Der Film »Don Jon«

Sexistentielle Fragen

Der Erotomane und das Internet: Joseph Gordon-Levitt will mit seinem Film »Don Jon« die Liebe vor der Pornographie retten. Oder war’s umgekehrt?

Der Heteronormalverbraucher steht heute mit seinen schmut­zigen Phantasien gehörig unter Druck. Bedrängt von allerlei durchaus interessanten Zusammenlebensformen – das neueste Ding ist bekanntlich Asexualität –, flieht er ins Internet, um seinen meist lästerlichen Aktivitäten nachzugehen. Zugleich ist die ganze Stadt mit Nackten tapeziert. So weit die Ausgangslage.
Den digitalen Diensten des kürzlich geschassten User-für-User-Erotikpapstes Fabian Thylmann (Youporn etc.) vertraut der an einer Dauererektion leidende junge schöne Fitness-Freak Jon Martello (Joseph Gordon-Levitt) mehr als den analogen Verhältnissen, wenn es darum geht, Bedürfnisse zu befriedigen. Im Online-Porno wird immer lang genug geblasen, Missionarsstellung Pustekuchen, Menstruieren gibt’s nicht, Kondome – so what? Für Infektionen gibt es ja Avira, den praktischen Schutz für jeden PC. Mit dem Laptop, dem Computer auf dem Schoß, geht es Martello viel besser als mit jeder realen Frau an der gleichen Stelle.
Jon – der Titel sagt es schon – ist der unbestrittene Held in dem Film »Don Jon«, bei dem Gordon-Lewitt auch selbst Regie führt. Man könnte Jon als glücklichen Wichser bezeichnen. Er hat die pornographische Wende der sexuellen Ökonomie vollzogen: Früher vielleicht mal haben Leute wie er Pornos konsumiert, um sich Anregungen für den Alltag zu holen. Bei ihm ist es anders: Wenn er, der schöne Vorstadt-Proll, mit den Kumpels in die Disco geht, um Frauen abzuschleppen, bleibt er selten erfolglos. Aber sobald der Sex mit der Realität erledigt und die Eroberung eingeschlafen ist, eilt er an den Rechner, um sich mit jenen Menschen zu treffen, die ihn verstehen. Wieso wird der Depp nicht Pornodarsteller oder weitet seine Präferenzen aus? Weil er mit Computer und Playstation aufgewachsen ist. Realer Sex ist ihm beinahe peinlich, zumindest aber langweilt er ihn. Und es gibt auch handfeste psychologische Barrieren: Rennt der Spross einer tiefreligiösen Familie doch jeden Sonntag zum Priester, um seine Sünden zu beichten. Zehn Vaterunser, fünf Ave-Maria – oft genug ist ihm die Strafe nicht hoch genug, die ihm der heilige Mann auferlegt. Und die er beim Gewichtepumpen souverän runterbetet. Jon lebt gern allein, liebt seine Wohnung, das Auto, hängt mit den Freunden ab, den Rest erledigen einschlägige Websites. So könnte es ewig weitergehen, würde Mama nicht auf Enkelkindern bestehen und sich sowieso innere Unruhe breitmachen.
Don Juan, das ist der von ewigem Verlangen Getriebene, der von seinem Laster wahlweise kahlköpfig wird oder zur Hölle fährt – Sexsucht stellt der traditionelle Stoff als Tragödie der Beziehungsunfähigkeit dar. Gordon-Levitt, Schauspieler von Kleinkindesbeinen an, möchte diesem Topos des menschlichen Zusammenliegens in seiner ersten Regiearbeit einen postmodernen Anstrich geben und vor allem: einen komödiantischen.
Der Erotomane von heute liebt den Zugriff auf die Millionen Bilder. Man lässt sich auf nichts ein, pflegt neoliberale Sexability: Wenn die Darsteller das Falsche abliefern, klickt man weiter. Menschen würden stören.
Und tun sie auch: Jon lernt Barbara kennen. Und weil die von Scarlett Johansson gespielt wird, hat der Film eine Metaebene. Die gerade mal wieder von irgendwem zur »Sexiest Woman Alive« gewählte Schauspielerin, die erotischste Frau der Welt also, soll den Mann von seinem Laster kurieren. Barbara ist die Zukunft, sie will Kind, Küche, Aufstieg und we­nige Kompromisse: Entweder der Computer fliegt raus oder ich gehe. Der Zuschauer erlebt erschreckende Szenen ausgespielter Divenhaftigkeit, hier könnte eine Oscar-Nominierung drin sein.
Außerdem schickt sie Jon in die Abendschule, Bildung macht sexy. Ein Ort, an dem sich vor allem ältere Frauen wie Esther (Julianna Moore) herumtreiben, die sich verständnisvoll um Jon kümmern und sich mit Arthouse-Pornos aus Dänemark auskennen. Keine Frage, zu wessen Gunsten Jon sein Hobby aufgibt.
Wieso bloß? Tja, im Kino geht’s um sexistentielle Fragen: Die Objektwerdung des Menschen bei fortschreitender Technisierung, das soll das Thema dieses Films sein; je mehr Apparate zur Bedürfnisbefriedigung zur Verfügung stehen, desto mehr Apparat wird man selbst. »Ein Mann, der am Computer sitzt und sich Pornos anschaut, ist für mich die perfekte Metapher eines Menschen, der andere nur als Objekte sieht und benutzt«, sagt der Regisseur.
Allerdings trägt sein Film auch nicht besonders viel dazu bei, aus Objekten wieder Menschen zu machen. Verstörend allemal ist, wie oft man Jon den entsprechenden Hyperlink fürs Sexportal eintippen sieht – nicht nur hier wirkt das Filmchen wie ein Werbeclip für Online-Sex. Auch für »Don Jon« gilt, was beim Thema Sex im Kino häufig zutrifft: Er ist jugendfrei. Weder sieht man irgendeines der einschlägigen Organe noch die dazugehörigen Flüssigkeiten, nicht mal eine Hose steht offen. Bei ­aller behaupteten Ungezogenheit wirken die Protagonisten ganz und gar unschuldig.
Niemand durchbricht hier die Rollenerwartungen der romantischen Komödie; wenn das Ganze als Stück im Boulevardtheater aufgeführt würde, wäre dies nicht unbedingt der falsche Platz. Hier fehlen Tiefe, Ernst, Verzweiflung, Gefahr – werden nicht alle IP-Adressen gespeichert? –, mit denen der Film durchschlagkräftiger hätte sein können. Elendfreie Bilder werden hier produziert. Es gibt keinen Dreck – weder im Bett noch auf der Straße oder im Hinterhof. Prostitution, Schinderei, Daten abgreifen? Nö: Apolitisch und ahistorisch ist der Sex des Kinos, unfassbar harmlos und frisch gewaschen.
»Don Jon« ist wie ein Film über Spielsucht ohne Geld – als hochgelobtes Produkt des US-Independent-Kinos hätte er sich durchaus mehr trauen können, statt dessen wendet er sich dem Mainstream zu. Schließlich wird wie bei allen Suchtfilmen die vollendete Sinnleere des Innenlebens der Protagonisten behauptet. Jon muss geheilt werden, ganz klar. Aber wie krank ist er? Das Manko: Sein Schicksal wird wenig bis gar nicht als gesellschaftliches diskutiert.
Mag der Film auch nicht Richtig funktionieren, weil er die behauptete Sexualisierung des Alltags nicht auseinandernimmt, die Schauspieler sind spitze. In den Gesichtern und Gesten spielt das Theater – »Don Jon« wäre auch ein schöner Stummfilm, das ist immer ein gutes Zeichen.
Wenn dir nur die richtige über den Weg läuft, wirst du glücklich – seine Hauptfigur will Gordon-Lewitt dann ganz old school und irgendwie für die Mittelschicht durch die Liebe gerettet wissen. Kann sein, dass das geht, aber hier nicht ohne Blessuren.

»Don Jon«. USA 2013. Regie: Joseph Gordon-Levitt. ­Darsteller: Joseph Gordon-Levitt, Scarlett Johansson, Julianne Moore. Kinostart: 14. November