Jan Böhmermann im Gespräch über Unterhaltungsjournalismus

»Tabubruch ist ja eher so 2002«

Jan Böhmermann wurde mit satirischen Aktionen und unverschämten Interviews bekannt. Er sorgte mit einer bizarren Pressekonferenz eines fiktiven türkischen Karnevalsvereins für Wirbel, arbeitete mit Harald Schmidt zusammen und wurde gerade zum Unterhaltungsjournalisten 2012 gewählt. Vom 31. Oktober an moderiert er seine eigene politisch-satirische Sendung auf ZDF-Neo.

Die Titanic hat das Ziel ihrer Satire einmal so definiert: »Es geht ihr allemal darum, der zutiefst beleidigenden Unvernunft der Welt das einzige entgegenzusetzen, was diese überhaupt erträglich macht: Komik.« Können Sie bei all der Unvernunft überhaupt noch etwas ernst nehmen?
Eigentlich nicht. Man kann über alles Witze machen. Gerne auch über den Tod anderer, wenn’s passt. Es gibt da keine Grenzen. Wenn man lange genug sucht, ist doch an allem ­etwas Lächerliches. Nur wenn es eines Tages beim Gynäkologen heißt: »Herr Böhmermann, Sie haben einen schwarzen Schatten in der Lunge«, könnte es eventuell anders aussehen. Doch, Ironie und Selbstironie sind immer an­gebracht.
Das haben Sie zuletzt in der Talkshow »Roche & Böhmermann« bewiesen. Der Zynismus, mit dem Sie den Gästen begegnet sind, hat oft die Grenze des Üblichen überschritten. Manchmal hatte man das Gefühl, dass Charlotte Roche Sie an die Leine nehmen musste, damit Sie einen unsympathischen Gast nicht zerfleischen. War das der Grund für das Ende der Show?
Nach ein paar Sendungen »Roche & Böhmermann« haben wir geahnt, dass das nicht ewig gehen wird. Die Sendung war mehr improvisierte Konzeptprovokation als Show. Die Hürden für uns Moderatoren waren absichtlich hoch, wir wollten uns nicht auf die Gäste vorbereiten. Meine Produktionsfirma und ich planten darum schon im Sommer die neue Show »Neo-Magazin«. Denn die Einspieler bei »Roche & Böhmermann« zu schreiben, die wahnsinnigen Gimmicks und Ideen zu realisieren, hat mehr Spaß gemacht als der bloße Talk. Wir wollen Interviews vorbereiten, gute, unterhaltsame Gespräche führen, lustige ­Ideen umsetzen. Wir wollen eine Unterhaltungssendung mit Haltung machen.
Sie suchen nicht mehr den Tabubruch?
Habe ich auch nie wirklich gesucht. Tabubruch ist ja eher so 2002. Mich würde es langweilen, ständig Tabus brechen zu müssen.
Was ist dann die moderne Unterhaltung, an der Sie sich orientieren wollen?
Wir sind zur Vorbereitung nach Amerika geflogen. Wir haben uns dort alle relevanten Late-Night-Shows vor Ort angesehen, auch hinter den Kulissen, um mal herauszufinden, was das Maß der Dinge ist. Das haben wir mit unseren Vorstellungen von Humor verbunden und so ist das »Neo-Magazin« entstanden.
Auch die »Heute-Show« im ZDF hat sich an einem US-amerikanischen Format orientiert, herausgekommen ist ein billiger Abklatsch der vor allem für ihre Interviews bekannten »Daily Show with Jon Stewart«.
Die »Daily Show« ist nicht unser Vorbild. Politik ist nicht so mein Ding. Dafür habe ich entweder nicht die Geduld oder nicht den Intellekt. Vermutlich beides nicht. Und was die »Heute-Show« betrifft: Dass das ZDF so lange an Olli Welkes Show festgehalten hat, ist bemerkenswert und wirklich toll. Die Quoten waren lange nicht sonderlich gut und jetzt schauen jede Woche mehr als drei Millionen Zuschauer zu. So etwas gab es zuletzt bei Stefan Raab und Pro Sieben.
Und vielleicht auch bald bei Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf mit »Circus Halligalli«.
Ja, das wäre diesen beiden unseriösen Kommerzschweinen zu wünschen.
Auf Twitter spotten Sie regelmäßig über die Medien, inbesondere über die Presse. Warum?
Es ist doch rührend, wie sie sich als Qualitätsmedien verkaufen. Da ist die Fallhöhe extrem hoch. Und wenn dann so etwas passiert, wie zum Beispiel in der Süddeutschen Zeitung, als ein Bild aus Auschwitz zur Illustration für die gegenwärtigen Probleme bei der Deutschen Bahn genommen wird, dann ist das schon höchst amüsant. Es scheint, als hätten die Macher alle Grundregeln, die sie immer wieder gerne pre­digen, schlichtweg vergessen.
Gibt es noch mehr, was Sie in der Zeitungs- beziehungsweise Journalismusdebatte nicht verstehen können?
Es kann doch nicht sein, dass alle immer von der Digitalisierung sprechen und dass die die Rettung sein könnte, es andererseits aber niemand schafft, eine ordentliche App anzubieten. Das iPad gibt es jetzt seit drei Jahren, es hat ein hochauflösendes Retina-Display, aber die Apps sehen aus, als hätte man das noch keinem Graphiker gesagt. Oder nehmen Sie die Frank­furter Allgemeine Sonntagszeitungszeitung. Die wirbt damit, dass man als Kunde die iPad-Version um 21 Uhr auf das Display bekommt. Und dann kommt da nichts, erst mit Verspätung. Die FAS ist doch kein Headshop, dessen Betreiber mal gerade ein Schild aufhängen kann, auf dem steht: ›Bin kurz weg‹. Und wer von Qualität redet, der sollte wenigstens mal die Auflösung seiner Apps anpassen.
Also hat es durchaus seine Berechtigung, wenn die Verlage nun lernen, dass sie so nicht mit Kunden umgehen können, wenn sie Leser verlieren und in der Krise stecken?
Eben waren zum Interview die bedauernswerten Kollegen vom Hamburger Abendblatt und von TV Digital da. Das ist schon spannend, die wissen ja auch nicht, wie es jetzt weitergeht, nachdem Springer sie an die Funke-Gruppe verkauft hat.
Den Verlagen scheint es einigermaßen gut zu gehen, wenn sie sich solche Investitionen in Millionenhöhe leisten können. Von der Krise betroffen ist doch vor allem das junge Medienprekariat, das sich den überholten Strukturen der alten Chefredakteure und Verleger beugen muss.
Also, wenn die Silicon-Valley-Alphatiere von Springer vor lauter Aufregung jetzt auf Supernerds machen, ihre Anzüge aus-, Kapuzenpullis anziehen und sich Bärte wachsen lassen, dann ist das für uns geborene, echte Supernerds ein Zeichen: Wir müssen uns rasieren, unsere Kapuzenpullis aus- und die Anzüge anziehen. Wir dürfen den Digital Immigrants doch nicht die Cybermacht und die Deutungshoheit auf einem Gebiet überlassen, das sie nicht einmal richtig verstehen.
Werden Sie Ihrer Aggressivität im »Neo-Magazin« freien Lauf lassen?
Klar. Ich bin ein 32jähriger, naiver Idealist, der zum ersten Mal richtiges Fernsehen machen darf. Und ich habe nichts zu verlieren außer einer Sendung bei ZDF-Neo. Das Risiko ist also überschaubar.