings aus der Armee des Regimes und lebt derzeit im Pariser Exil, wo er sich 2012 vorüber­gehend als »Mann für die Zukunft des Landes« ins Gespräch zu bringen versuchte. Seitdem dürfte der Vater an politischer Bedeutung verloren haben.
Die Wählerschaft des rechtsextremen Front National ist derzeit jene in Frankreich, die eine ­internationale Intervention in Syrien mit Abstand am stärksten ablehnt. Dies ist vorwiegend mit einer rechten, nationalistischen Spielart des Neutralismus zu erklären, die weit verbreitet ist und auf der Vorstellung beruht, man dürfe kein wertvolles französisches Blut »für fremde Interessen« vergießen. Zudem sei die Idee einer Demokratisierung Syriens ohnehin weltfremd und mit Arabern nun einmal nur eine Diktatur zu machen.
Ein militärisches Eingreifen Frankreichs in Syrien lehnen in jüngsten Umfragen etwa 50 Prozent der sozialdemokratischen Wähler sowie 60 bis 70 Prozent der konservativen und wirtschaftsliberalen Wähler ab, deren Partei, die derzeit oppositionelle UMP, in der Interventionsfrage gespalten ist. Hingegen sprechen sich über 80 Prozent der rechtsextremen Wähler gegen einen militärischen Angriff aus.
Auch anlässlich der »Sommeruniversität« des FN am Wochenende in Marseille – etwa 4 000 Anhänger der extremen Rechten nahmen teil, annähernd ebenso viele Leute kamen zu einer Gegendemonstration – machte Marine Le Pen eine eventuelle Intervention in Syrien zum Thema. Sie prangerte an prominenter Stelle in ihrer Rede die angebliche »Unterwürfigkeit Frankreichs gegenüber den USA« an.
Alain de Benoist, einer der bekanntesten Ideologen der Neuen Rechten, trat Ende August in der französischsprachigen Version des iranischen Staatsfernsehens IRIB auf. Mit dem Argument, internationale Politik dürfe nicht auf Moral, sondern müsse auf Interessen gegründet sein, kritisierte er, dass die US-Regierung den Giftgaseinsatz in Syrien anprangere, nur um sich unmittelbar darauf zu beschweren, die USA setzten ihre Interessen skrupellos durch. Selbstverständlich machte de Benoist dem syrischen Regime, Russland und europäischen Staaten keinerlei Vorwürfe dieser Art.

Doch nicht nur die extreme Rechte lehnt einen Militäreinsatz Frankreichs und der USA in Syrien ab. Am rechten Rand der Konservativen ist Gleiches zu vernehmen, mit ähnlichen Argumenten. Die rechtskatholische Abtreibungsgegnerin und frühere Ministerin Christine Boutin etwa organisierte mit ihren Gefolgsleuten ebenfalls eine Kundgebung zur Syrien-Frage. Und Gruppen der Protestbewegung gegen die Homosexuellenehe, die sich das erste Halbjahr 2013 hindurch in Frankreich betätigt hat und deren Ausläufer nach wie vor öffentlich in Erscheinung treten, finden sich seit August wieder zusammen, wenn es um die Möglichkeit eines Kriegseinsatzes in Syrien geht. La convergence des luttes, also das »Zusammenlaufen der Kämpfe«, um gemeinsam über gesellschaftliche Alternativen jenseits von Teilbereichskonflikten nachzudenken – diese Idee versuchte die politische Linke seit 1968 in Protestbewegungen hineinzutragen. Derzeit arbeiten jedoch Rechte aller Schattierungen emsig daran.