Carsten Dannel im Gespräch über die guten Seiten von Werbung

»Plakatwerbung ist ein Dinosaurier«

Carsten Dannel ist Geschäftsführer der Agentur »Berliner Botschaft – Gesellschaft für Kommunikation«, die damit wirbt, an der »Schnittstelle von Politik, Unternehmen und Medien« zu arbeiten.
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Werbung wird von Linken meist abgelehnt, weil sie für Konsumzwang und Kapitalismus steht. Hat Werbung auch eine gute Seite?
Werbung gehört zum Kapitalismus dazu wie die Ware und der Wert. Wenn man es nüchtern betrachtet, ist Werbung eine Form der Kommunikation von Inhalten. Man kann also darüber diskutieren, ob einem der Inhalt gefällt, aber die Technik, Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Anliegen zu lenken oder Leute dazu zu bringen, etwas gut zu finden, ist eine Selbstverständlichkeit, die weder gut noch schlecht ist.
Eine Kreuzberger Bürgerinitiative will Werbetafeln in den Straßen verbieten. Ist es möglich, Werbung aus der Öffentlichkeit zu verbannen?
Die Idee ist ja nicht neu. In Frankreich wird das schon länger diskutiert, in São Paulo sogar umgesetzt, in Berlin-Mitte sollte an einer Kirche keine Werbung angebracht werden, in Kreuzberg wollte man kein McDonald’s-Lokal haben. All diesen Initiativen ist gemein, dass sie ein konservativer Reflex, eine Suche nach dem Authentischen sind. Diese Initiativen, ob sie nun links angehaucht sind wie in Kreuzberg, oder wie in Mitte aus dem Establishment kommen, wollen sich abgrenzen von den vermeintlichen Prolls, von denen sie annehmen, dass bei ihnen Werbung wirke und Verdummung herbeiführe. Vor allem geht es aber darum, dass man meint, Werbung schade dem Stadtmarketing. Es geht also um eine Aufwertung der Stadt.
Es ist auch eine Kritik an der Kommerzialisierung des öffentlichen Raums.
Die Kommerzialisierung umgibt uns, wo wir gehen und stehen. Dafür ist Werbung ein Ausdruck, aber auch die Gestaltung von Boulevards, die zum Shoppen einladen, oder von gemütlichen Arealen mit Kleinboutiquen gehört dazu. Viel problematischer finde ich die Privatisierung des öffentlichen Raums aus kommerziellen Interessen, also wenn Menschen ausgegrenzt werden aus bestimmten Gebieten der Stadt, ob Shopping-Malls oder Fußgängerzonen, wo der Einzelhandel plötzlich Hoheitsrechte übernimmt.
Es geht den Werbekritikern auch um den Einfluss des Kapitals auf unser Bewusstsein.
Werbung spiegelt einen Zeitgeist wieder, sonst würde sie nicht wirken. In den fünfziger Jahren war das ein Familienidyll mit glücklicher Hausfrau, heute reicht das von neoliberaler Work-hard-play-hard-Ästhetik über Bionade-Biedermeier-Romantik bis zu den Codes des Nonkonformisten. Werbung knüpft immer an bereits bestehende gesellschaftliche Einstellungen an. Der wichtigste Werbeträger ist auch nicht das Plakat, sondern der Konsument selbst. Jede Kommunikationsstrategie für ein Produkt wird zuerst versuchen, mich als Individuum dafür zu begeistern, für dieses Produkt selbst Werbung zu machen, indem ich meinen Freunden davon erzähle oder es selbst trage. Wir alle produzieren von uns selbst ein Bild in der Öffentlichkeit. Das ist ein Spiel aus Abgrenzung und Integration: wie ich mich kleide, welche Zeitung ich lese, was ich esse, welche Musik ich höre, welche Hobbys ich habe. Das alles ist ein Statement, und das ist viel prägender als Plakatwerbung. Menschen machen sich Gedanken darüber, welche Jeansmarke sie anziehen sollen, wenn sie zum nächsten Antifa-Treffen gehen.
Ist Plakatwerbung nicht eh ziemlich oldschool?
Ja, es ist der Dinosaurier unter den Werbeformen. Die Entwicklung der Werbung geht in die Richtung, dass sie immer individualisierter und personalisierter wird. Das Plakat ist eine Schrotflinte, es erreicht ganz viele Leute, die der Werbekunde gar nicht erreichen will. Er will ja die erreichen, die sich in einer entsprechenden Lebensphase befinden, das entsprechende Geld haben, um auf sein Produkt anzuspringen. Bei Amazon oder bei der Google-Werbung werden mir nur Produkte angezeigt, die relativ nah an meinen derzeitigen Bedürfnissen, an meiner Lebensrealität dran sind. Das ist der Trend. Und wenn man Werbung kritisch betrachten will, ist das der gesellschaftlich viel relevantere Bereich. Denn da geht es um den gläsernen Konsumenten. Perspektivisch werden Werbeplakate vermutlich durch Großdisplays abgelöst, die genau das anzeigen, was für den gerade Vorbeilaufenden interessant sein könnte. Ich kaufe beispielsweise einen Bikini und laufe dann an einem solchen Plakat vorbei, da wird mir gleich die nächste Mallorca-Reise angeboten. Eine weitere Auswirkung davon wird sein, dass man am selben Ort verschiedene Öffentlichkeiten haben wird. Dann haben wir nicht mehr die gleiche Wahrnehmung von Realität. Jetzt können wir über Werbekampagnen diskutieren, sie kritisieren, das wird irgendwann gar nicht mehr möglich sein, weil für jeden seine eigene Öffentlichkeit existiert.
Ist Produktwerbung nicht immer ein Plädoyer für den gesellschaftlichen Status quo, also eines gegen gesellschaftliche Veränderungen?
Produktwerbung beschreibt in der Regel das Hier und Jetzt als akzeptabel und schön, und es wäre noch einen Tick schöner mit einem bestimmten Produkt. Im Umkehrschluss ist es allerdings nicht so, dass, wenn es die Werbung nicht gäbe, ich aus mir selbst heraus zu der Vision eines besseren Lebens käme. Auch das Bild, das wir von einem schöneren Leben oder einem genussvollen Moment haben, ist das Ergebnis eines Prozesses von Interaktion mit der Außenwelt und hat Referenzpunkte in Filmen, in Bildern, in Büchern, in Gesprächen mit Freunden, auch in der Werbung. Bei der Suche nach dem schönen Leben suchen wir im Grunde nach dem Déjà-vu von etwas, das wir irgendwo mal fragmentarisch gesehen oder gehört und gemocht haben.
Ihre Agentur macht keine klassische Werbung für Produkte, sondern entwickelt Kommunikationsstrategien für Unternehmen wie die Betriebskrankenkassen ebenso wie für Non-Profit-Organisationen wie Oxfam. Wo verläuft die Grenze zwischen klassischer Werbung und Public Relations?
Werbung findet an gekauften Werbeorten statt, wenn ich eine Anzeige schalte oder eine Plakatfläche buche. PR ist, Strategien zu entwickeln, wie ich Leute überzeuge, dass sie meine Idee so gut finden, dass sie sie kostenlos publizieren. Das kann zum Beispiel Pressearbeit bedeuten, oder dass Menschen im Freundeskreis erzählen, dass sie für eine Organisation Geld spenden, weil sie ein gutes Anliegen vertrete. Formal ist die Darstellung der Argumente der Gewerkschaften für einen Mindestlohn grundsätzlich nichts anderes, als die Vorzüge des iPhone gegenüber einem anderen Smartphone herauszustellen.
Ist eine Welt ohne Werbung überhaupt vorstellbar, also auch jenseits des Kapitalismus?
Es kann theoretisch eine Welt ohne Werbung geben, die Frage ist, ob es eine schöne Welt wäre, eine lebenswerte Welt. Wenn ich konsumiere, spielt ja nicht nur der reine Nutzwert eines Produkts eine Rolle, sondern auch, was ich damit assoziiere. Ich rauche eine bestimmte Zigarettenmarke und fühle mich damit frei und habe ein Bild im Kopf, wie ich in Paris an der Seine sitze. Wenn ich das Gefühl habe, dass dieses Telefon nicht nur telefoniert, sondern auch schön aussieht, dann kommt das auch durch die Werbung, und diese Assoziation macht tatsächlich auch ein Stück Lebensqualität aus.