Der IWF-Vorschlag ist die logische Konsequenz aus der Finanzkrise

Ansprüche entwerten!

Das überrraschende Planspiel des IWF ist die logische Konsequenz aus der globalen Finanzkrise, denn die Schulden können nicht mehr getilgt werden.

Wenn man die Reaktionen betrachtet, die der Internationale Währungsfonds mit seinem Gedankenspiel ausgelöst hat, Vermögen über einer viertel Million Euro mit einer einmaligen Abgabe von zehn Prozent zu belasten, dann könnte man denken, da habe jemand zur Revolution aufgerufen. Kein Mainstreammedium, das nicht über die »Enteignung der Sparer«, die »Beschlagnahmung der Vermögen« oder die »finanzielle Repression« berichtet hätte. Dabei hat der IWF seit jeher gezeigt, dass er sich durchaus den Interessen der Finanzanleger verpflichtet weiß. Speziell als Teil der europäischen »Troika« achtet er zusammen mit der Zentralbank und der EU-Kommission peinlichst genau darauf, dass angehäufte Finanz­ansprüche keinesfalls entwertet werden.

Denn ein großer Teil dessen, was private und institutionelle Anleger als ihr Finanzvermögen betrachten, ist ja erst einmal genau das, ein Anspruch auf Reichtum. Bei den inzwischen weltweit an die 230 Billionen US-Dollar handelt es sich zu einem erheblichen Teil um fiktives Kapital, das heißt um Investitionen, die keinen Produktionskreislauf durchlaufen und damit auch keinen Mehrwert akkumuliert haben. Systematisch gesehen sind sie ein Vorgriff auf künftig zu produzierenden Reichtum. Finden diese Produktionsprozesse nicht statt – und wie sollten sie das in vollem Umfang tun, wenn das globale Bruttosozialprodukt 2012 mit knapp 72 Billionen US-Dollar nicht einmal ein Drittel des Vermögens beträgt –, dann muss für einen Großteil der Reichtums­ansprüche von Dritten gezahlt werden. Seit Jahrzehnten werden wir Zeugen dieses Prozesses: Die Kapitalisierung des Produktivitätszuwachses, Privatisierung öffentlichen Eigentums und so­zialer Infrastruktur, die Schuldenkrise der arm gemachten Länder des Südens, die Verwandlung von Wissen und Kunst in Waren durch Patente und Urheberrechte, aber auch die Entwertung der osteuropäischen Industrie nach dem Epochenbruch 1990 muss in dieser Weise verstanden werden.
Tatsächlich wachsen die Reichtumsansprüche schneller als die Mehrwertproduktion, wenn nicht gerade Krisen dazwischenkommen: In der sogenannten Finanzkrise seit Herbst 2008 sank das Finanzvermögen weltweit um etwa 30 Billionen US-Dollar, nur um innerhalb weniger als eines Jahres um denselben Betrag wieder anzusteigen. Letzteres hat viel damit zu tun, dass die Bankenrettung mit öffentlichem Geld ebenfalls ein Prozess der Umverteilung von Reichtum zur Sicherung der Finanzanlagen war. Der führte zu einem dramatischen Schuldenanstieg der öffentlichen Hand in allen betroffenen Ländern. In vielen Ländern kommt eine ebenfalls umfassende durchschnittliche Verschuldung der privaten Haushalte dazu.
Allein für die USA schätzte eine Studie im August die Gesamtschuld der öffentlichen Hand einschließlich der Sozialversicherungen und der Verpflichtungen der Bundesbank auf über 70 Billionen US-Dollar. Eine solche Rechnung existiert für Deutschland nicht, aber auch die offiziell mehr als zwei Billionen Euro Staatsverschuldung sind eine stolze Summe. Das sind etwa 80 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Für die Euro-Zone insgesamt geht der IWF diesbezüglich von einer Quote von 110 Prozent, entsprechen einer Summe von achteinhalb Milliarden Euro aus.

Es ist unrealistisch, dass diese Schulden jemals bezahlt werden, auch wenn die europäischen Regierungen alles tun, um diesen Eindruck zu erwecken. Dabei begrüßt der IWF die Sparanstrengungen der EU durchaus ein Mittel, um Reichtumsflüsse zur Sicherung der Finanzansprüche zu organisieren. Aber deren Umfang ist zu groß geworden, als dass halbwegs aufmerksame Beobachter nicht sehen würden, dass sie nicht dauerhaft und in vollem Umfang bedient werden könnten.
Dabei kehrt alles, was als Schulden auftaucht, bei jemand anderem als Finanzvermögen wieder. Jeder Verpflichtung steht ein Anspruch gegenüber. Was die Arbeitsgruppe des IWF jetzt überlegt hat, ist im Grunde nichts anderes als die Verrechnung eines Teils dieser Verpflichtungen und Ansprüche. Dabei hütet sie sich, einzugestehen, dass die Ansprüche nicht bedient, also die Schulden nicht bezahlt werden können, sondern schlägt formal einen Weg über eine Abgabe vor, die dann komplett zur Schuldensenkung genutzt werden soll.
Richtig daran ist, dass die Schulden nicht bezahlt werden können, falsch ist, nicht zu sagen, dass sie auch nicht bezahlt werden sollten, weil da schon genügend Reichtum geflossen ist. Richtig ist, die Ansprüche zu entwerten, falsch ist, dies nicht durch ein Schuldenaudit, also eine Art öffentliches Insolvenzverfahren zu tun.