Die Datenschutzabkommen der EU mit den USA

Deine Daten, meine Daten

Deutschland hat sich wie die EU vorerst dafür entschieden, an den Datenarsenalen der US-Geheimdienste teilzuhaben. Da auch dieser Schritt einer Kosten-Nutzen-Kalkulation unterliegt, könnte er schnell rückgängig gemacht werden.

Wie wenig ökonomisch die staatliche Kontrolle des Alltagslebens früher einmal schien, zeigt sich in Sidney Lumets Gangsterfilm »The Anderson Clan« aus dem Jahr 1971. Jedes Telefonat der kriminellen Protagonisten wird vom Staat abgehört, jedoch als unbedenklich beurteilt, da »kein politischer Inhalt« zu erkennen ist. Weil so etwas mittlerweile niemals mehr durchgehen würde, lacht das weniger auf- als abgeklärte Publikum heutzutage bei den Vorführungen des Films.
Denn heute soll sich auch staatliche Überwachung in einem unmittelbaren Sinn rechnen. Wegen der von Edward Snowden aufgedeckten weltweiten Massenüberwachung von Kommu­nikationsverbindungen durch US-Geheimdienste geraten aber derzeit deutsch-europäische Kalku­lationen durcheinander: Soll man die Aktivitäten der USA als Bedrohung einstufen und Gegenmaßnahmen defensiver wie offensiver Art einleiten oder sollte man besser das Treiben der transatlantischen »Partner« nicht so persönlich nehmen und als kostengünstige Chance der Partizipation an deren Datenreichtum begreifen? Auf der diplomatischen Ebene scheint sich zunächst die zweite Variante durchgesetzt zu haben.

So entschied die EU-Kommission Ende November, drei in die Kritik geratene Abkommen mit den USA nicht in Frage zu stellen. Das ökonomisch bedeutsamste ist das Safe-Harbor-Abkommen. Darin erkennen die EU-Staaten das Niveau des US-Datenschutzes als ausreichend und verbindlich an, sofern US-Geschäftspartner gegenüber der Federal Trade Comission eine Selbstverpflichtung zum Datenschutz abgegeben haben. Diese liegt selbstverständlich von den als Komplizen der NSA gescholtenen Unternehmen wie Google, Facebook, Microsoft und anderen vor, der Konzern Nokia weist seine ausländischen Geschäftspartner sogar ausdrücklich darauf hin, dass »ihre Daten womöglich an die NSA übermittelt werden müssen«, wie die FAZ Ende November berichtete. Europäische Industrieunternehmen hatten die EU-Kommission eindringlich vor den Kosten gewarnt, die durch die Aufkündigung oder Aussetzung des Safe-Harbor-Abkommens entstehen könnten.
Bestätigt wurde von der Kommission auch das heftig kritisierte Swift-Abkommen, das es amerikanischen Stellen gestattet, Finanztransaktionen zwischen Europa und den USA zu überwachen. Hier wurde ausdrücklich und lobend auf den Nutzen der Schnüffelei für Europa hingewiesen: In den vergangenen drei Jahren hätten europäische Behörden auf der Grundlage des Swift-Abkommens 158 Anfragen an die amerikanischen Kollegen gestellt, deren Beantwortung habe zu 924 Ermittlungen geführt. Dieser Erfolg bestärkte die Kommission in der Ablehnung des vom EU-Parlament geforderten eigenständigen Überwachungssystems für Transaktionen, denn dafür müsse »eine große Datenbank aufgebaut werden, was nicht nur teuer wäre, sondern auch datenschutzrechtliche Probleme aufwerfen würde«, wie die FAZ schrieb.
Ausschließlich Lob wollte die EU-Kommission schließlich dem ebenfalls stark kritisierten Passenger-Name-Record-Abkommen spenden. Darin wird die Übermittlung der Daten von Personen, die von Europa in die USA reisen, an das Homeland Security Office vereinbart. Die US-Stellen hielten sich hier vorbildlich an sämtliche Regelungen des Datenschutzes und der vereinbarten Anonymisierung überprüfter Daten, urteilte die EU-Kommission. Es ist aber anzunehmen, dass diese Einschätzung einer Haltung entspringt, die der alles andere als staatskritische Tagesspiegel in der vergangenen Woche als »ziemlich naiv« beschrieb: »Wer nicht gerade im Grenzgebiet von Afghanistan und Pakistan mit seltsamen vollbärtigen Leuten mobiltelefoniert hat, dürfte beim nächsten Trip nach New York kein Einreiseproblem wegen ungeklärter Beziehungen zu undurchsichtigen Gestalten bekommen.«

Diesen Spott handelten sich die Amerikaner wohl ein, weil sie wenige Wochen zuvor einem deutschen Staatsbürger zunächst die Einreise verwehrt hatten. Der Autor Ilija Trojanow sollte Mitte November im New Yorker Goethe-Institut zum Thema »Surveillance and the Naked New World« sprechen. Zuvor war Trojanow jedoch mit seiner Autorenkollegin Juli Zeh als Unterzeichner eines offenen Briefs an die »sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin« in Erscheinung getreten, in dem demokratische Abhilfe gegen die drohende Verwandlung der Bürger in »gläserne Menschen« gefordert wird. Dieser Brief war wohl der Grund für die Verweigerung der Einreise in die USA. Diese zog wiederum heftige Proteste aus Deutschland nach sich, die Wirkung zeigten, so dass Trojanow doch noch mit einem Einreisevisum stolz vor die Kameras treten konnte: Zehn Jahre gültig! Na also, geht doch!
Oder doch nicht? Je mehr Details aus den von Snowden gesicherten Unterlagen bekannt werden – und bislang sei nur knapp ein Prozent von ihnen gesichtet worden, so der Herausgeber des britischen Guardian –, desto verdrossener wird die Stimmung hierzulande. Entsetzt wird auch von traditionell proamerikanischen Medien wie dem Tagesspiegel vor dem »amerikanischen Sicherheitsmonster« gewarnt und die drohende »Pulverisierung des Privaten« beschworen. Jüngster Anlass war die Enthüllung der Überwachung von täglich fünf Milliarden Mobilfunkverbindungen durch die NSA außerhalb des US-Territoriums. Die auf diese Weise mögliche Erstellung von »Bewegungsprofilen« und »Beziehungsmustern« der überwachten Personen macht es nun selbst überzeugten Parteigängern des Hochsicherheitsstaats schwer, dessen Treiben mit der legitimen Abwehr terroristischer Bedrohungen zu rechtfertigen.
Doch »Bewegungsprofile« und »Beziehungsmuster« werden in Deutschland täglich mit polizeilicher Routine erstellt. Es sind, unübersicht­lichen Statistiken zufolge, jährlich mehrere hunderttausend Personen, die deutsche Polizeibehörden per Handyüberwachung bespitzeln. Bekanntlich kann mittels Versendung einer »stummen SMS« der Standort eines Mobiltelefons ebenso präzise ermittelt werden, als trüge der Besitzer eine »elektronische Fußfessel«. Zwischen 2006 und 2011 verschickten Beamte des Bundeskriminalamts mehr als 355 000 solcher »stummen SMS«, Zollbeamte versandten im selben Zeitraum 950 000, Verfassungsschützer 400 000.

Was sich auf nationaler Ebene als Kriminalitätsbekämpfung und -prävention darstellt, das heißt als Durchsetzung der vom Staat definierten Spielregeln allgemeiner Konkurrenz, manifestiert sich international als Durchsetzung und Sicherung des nationalen Wirtschaftsstandortes in der weltweiten Konkurrenz. Im Nationalstaat gehen Rechtshüter und Rechtsbrecher in einem stets konform: Ziel aller Anstrengungen ist die geldvermittelte Sicherung und Vermehrung von abstraktem Reichtum. Über die Realisierung dieses Ziels entscheidet der jeweils Stärkere. Auf dem Weltmarkt gilt dasselbe Prinzip: Die konkurrierenden Staaten betrachten einander unausgesprochen als bekämpfenswerte Kriminelle, die sich aber aufgrund von Stärke und Interessenlage gegenseitig anerkennen und bisweilen miteinander kooperieren. Dabei wird allerdings niemals vergessen, dass die Existenz und das Handeln anderer Staaten eine Beeinträchtigung optimaler eigener Reichtumsverwertung darstellen.
So dürfte die gegenwärtige deutsch-europäische Entscheidung, am US-Datenpool teilzuhaben, nicht von langer Dauer sein. Gewinneinbußen zu vermeiden, indem man versucht, von der großflächigen Überwachung durch die NSA und andere zu profitieren, ist eine Sache. Der tatsächliche Verlust, den die Spionage der USA verursacht, ist aber eine völlig andere. Die Bezeichnung »Sicherheitsmonster« wird daher wohl nicht die letzte verbale Interkontinentalwaffe der Deutschen bleiben.