Matthew Levitt im Gespräch über die Hizbollah in Syrien

»Die Hizbollah bleibt gefährlich«

Mit ihrem Einsatz in Syrien scheint die schiitische Miliz Hizbollah mehr Feindschaft auf sich zu ziehen. Matthew Levitt ist ein US-amerikanischer Islamismus-Experte am Washington Institute for Near East Policy und Leiter des dortigen Programms für Terrorismusbekämpfung und Geheimdienste. Zuvor arbeitete er unter anderem als Be­rater für das Außenministerium der USA. Er ist Autor mehrerer Bücher. In seinem gerade erschienenen Buch »Hezbollah: The Global Footprint of Lebanon’s Party of God« (Georgetown University Press) gibt Levitt ein umfassendes Bild der weltweiten Aktivitäten der Hizbollah. Mit ihm sprach die Jungle World über die Terrororganisation und von ihr derzeit ausgehende Gefahren.

Seit Hassan Rohani zum neuen Präsidenten des Iran gewählt wurde, liest man in vielen deutschen Zeitungen von einem »Sieg des Reformers« und es wird eine schrittweise Öffnung des Iran erwartet. Steht tatsächlich ein »neuer Iran« vor dem Durchbruch? Und was wird sich für die vom Iran unterstützten Terrorgruppen ändern?
Rohani ist nicht der erste »moderate« Präsident des Iran. Hashemi Rafsanjani, der 1989 gewählt wurde, und auch Mohammed Khatami wurden immer wieder als moderat bezeichnet. Laut US-Geheimdienstinformationen war Rafsanjani jedoch während seiner achtjährigen Amtszeit für eine ganze Reihe von terroristischen Anschlägen verantwortlich. Die CIA sprach damals offiziell davon, dass der Iran punktuelle Terroraktionen als legitim ansehe und als politisches Werkzeug nutze. Aber unabhängig davon, wie Rohani die Diskussion um das iranische Nuklearprogramm beeinflussen wird, zeigt die Geschichte der Islamischen Republik, dass die sogenannten moderaten oder reformistischen Präsidenten keinen Einfluss auf die Steuerung der vom Iran finanzierten Terrorgruppen haben. Die Hizbollah und die al-Quds-Brigaden liegen außerhalb des Einflussbereichs des Präsidenten.
Wie geht es der Hizbollah heute im Jahr 2013? Kann man das Engagement in Syrien an der Seite Bashar al-Assads als Präsentation der eigenen Kraft verstehen oder ist es ein verzweifelter Kampf, um zu retten, was vielleicht noch zu retten ist?
Die Hizbollah mischt sich seit Beginn der Aufstände 2011 in Syrien ein. Sie hat sich dafür entschieden, an der Seite des Assad-Regimes, seiner alawitischen Unterstützer und des Iran gegen die sunnitischen Rebellen zu kämpfen. Damit hat sich die Hizbollah selbst in den Mittelpunkt eines sek­tiererischen Konflikts gestellt, der nichts mit dem behaupteten Zweck ihrer Existenz, nämlich dem Widerstand gegen die israelische Besatzung, zu tun hat. Die Folgen für die Hizbollah sind klar: Sie ist nun nicht mehr nur eine Bewegung des Widerstands gegen Israel, sondern eine sektiererische Miliz und eine Vertreterin iranischer Interessen auf Kosten muslimischer Glaubensbrüder.
Gibt es unter den Sympathisanten der Hizbollah im Libanon Unterstützung für diese neue Parteilinie oder wird die neue Entwicklung abgelehnt?
Für eine Gruppe, die sich immer als Vorreiterin im Kampf gegen die Unterdrückung und für die Rechte der Vertriebenen dargestellt hat, ist es natürlich fatal, sich plötzlich auf Seiten eines bru­talen alawitischen Regimes wiederzufinden. Die Hiz­bollah, die die Fremdsteuerung durch den Iran bislang stets heruntergespielt hat, riskiert gerade, ihr in weiten Teilen der ihr freundlich gesinnten Bevölkerung mühevoll aufgebautes Image zu zerstören. Um die Basis zu befrieden, versucht die Führung der Hizbollah, die Teilnahme am Krieg gegen die größtenteils sunnitische syrische Opposition mit dem Anliegen zu begründen, schiitische Muslime zu beschützen.
Wie sieht der praktische Einsatz der Hizbollah in Syrien aus?
Sie setzt sich mit ihren besten Einheiten dafür ein, dass Luft- und Boden-Korridore für die Lieferung von Waffen und Geld des iranischen Regimes offen bleiben. Vor dem syrischen Bürgerkrieg landeten iranische Flugzeuge auf dem Flughafen von Damaskus, von wo aus die Fracht auf syrische Militärlastwagen geladen und direkt in den Libanon transportiert werden konnte. Die Hizbollah versucht nun, die Regierungstruppen zu stärken, um insbesondere die Kontrolle über den Flughafen und die Hauptstraßen in Richtung Libanon zu behalten. Auch die Küstenregionen mit den dortigen Häfen sollen unbedingt gehalten werden.
Was wäre die Zukunft der Hizbollah, sollte Assad die Macht über diese wichtigen Teile Syriens verlieren?
Der Krieg in Syrien hat das wahre Gesicht der Hizbollah entblößt. Die Mehrheit der sunnitisch-arabischen Welt verachtet die Hizbollah, das heißt, dort wird sie keinen verlässlichen Partner mehr finden können. Sie würde im Fall einer Niederlage Assads einen ihrer wenigen strategischen Bündnispartner verlieren und wäre von der direkten militärischen und finanziellen Unterstützung aus dem Iran abgeschnitten.
Das heißt, auch wenn Assad seine Macht behält, ist die Hizbollah deutlich geschwächt?
Der Syrien-Krieg ist für die Hizbollah schon jetzt ein Desaster. Die sunnitischen Staaten werden sie isolieren. Das würde sie von Assad und dem Iran abhängig machen wie nie zuvor. Die sek­tiererische Gewalt wird so schnell nicht aufhören und kann jederzeit den Libanon in ein tiefes Chaos stürzen – immerhin gehört mehr als ein Viertel der Libanesen der sunnitischen Glaubensrichtung an. Es ist möglich, dass die Hizbollah in ihrer verzweifelten Lage auf spektakuläre Terroranschläge setzt, als Versuch, den Verlust an Einfluss und Ansehen auszugleichen.
Was wären die Konsequenzen, wenn die Hizbollah eine Terroroffensive zur Rückgewinnung der verlorenen Sympathie gewinnt?
Die Hizbollah hat in Syrien bedeutende Verluste erlitten, bleibt aber weiter bedrohlich. Das Raketenarsenal an der Front zu Israel ist riesig. Aber auch das internationale Netzwerk an Mitgliedern und Sympathisanten ist in der Lage, terroristische Anschläge auszuführen. Im Juli vergangenen Jahres wurden bei einem Anschlag der Hizbollah auf einen Bus mit israelischen Touristen in Bulgarien sieben Menschen getötet (Jungle World 30/2012). Im Mai dieses Jahres konnten Hiz­bollah-Mitglie­der in Nigeria mit einer beträchtlichen Menge an schweren Waffen festgenommen werden. Sie werden beschuldigt, Anschläge auf israelische und westliche Ziele geplant zu haben. Im Zuge dieser und weiterer Attentate hat die US-Regierung die Hizbollah als ein expansives internationales Netzwerk beschrieben, das Geld und Agenten schicke, um terroristische Anschläge auf der ganzen Welt zu verüben.
Wie schafft es die Hizbollah, neben Wohltätigkeitsprogrammen für die Wählerschaft, ihren großen militärischen Arm zu finanzieren?
Jährlich erhält sie um die 200 Millionen US-Dollar aus dem Iran und auch aus Syrien gibt es finan­zielle Unterstützung. Daneben bringt sie jährlich viele Millionen dadurch auf, dass sie gerade in Europa und den USA Spenden sammelt. Die sogenannte Partei Gottes ist auch in die organisierte Kriminalität verstrickt und macht durch Zigarettenschmuggel, Kreditkartenbetrug, Geldfälschung und den Handel mit Drogen und gefälschten Medikamenten enorme Gewinne.
Das ägyptische Militär geht derzeit aggressiv gegen Jihadisten im Sinai und die Hamas im Gaza-Streifen vor. Die Hizbollah bündelt all ihre Kräfte in Syrien und das Chemiewaffenarsenal in Syrien steht unter internationaler Beobachtung. Hat sich dieses Jahr also zu einem sehr erfolgreichen Jahr für die Sicherheitsinteressen Israels entwickelt?
Insgesamt war es ein erfolgreiches Jahr für die israelische Sicherheit, wenn man sich die relativ geringe Zahl terroristischer Angriffe ansieht. Doch der Konflikt in Syrien ist noch lange nicht gelöst und es besteht nach wie vor die Gefahr, dass er sich ausdehnt. Man darf auch nicht vergessen, dass Israel regelmäßig durch eigene Aktionen zur aktuellen Sicher heitslage beiträgt. Die achttägige Operation »Pillar of Defense« in Gaza hat die Hamas sehr geschwächt und durch die Abwehrra­keten des »Iron Dome« konnten einige Raketeneinschläge auf bewohntem Gebiet verhindert werden. Neben der Bekämpfung des damals alltäglichen Terrors aus Gaza wurden von der israelischen Luftwaffe diverse Angriffe geflogen, um den Schmuggel von gefährlichen Waffen zu verhindern – so beispielsweise im Sudan, im Libanon und Syrien. Und während der Iran zwar einen neuen Präsidenten hat, mit einer harmloseren Rhetorik als der seines Vorgängers Mahmoud Ahmadinejad, bleibt ein Angriff auf den Iran – sollten die von Israel formulierten roten Linien überschritten werden – weiterhin möglich, um eine iranische Atombombe zu verhindern. Israel hat sich bislang erfolgreich verteidigt, aber die Region bleibt brandgefährlich und ganz gleich wie heftig die Feinde Israels gerade untereinander konkurrieren: Israel wird das Ziel weiterer Anschläge bleiben.