»Rebel Girl – Popkultur und Feminismus« von Tine Plesch

Das Gedöns im Pop

Die 2004 verstorbene Journalistin und Radiomoderatorin Tine Plesch untersucht in ihren Texten und Vorträgen die Geschlechterverhältnisse in der Popkultur. Jetzt sind ihre wichtigsten Aufsätze in dem Band »Rebel Girl« erschienen.

Büste und Büstenhalter« lautet der Titel des ersten Essays in dem Band »Rebel Girl«, der die wichtigsten Texte der 2004 verstorbenen feministischen Autorin Tine Plesch versammelt. Es geht um Brüste, die als zu klein oder unansehnlich gelten und über die sich frau lieber selbst lustig macht, statt es den anderen zu überlassen. Und schon ist die 1959 geborene Autorin beim Thema: bei den Brüsten auf den Platten- und Zeitschriften-Covern der siebziger Jahre. »Meine Mutter«, schreibt Plesch, »grummelte über die SPD, die schuld an der Sexwelle sei, und über Willy Brandt mit seinen Frauengeschichten. Sie kam aus Norddeutschland, war aber ein Fan von Franz Josef Strauß. Als ich klagte, dass meine Brüste nicht größer wurden, tröstete sie mich damit, dass sich das ändern würde, wenn ich erst Kinder hätte.« Plesch geht es darum, »Projektionsflächen zu verweigern« und Weiblichkeitszuschreibungen zu destruieren. Sie wehrt sich dagegen, dass Musikerinnen zuallererst als Frauen wahrgenommen werden. Die Texte nehmen eine feministische Perspektive auf das Musikbusiness ein, die das musikalische Schaffen von Frauen nicht jenseits von Geschlechterpolitik beschreiben will.
Der Titel »Rebel Girl« geht auf den gleichnamigen Song der Gruppe Bikini Kill zurück, die die Riot-Grrl-Bewegung prägte. Das Buch versammelt 15 Essays und acht Rezensionen der Musikjournalistin, Radioaktivistin und Feministin, in denen sie herrlich schnodderig, gleichwohl durchdacht und treffsicher, in die popkulturellen und feministischen Diskussionen der Jahrtausendwende entführt. Entschieden sagt sie der postfeministischen Haltung, die den Sexismus für witzig und sexy hält, den Kampf an und kennt keine Scheu, machistisches Verhalten als das zu bezeichnen, was es ist: als »lästig«, »unerträglich« und »unsäglich«. Sie untersucht die Strukturen des Patriarchats und zeigt, dass die vorgeblich objektive Sicht auf den Pop – von wegen: Es geht ja nur um gute Musik – gar nicht existiert. Sie verrät die Taschenspielertricks, mit denen die in ironischer Anlehnung an einen Ausspruch von Gerhard Schröder »Gedöns« genannte Frauenpolitik aus der Musikkritik ausgeblendet wird. Der These, dass der Sexismus im HipHop nur eine Inszenierung sei, widerspricht Plesch entschieden: »Alles nur Posing!, lautet der beliebteste Einwand. Doch genauso gut stehen diese Texte und steht diese Sprache für eine schnelle Bereitschaft, Streit eskalieren zu lassen. Verbale Gewalt wie auch erzwungener Analsex werden abgefeierte Liedthemen und stehen damit, sofern Pop nicht nur Abbild des, sondern auch Alternative zum Alltag ist, für eine andere Welt, in der der Rapper-Pimp immer Recht hat. Frauen haben keine Position, von der aus sie sprechen können.« So kommentiert Plesch zwei ­Rezensionen männlicher Musikjournalisten zum ersten Album von Sido, in denen Frauenhass und Schwulenfeindlichkeit zu Stilblüten künstlerischen Schaffens verharmlost werden und das aggressive Gebaren des Rappers als lumpenproletarische Geste des Aufbegehrens abgetan wird. Hier einen kühlen Kopf zu bewahren und sich nicht zu kulturalistischen Deutungen hinreißen zu lassen, die einen politischen Standpunkt unmöglich machen, diese Kunst beherrschte Tine Plesch in ihren Texten.
Ausführlich diskutiert sie den Sinn der Bezeichnung »Frauenband« und stellt Überlegungen an, wie ein weiblicher beziehungsweise feministischer Humor beschaffen sein muss, der die Ignoranz und Borniertheit der Heteronormativität in der Popkultur strategisch, politisch und subjektiv auf die Schippe nimmt. »Die Lassie Singers«, so Plesch, »haben sich der Pärchenlüge angenommen und wie wenige die eigene Situation als Musikerinnen-Bohemiennes ironisiert, deren guter Ruf nie in ausreichender Re­lation zu einem gut gefüllten Bankkonto stand. Über die Gräben zwischen Schlankheitswahn und Hunger haben die Lunachicks ebenso gerockt, wie die Wellküren bissige Gstanzerln darüber singen, Sissy Perlinger einen Comedy-Act daraus macht und Les Reines Prochaines das Dilemma in dramatischen Liedern vertonen.«
Plesch unternimmt Streifzüge durch die Musikgeschichte und gräbt beispielsweise die Lebensgeschichte der Musikerin und Saxophonistin Billy Tipton alias Dorothy Lucille Tipton aus, die nur als Mann verkleidet auf der Bühne spielen konnte. Außerdem beschäftigt sie sich mit einem wenig bekannten Essay von Angela Davis über die Zusammenhänge von Blues und schwarzem Feminismus. »Die Blues-Ballade von der sexuellen Abhängigkeit«, schreibt Plesch, »sieht Davis auch im Rahmen eines Austausches zwischen Sängerin und Zuhörerinnen: Der Blues thematisiert im Gegensatz zum Spiritual zwar individuelle Bedürfnisse. Indem sie aber öffentlich (mit)geteilt werden, nebst allen anderen Lebenserfahrungen zwischen Glück und Suff, Reise und Gefängnis, wird deutlich, dass ›Einzelschicksale‹ nicht die persönliche Schuld der Einzelnen sind: Der Blues über eine verprügelte Frau vermittelt der misshandelten Frau im Publikum, dass sie nicht die einzige mit der Erfahrung ist.«
Ein Großteil der Texte erschien zuerst in der Zeitschrift Testcard, deren Mitherausgeberin Plesch seit 1999 war und für die sie im Jahr 2000 auch auf Lesetour ging. In einem Text schildert sie die Lesereise, an der auch der verstorbene Popjournalist Martin Büsser und die Musikveranstalterin Luka Skywalker teilnahmen. Die Debatten drehen sich um Gender-Theorie, Lebensentwürfe von Frauen im Pop und weibliche Stimmen in der Musikkritik und darum, dass man nicht die Peinlichkeiten feministischer Bekenntnisliteratur der Siebziger wiederholen will.
Knapp zehn Jahre nach ihrem Tod infolge einer unerkannt gebliebenen Blutvergiftung bringen die wiederveröffentlichten Texte von Tine Plesch den leicht verblichenen Glanz rebellischer und auch feministischer Versprechen in die Popkultur zurück. Auch wenn die Berührungsängste gegenüber der Idee des Feminismus, die Plesch 2003 noch konstatierte, längst verschwunden sind und das Bekenntnis zum Feminismus heute nicht mehr stigmatisiert wird, hat sich die politische Utopie verflüchtigt, der einstige Kampfbegriff ist zu einem modischen Label der Selbstverwirklichung geworden, das nunmehr Mütter-, Internet- und Bad-Girl-Feministinnen hervorbringt. Eine Umdeutung, mit der Tine Plesch nicht einverstanden gewesen wäre.

Tine Plesch: Rebel Girl – Popkultur und Feminismus. Ventil-Verlag, Mainz 2013, 238 Seiten, 14,90 Euro