Wie links ist der Frieden?

Friede den Schlächtern

In den USA arbeiten Rechte und Linke in der Friedensbewegung bereits zusammen. In Deutschland ziert man sich noch, doch schreitet mit der Ablehnung des syrischen Aufstands die Annäherung ans politische Establishment voran.

Die Phrase wird immer noch gern bemüht: »Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg und Gewalt.« Sie findet sich etwa in den Aufrufen zu Ostermärschen und im Aktionsplan des Bundesausschusses Friedensratschlag, wo eine kurze Aufzählung folgt: »Frieden ist Arbeit, Bildung, Gesundheit, Kultur, Sozialaufbau.« Variationen und Ergänzungen sind möglich, gern wird noch der Umweltschutz genannt, hin und wieder tauchen die Menschenrechte auf und bei den »Friedensfrauen Weltweit« ist sogar von der Gleichstellung der Geschlechter die Rede. Aber sollte man nicht auch ein wenig Demokratie wagen, oder womöglich gar ein bisschen mehr Demokratie fordern, als der bürgerlich-parlamentarische Staat gewährt? Doch demokratische Verhältnisse scheinen als entbehrlich zu gelten, jedenfalls in anderen Ländern.
Wer glaubt, mit einem Stichwortkatalog, der auch eine Liste von Ministerien sein könnte, seine Fortschrittlichkeit unter Beweis gestellt zu haben, sollte sich nicht wundern, wenn man sich seiner Parolen auch zu anderen Zwecken bedient. Dass Frieden mehr bedeutet als die Abwesenheit von Krieg, predigte im Juli der Trierer Bischof Stephan Ackermann Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Frieden setze »gerechte Verhältnisse voraus«. Gegen Bildung, Gesundheit, Arbeit und Kultur hat der Bischof vermutlich auch nichts einzuwenden.

Die Aussage, dass es mit der Beendigung militärischer Gewalt nicht getan sei, kann immerhin noch als Bekundung des guten Willens betrachtet werden: Die Welt soll nicht so bleiben, wie sie ist. Doch eine politische Veränderung muss oftmals mit Gewalt erkämpft werden, Revolutionen und Guerillakriege sind nicht friedlich. Früher hat man sich damit beholfen, allein das Ende der ausländischen, in der Regel westlichen Intervention zu fordern. In der Bewegung gegen den Vietnamkrieg konnten die pazifistischen Gruppen die Vietminh ignorieren oder den Ausgang des Krieges nach Abzug der US-Truppen als allein vietnamesische Angelegenheit bezeichnen, die Linken konnten »Ho, Ho, Ho Tschi Minh« rufen. Es hätte wohl auch damals nicht schaden können, etwas mehr über Demokratie und Menschenrechte zu reden, doch im Hinblick auf Arbeit, Bildung, Gesundheit und Sozialaufbau gab es nach dem Sieg der Vietminh Fortschritte.
Die historische Epoche, in der »sozialistische«, faktisch eher jakobinische Bewegungen gegen den Willen westlicher Großmächte die alten Oligarchien entmachteten und eine nachholende kapitalistische Entwicklung durchsetzten, ist jedoch um 1990 zu Ende gegangen. Seitdem haben soziale Probleme nicht an Bedeutung verloren, doch steht die Demokratie im Zentrum der Proteste und Befreiungskämpfe, ob im Senegal, in Myanmar oder in Ägypten. Damit kommt die antikoloniale Emanzipationsbewegung, die zunächst fast überall Dikatoren und Autokraten an die Macht gebracht hatte, zum Abschluss. Arbeit, Bildung und Gesundheit werden nicht mehr als Gaben gesehen, die der geliebte Führer gewährt oder verweigert, vielmehr soll über den Entwicklungsweg demokratisch entschieden werden.
Erneut geht es um nachholende kapitalistische Entwicklung. Das kann man beklagen. Aber wer unter internationaler Solidarität nicht die Verpflichtung der Bewegungen in anderen Ländern versteht, jene To-do-Liste abzuarbeiten, mit der man daheim selbst nicht so recht weiterkommt, sollte den Kampf gegen Diktatur und Autokratie unterstützen. Wenigstens aber sollte man sich dem gesellschaftlichen Fortschritt nicht in den Weg stellen. Doch seit der Libyen-Intervention haben fast alle Gruppen der Friedensbewegung und viele Linke eine offen konterrevolutionäre Haltung eingenommen.

Dies zeigt sich besonders deutlich in der Interpretation des syrischen Bürgerkriegs. Ignorieren wir an dieser Stelle die vielen unseriösen Behauptungen über die Verantwortung für Giftgasangriffe und das Kräfteverhältnis innerhalb der Opposition. Sie sind nur Behelfsargumente zur Rechtfertigung der Forderung, die Opposition solle kapitulieren. Während jegliche Intervention westlicher Staaten einschließlich wirtschaftlicher Sanktion als verwerflich gilt, hat man selbst seltsamerweise kein Problem damit, den Aufständischen Vorschriften zu machen.
»Wenn die Weltgemeinschaft nützlich sein will, muss sie alles daran setzen, unter Teilnahme aller Parteien in Syrien und aller beteiligten Staaten auf eine internationale Friedenskonferenz zu drängen. Wenn man das Assad-Regime durch Sank­tionen zur Teilnahme zwingen kann, kann man auch die Rebellen dazu zwingen«, schrieb Bahman Nirumand in einem Debattenbeitrag für das Neue Deutschland. Die vermeintliche Gegenposi­tion vertrat Joachim Guilliard (siehe auch Seite 9). Auch er meint, dass »eine Stabilisierung des Landes ohne die amtierende Regierung nicht möglich« sei. »Die Syrer« müssten »durch eine Isolierung der auf einen Umsturz zielenden Kräfte der Intervention von außen jegliche Legitimationsmöglichkeit nehmen«. Jüngst wandte sich Guilliard sogar gegen einen Exportstopp für Waren, die zur Herstellung von Chemiewaffen verwendet werden können. Es handele sich um eine »eurozentristische Kampagne, die letztlich weitreichenden Exportbeschränkungen an unliebsame Dritte-Welt-Länder Vorschub leistet«.
Man kann darüber streiten, ob die Forderung, die Oppositionellen müssten sich mit ihren Schlächtern einigen, einfach nur naiv und ignorant oder perfide ist. Wer die Stabilisierung ­repressiver Verhältnisse der Revolution vorzieht, nimmt jedenfalls eine konservative, auf die Bewahrung der bestehenden Verhältnisse abzielende Haltung ein, die ziemlich genau der westlichen Politik vor dem Beginn der arabischen Revolten entspricht. Mit der Forderung, unbeschränkten Handel – Waffen bislang noch ausgenommen – auch mit Diktatoren zu betreiben, die gerade ihre Untertanen massakrieren lassen, ist die Friedensbewegung zudem bei einer Form der Standortförderung angekommen, die sich in dieser Dreistigkeit nicht einmal ein Unternehmerverband erlauben würde.
So sind denn auch die Unterschiede zur Haltung der etablierten Parteien geringer, als die Friedensbewegung glauben machen möchte. Eine staatstragende Partei kann sich schwerlich auf die von der Friedensbewegung geforderte Ablehnung jeglicher Militärintervention, die Abkehr von den lukrativen Rüstungsexporten und den Bruch internationaler Verträge festlegen lassen, der mit der Verweigerung der Nutzung von US-Militärbasen auf deutschem Territorium verbunden wäre. In der Ablehnung konkreter Interventionen aber herrscht so weitgehende Einigkeit, dass Uli Cremer von der Deutschen Friedensgesellschaft – Ver­einigte KriegsgegnerInnen in der Libyen-Debatte schrieb: »Man muss Westerwelle in diesen Tagen verteidigen.« Konservative Publizisten wie Peter Scholl-Latour und Jürgen Todenhöfer gelten als renommierte Experten, doch hält man es wohl noch für degoutant, die Übereinstimmung mit rechten Isolationisten zum Anlass für offene Bündnisverhandlungen zu nehmen.
In den USA ist man schon einen Schritt weiter. »Die Bombardierung Libyens markierte das Ende der progressiven Hegemonie in der Antikriegsbewegung. Nun gibt es einen echten Wettbewerb, um zu sehen, wer die Bewegung führen wird«, schreibt John V. Walsh im Magazin Counterpunch. »Derzeit liegen die Konservativen und die Libertären in Führung.« Als Analyse ist das zutreffend, und zu Recht bestreitet Walsh, dass Linke und Friedensbewegung eine Militärintervention in Syrien verhindert haben. Das politische Establishment war mehrheitlich gegen ein Eingreifen.Doch was für ein Frieden ist das, für den man gemeinsam mit den rechtslibertären und konservativen Feinden des Sozialstaats und der Migration kämpft? Walsh gehört zu den Gründern von Come Home America, wo sich seit 2010 »Left and Right Against the War« vereinigen. Der Name dieser Organisation symbolisiert die Gemeinsamkeit treffend. Rechte und linke Isolationisten meinen, dass es daheim doch am schönsten ist. Da möchte man von den Problemen in der Welt nicht behelligt werden.

Für Rechtslibertäre ist das konsequent, und sie haben recht, wenn sie sagen, dass der syrische Bürgerkrieg die nationale Sicherheit der USA nicht bedroht und es kein unmittelbares strategisches Interesse an einem Eingreifen gibt. Wer braucht schon Syrer? »Allah wird die Seinen erkennen«, weiß Sarah Palin. Von der Linken, zu der die meisten Anhängerinnen und Anhänger der Friedensbewegung ja weiterhin gezählt werden möchten, sollte man aber eine andere Haltung erwarten.
Sich mit der Frage zu befassen, warum das politische Establishment fast aller westlichen Staaten »kriegsmüde« ist, also etwa dem Kampfgeschehen in Syrien seinen Lauf lassen will und sich auch über die iranische Intervention keine Sorgen macht, wäre ein Anfang. Gäbe es relevante Kapitalinteressen, die in Syrien gegen das Regime Bashar al-Assads durchgesetzt werden sollen, wäre die Debatte zweifellos anders verlaufen. Doch eine Präferenz für eine bestimmte Form kapitalistischer Herrschaft hat »der Markt« offenkundig nicht – ebenso wenig wie die Friedensbewegung.
Antiamerikanismus und Antiimperialismus allein erklären diese Haltung nicht, schließlich gibt es weiterhin Gruppen der traditionellen Linken, die die syrische Revolution unterstützen, ein militärisches Eingreifen des Westens aber ablehnen. Vielmehr scheint sich der schon Anfang der achtziger Jahre starke Bezug auf deutsche Interessen in der Form des Isolationismus erneut Geltung zu verschaffen. Das Ergebnis ist eine antidemokratische Realpolitik. Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Assad. Den deutschen Frieden aber, die Kapitulation vor der Diktatur, braucht Syrien nicht.