Der Fußballclub LKS Pogón Lwów

Der Multikulti-Kick

In den zwanziger Jahren wurde der Fußballclub LKS Pogoń Lwów viermal polnischer Meister. Nach dem Einmarsch der Deutschen wurde der Verein aufgelöst. 2009, kurz vor der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, wurde er neu gegründet.

Warschau, 20. August 1939. Der damals 20jährige Stürmer Piotr Dreher schießt das Anschlusstor zur 1:2-Niederlage des LKS Pogoń Lwów gegen Polonia Warszawa. 70 Jahre lang blieb dies der letzte Treffer, der für den polnischen Verein erzielt wurde. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmachtstruppen am 1. September 1939 wurde der Club, der damals Platz drei in der ersten polnischen Liga belegte, aufgelöst.
Gegründet wurde der LKS Pogoń Lwów im Jahr 1904, als die Stadt noch Lemberg hieß und die viertgrößte in der Habsburger Monarchie war. 1919 war der Verein einer der Mitbegründer des polnischen Fußballverbandes und schaffte es in den zwanziger Jahren viermal, polnischer Meister zu werden – die Zwanziger waren auch eine goldene Zeit für den Fußball in Lviv.
Seit 1946 gehörte Lwów zur Sowjetunion und erhielt 1963 mit dem FC Karpaty Lviv wieder ei­nen großen Fußballverein. 1969 wurde der Club sowjetischer Pokalsieger, heute spielt er in der ukrainischen Premjer-Liha, in einem eigens für die EM errichteten Stadion. Der aufgelöste Traditionsverein LKS Pogoń Lwów wurde 70 Jahre nach dem Einmarsch der Deutschen und drei Jahre vor der Fußball-EM in Polen und der Ukraine von in Lviv lebenden Polen neu gegründet.
»Die Geschichte des Vereins hat viele Menschen beeindruckt, deswegen haben wir entschieden, dass wir diesen Club wiedergründen müssen. Wir sind ein Ort, an dem die polnische Minderheit sich treffen kann und gleichzeitig mit anderen zusammenkommt«, erzählt LKS-Präsident Marek Horban, der schon als Kind von der Geschichte des Vereins fasziniert war, in dem Polen, Juden, Ukrainer, Russen, Deutsche und Italiener gemeinsam spielten. 1922 engagierte man mit Sid Kimpton einen englischen Trainer, der prompt für den ersten Meistertitel sorgte. Alte Fotos aus jener Zeit zeigen, wie beliebt das Team damals war: Das Stadion war gut gefüllt, wer sich den Eintritt nicht leisten konnte, kletterte auf Bäume, um das Spiel verfolgen zu können. Die Fans seien aus allen Bevölkerungsgruppen und -schichten gekommen, sagt Horban stolz.
Heute will man die alte Identität des multikulturellen LKS Pogoń Lwów weiter pflegen, die Trikots sind in den Farben Rot und Lila gehalten, genauso wie früher. Das Stadion, in dem die Mannschaft trainiert, gehört der Polytechnischen Universität von Lviv, für die nächsten zwei Jahre kann der Verein es nutzen. Es wurde in den zwanziger Jahren gebaut und gehörte früher einem deutschen Fußballclub, bis die deutsche Minderheit in der Stadt vor der Roten Armee flüchtete.
Wirklich multikulturell geht es in der ehemals galizischen Stadt heute nicht mehr zu. Im Jahre 1931 bestand die Bevölkerung noch zu 50 Prozent aus Polen und zu etwa einem Drittel aus, zumeist polnischen, Juden. Heute stellen beide Gruppen zusammen nur noch etwas über ein Prozent der Stadtbevölkerung. Marek Horban erkennt einen historischen Auftrag für seinen Verein: »Der Club wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, wie so vieles während des Krieges zerstört wurde. Das meiste lässt sich nicht zurückholen, aber wenigstens diesen Verein möchten wir wiederbeleben.«
Horban findet, dass etwas mehr Unterstützung von Seiten der Stadt bei diesem Vorhaben hilfreich wäre. Das polnische Ministerium für Sport und Tourismus hat bereits erklärt, dem Verein finanziell helfen zu wollen und Geld für das Stadion zur Verfügung zu stellen. Der LKS Pogoń Lwów spielt regelmäßig in Polen und gegen polnische Mannschaften. Die Infrastrukturprojekte im Zuge der EM 2012 beurteilt Marek Horban kritisch: »Bei dem Stadion hätte besser darauf geachtet werden müssen, welche Infrastruktur für Lviv sinnvoll sind. Das Stadion liegt zu weit außerhalb, um regelmäßige Großveranstaltungen beherbergen zu können. Zudem war es einfach viel zu teuer. In Krakau beispielsweise wurde das schon viel besser gemacht.« Tatsächlich wurden in Lviv anlässlich der EM große Prestigeprojekte realisiert. Doch der neue Flughafen wirkt verwaist, 220 Millionen Euro wurden in das neue Stadion gesteckt, während kaum neue Bolzplätze angelegt wurden und die kleineren Vereine unter entsprechend schwierigen Bedingungen spielen und trainieren müssen.
Derzeit spielt der LKS in der dritten ukrainischen Liga und kann bereits einige Erfolge vorweisen. 115 Mitglieder zählt der Club heute, die in drei Sportarten aktiv sind, Fußball ist mit Abstand die größte Sektion. Die meisten Spieler sind junge Amateure, ihr Durchschnittsalter liegt bei 18 Jahren, die Hälfte der Kicker ist minderjährig. Viele der Sportler kommen aus den beiden polnischen Schulen in der Umgebung.
Roman ist Pole und hat zuvor bei einem polnischen Verein gespielt, ist dann aber in die Ukraine zurückgekehrt. Er hat sich sehr über die EM 2012 gefreut: »Für die Ukraine ist das ein großer Schritt in Richtung Europa. Es war eine tolle Stimmung in der Stadt. Alle waren nett, tolerant, wir haben Menschen aus aller Welt getroffen. Das ist keine Selbstverständlichkeit hier.« Ein anderer Spieler erzählt: »Ich bin Ukrainer, aber ich spiele gerne bei einem polnischen Club, besonders mit der Jugendarbeit bin ich sehr zufrieden.« Mehrere der jungen Spieler sagen, dass sie mit dem Sport die Hoffnung auf ein besseres Leben verknüpfen, aber gleichzeitig wissen sie auch, dass der Schritt in den Profifußball nur ganz wenigen auch tatsächlich gelingt.
Die meisten Kicker des LKS Pogoń Lwów sehen sich als Teil der polnischen Minderheit in Lviv, allerdings scheint dies keine allzu große Rolle zu spielen, die Hauptsache ist der Fußball. Während des Trainings wird Ukrainisch gesprochen. Die Fans feuern ihre Mannschaft zweisprachig an, man singt auf Polnisch und Ukrainisch. Marek Horban erklärt: »Wir verstehen uns als Lviver Club, wir sind eine multikulturelle Stadt mit verschiedenen Nationalitäten.« Er betont, dass rechtsextreme Parolen wie beim Spiel gegen San Marino kürzlich, als die Ukraine einen 9:0 Sieg gegen die kleine Republik feierte, nicht zu tolerieren seien. Insbesondere in der Westukraine und in der Gegend um Lviv ist der Rechtsextremismus in den vergangenen Jahren erstarkt, in manchen Regionen machten 35 Prozent der Wähler ihr Kreuz bei den »nationalen Sozialisten« von »Swoboda«. Der LKS Pogoń Lwów ist ein Verein, der entschieden gegen solche Tendenzen Stellung bezieht – keine Selbstverständlichkeit im ukrainischen Fußball.
Den Mitgliedern des LKS Pogoń Lwów geht es darum, Grenzen zu überwinden. Der Fußball hier ist universell. Die nur 80 Kilometer entfernte EU-Grenze können die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer bislang jedoch nicht ohne Mühen und Erniedrigungen überqueren. Auf dem Spielfeld gibt es zwischen Polen und der Ukraine, zwischen europäischer Union und europäischer Peripherie indes keine Grenzen mehr.