Neue Kämpfe in Mali

Der Jihad kehrt zurück

Die Zweifel an einem schnellen Ende der Intervention in Mali wachsen. Eine Situation wie in Afghanistan wird befürchtet.

»Dieser Krieg ist noch lange nicht vorbei«, sagt der Journalist Ousmane Ndiaye. Er arbeitet für die französische Wochenzeitung Le Courrier international und hielt sich die meiste Zeite dieses Jahres in Mali auf. In einem Interview vom 21. Oktober kommt er zu dem Schluss: »Wir sind unterwegs zu einem lange dauernden Konflikt. Länger jedenfalls, als die französischen Offiziellen einräumen.« In der Pariser Zeitung Le Monde wurde am Dienstag ein nicht namentlich genannter französischer Offizier mit den Worten zitiert: »Wir werden nicht 15 Jahre hier bleiben« und in dem Artikel vermutet, er sei vom Gegenteil überzeugt. So sieht es jedenfalls die Reporterin, die nach Gao in Nordmali entsandt worden war, die Hauptstadt einer der drei Regionen im Norden des Landes, die von April vergangenen Jahres bis Anfang 2013 von Jihadisten kontrolliert wurde.

Diese Provinz und ihre Nachbarregionen sind seit Herbstanfang wieder Schauplatz von Kämpfen und Attentaten geworden. Nach mehreren Monaten Ruhe sind nun wieder jede Woche Anschläge zu verzeichnen. Am 25. September explodierte ein Sprengsatz in Timbuktu. Am 7. Oktober wurden mehrere Raketen auf Gao abgefeuert, ein malischer Soldat wurde dabei getötet. Am folgenden Tag wurden in Bentia Teile einer Brücke in die Luft gesprengt. Zuletzt griffen am 23. Oktober ein halbes Dutzend Selbstmordattentäter ein Camp der tschadischen Armee in Tessalit an. Bei dem Überfall starben die Jihadisten, zwei tschadische Soldaten und mindestens ein Kind.
Der Vergleich, der der Reporterin von Le Monde vorschweben mag und den der Journalist Ndiaye explizit anstellt, ist der zum Konflikt in Afghanistan. Dort sind die Taliban auch zwölf Jahre nach Beginn der Intervention einer durch die USA angeführten Koalition nicht etwa besiegt, sondern werden inzwischen sogar wieder stärker. Zumal sie sich dort nun als angebliche Widerstandskämpfer gegen ausländische Invasoren in Szene setzen.
Der Vergleich hinkt allerdings: In Afghanistan sind die Taliban besonders unter den Paschtunen präsent, der größten Bevölkerungsgruppe des Landes. In Mali dagegen nimmt eine deutliche Mehrheit, vor allem Menschen im dicht bevölkerten Süden des Landes, die dortigen Jihadisten als ausländische Eindringlinge wahr.
Seit Ausbruch der Krise im Januar 2012, die mit den Separationsbestrebungen der Tuareg-Guerilla »Nationale Befreiungsbewegung von Azawad« (MNLA) begann, zu der sich jihadistische Gruppen gesellten, ist das Verhältnis der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zueinander oft angespannt. Den »Hellhäutigen« – damit sind die Menschen aus dem Norden des eigenen Landes gemeint, in aller Regel nicht Europäer – wird oft vorgeworfen, Nachfahren von Sklavenhaltern zu sein oder noch heute sklavereiähnliche Beziehungen zu pflegen. Allerdings stellen die Tuareg und die relativ kleine Minderheit der Araber auch im Norden des Landes nirgendwo die Bevölkerungsmehrheit. Anders als oft in europäischen Medien dargestellt, gibt es keine geschlossenen Siedlungsgebiete der Tuareg. Etwa 60 Prozent der Einwohner der Nordprovinzen zählen zu den Songhai.
Eine gewisse soziale Basis für die Jihadisten gibt es, auch wenn sie in Mali nur einen ziemlich kleinen Bevölkerungsteil umfassen dürfte. Erst recht existiert eine Basis für den MNLA als eine Bewegung, die eher auf ethnische als auf ideologische Grundlagen rekrutiert. Seit einem provisorischen Abkommen zwischen der Zentralregierung und dem MNLA vom 18. Juni, das die Abhaltung der Präsidentschaftswahl auch im Norden ermöglichen sollte, herrscht gespannte Ruhe. Die französische Armee steht als Puffer zwischen den Streitkräften der Zentralregierung, deren Vertreter seit Juli wieder in Kidal präsent sind, und den Bewaffneten des MNLA. Nach seinem Amtsantritt im September stellte der neue Präsident Ibrahim Boubacar Keïta klar, er werde eine allgemeine Dezentralisierung für alle Regionen Malis einleiten, lehne aber jeglichen Sonderstatus für den Norden ab, wie der MNLA ihn fordert. Vom 21. bis zum 23. Oktober wurden nun die »Generalstände für die Dezentralisierung« abgehalten. Der MNLA und der ebenfalls bewaffnete jihadistische »Hohe Rat für die Einheit von Azawad« (HCUA) boykottierten die Veranstaltung.

Unterdessen versucht Präsident Keïta immer noch, den MNLA in seine Politik einzubeziehen, zumal einige Fraktionen der französischen Politik die Tuareg-Bewegung unterstützten. Am Dienstag wurden die vom malischen Staat ausgestellten internationalen Haftbefehle gegen vier Anführer von MNLA und HCUA annulliert. Die Exekutive versucht, durch Gesten des guten Willens gegenüber den bewaffneten Rebellen im Norden die Abhaltung der Parlamentswahlen dort zu garantieren. Dabei wird auch in Aussicht gestellt, dass der MNLA durch eigene Abgeordnete im künftigen Parlament vertreten sein kann.
Ein anderer Konflikt, der vor sich hinschwelt, ist der zwischen der derzeitigen Staatsführung und den jungen Offizieren und Soldaten, die durch den Putsch vom 22. März 2012 die alte Oligarchie aus der Regierung vertrieben hatten. Keïta hatte am 25. Juli dieses Jahres, drei Tage vor dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl, einen vielbejubelten Auftritt in ihrer Hochburg, dem Camp Kati in der Nähe Bamakos, absolviert. Aber inzwischen ist die Harmonie vorüber, am 30. September kam es zu heftigen Kämpfen im Camp Kati. Wenige Tage darauf wurde die »Kommission zur Reform der Armee« aufgelöst, an deren Spitze die damalige Übergangsregierung vor einem knappen Jahr den ehemaligen Anführer der Putschisten, Hauptmann Amadou Sanogo, gesetzt hatte. Nach der Wahl von Keïta hatte die alte Regierung als letzte Amtshandlung Sanogo in den Generalsrang erhoben. Doch die neue Exekutive zwang ihn nun Anfang Oktober, Kati zu verlassen und allein nach Bamako umzuziehen.