Das neue Album von Ja, Panik

Wildes Leben ohne Ende

Zwischen Pop und Politik, Boheme und Unterschicht: Ja, Panik vermögen wie kaum eine andere Band derzeit, politische Inhalte auf kluge Weise zu vermitteln. »Libertatia«, das fünfte Album der Band, ist eine Kampfansage. Aber eine zärtliche.

Eigentlich war sie immer auch mit der Gelassenheit im Bunde, die Band Ja, Panik. Klar, sie redeten von Kapitalismus, wo alle von »der Wirtschaft« sprachen. Sie sangen auf Deutsch und Englisch, den Sprachen ihres Nachtlebens, während in ihrer Wahlheimat Berlin die Hetze gegen Touristen größer wurde. Aber sie waren dennoch dabei, beim Knabenchor des deutschsprachigen Indierock. Zumindest ein wenig.
»Libertatia« ist das fünfte Album von Ja, Panik. Im Titelstück packt die zum Trio geschrumpfte Band die Synthesizer aus, klatscht in die Hände und streut ein wenig Glitter über ihren Indierock. Und Andreas Spechtl singt darüber in Hochdeutsch: »Ich wünsch mich dahin zurück, wo’s nach vorne geht.« Nostalgie für die Idee einer fortschrittlicheren Zukunft, gepaart mit etwas Glamrock – das ist selten im deutschen Gitarren-Pop, wo nichts so sehr verachtet wird wie Künstlichkeit und wo das gefühlige Einverständnis mit dem Publikum die Voraussetzung für eine Mitgliedschaft im Club ist. In Österreich, wo die Mitglieder von Ja, Panik aufwuchsen, ist das anders. Dort versteht man Pop als mit Zitaten gespickte Performance, als Uneigentlichkeit, nicht erst seitdem Hans Hölzl vom langhaarigen Bassisten der Rockband Drahtiwaberl zum Boheme-Kokser Falco wurde. Auch Ja, Panik versuchten sich an dieser Form von Künstlichkeit. Früher legten sie collagierte Textkonvolute über Indierock, mittlerweile arbeiten sie sich durch die Popgeschichte. »Libertatia« ist ein Zitatpop-Album geworden.
»Das Vorwärtstreiben ist der einzig fruchtbare Weg, sich mit Geschichte zu beschäftigen. Der Rückblick, der einem gewisse Instrumente gibt, um damit eine gewisse Form von Zukunft zu bestreiten«, erzählt Andreas Spechtl. Wobei der Fortschritt nicht so leicht zu haben ist. »In Deutschland hat man die fünfziger Jahre am liebsten«, meint Spechtl und hat damit Recht. Nicht umsonst tut sich die Linkspartei derzeit dadurch hervor, im Schulterschluss mit der FAZ den rheinischen Kapitalismus als Ende der Geschichte zu propagieren. Auch das Album »Libertatia« bedient sich für seine Utopie in der Geschichte. Angeblich existierte im 17. Jahrhundert eine Piratenkolonie namens Libertatia auf Madagaskar, die als Räterepublik organisiert war und deren Mitglieder nicht nur plünderten, sondern auch Sklaven befreiten.
Ja, Panik stehen vor dem alten Problem sich als politisch definierender Popmusik. Es ist das eine, progressive Bewegungen und ihre Symbolik zu zitieren und ihre Ideen zu den eigenen zu machen. Schwieriger ist es schon, diese Ideen auch innerhalb eines Bandgefüges umzusetzen. Konzertbühnen und Proberäume sind nicht die idealen Orte für Diskussionen. Vielleicht ist das Studio besser geeignet: »Der Aufnahmeprozess ist diesmal demokratischer gewesen«, meint Andreas Spechtl. »Man hat viel vorm Computer gesessen, einer hat etwas ausprobiert, die anderen haben zugehört. Dann wurde diskutiert.« Aus dieser Mischung ergibt sich der Sound von »Libertatia«, eine detailreich produzierte Gitarrenpalette, in der selbst das Feedback noch eine gewisse Distanz zum Ausbruch des Rock wahrt.
Womit man auch gleich beim zweiten Problem angekommen ist. Denn wie will man das Verlangen nach politischem Fortschritt eigentlich hörbar machen, wenn zwar bei der kleinsten politischen Regung sofort die Frage nach dem Sound der Revolte gestellt wird, aber damit lediglich ein durchformatierter Kanon zwischen Protestsong und Protestrap gemeint ist? Das ausgeschlossene Dritte und zugleich eine Alternative sind all die Versuche, Politik über eine Form zu vermitteln, die nicht auf Identifikation mit einem ohnehin schon politisierten Publikum setzt – Versuche wie Phil Ochs goldener Anzug, mit dem er die Folkies unter seinen Fans verschreckte; oder die im Bällebad aus analogen Synthesizern verborgenen Zitate von Carlos Castoriadis, mit denen Stereolab immer wieder an die Möglichkeiten vergangener historischer Momente erinnerten.
Bei Ja, Panik kommen diese Momente aus den frühen Achtzigern, der Periode, als Klassenkonflikte noch an der Spitze der Pop-Charts verhandelt wurden. »Ich habe in den vergangenen Jahren viel Highlife und White Funk gehört«, erzählt Spechtl. »Wenn ›DMD KIU LIDT‹ unsere The-Jam-Platte war, dann ist ›Libertatia‹ vielleicht unsere The-Style-Council-Platte.« Und ähnlich wie Paul Weller mit The Style Council die barsche Working-Class-Männlichkeit seiner Post-Punk-Band The Jam in Richtung kleiner Zugeständnisse an Soul und Funk verschob, haben auch Ja, Panik auf ihrem neuen Album den Groove für sich entdeckt. »Wir haben uns zum ersten Mal mehr mit Loops als mit Harmonien beschäftigt«, beschreibt Spechtl die neu entdeckte Körperlichkeit seiner Band. »Unser Produzent Tobias Levin hat uns auch mal mehrere Tage nur einen Basslauf und einen Beat spielen lassen, damit wir einen körperlicheren Zugang zu unserer Musik finden.« »Dance the ECB« beginnt mit einem trockenen Funk-Bass, über dem sich Spechtl in gehauchtem Sprechgesang übt, bevor er »Shake the government and shake the police« kiekst. »Das ist eine sehr europäische Platte, und zwar im Guten wie im Schlechten«, meint er. »Europa steht ja vor den Trümmern eines gewissen Nationalitätsdenkens.« Nichts könnte das besser verkörpern als die Machtlosigkeit der Europäischen Zentralbank, die sich dem deutschen Spardiktat unterordnen muss – und der Spechtl mit einem wissenden Nicken in Richtung DAF eine Tanzkur verordnet. Später, in »Eigentlich wissen es alle«, bricht die Schlafzimmer-Soul-Atmosphäre in Form eines schmierig gegniedelten Tenor-Saxophons in die Melancholie, mit der Spechtl über das Älterwerden nachdenkt.
»Ein wildes, suchendes Leben macht sich gut, solange man mit 35 Jahren zur Vernunft kommt. Ich muss das gerade in meiner Umgebung erfahren und da sieht sich die Gruppe Ja, Panik als Gegenpunkt«, erzählt der 30jährige Sänger. Also, einfach weitermachen mit dem Leben in der Grauzone zwischen Boheme und Unterschicht? »Ich will da gar nicht die Prekaritätsromantik auspacken, aber es ist mir schon wichtig, dass wir uns dafür entschieden haben, von der Musik leben zu wollen. Ich habe bestimmt nicht mehr Geld als eine Verkäuferin, aber ich habe ein anderes Leben.«
Und dieses andere Leben, ein Leben zwischen nächtlichen Taxifahrten, Drinks, wackligen Knien und programmatischen Bekenntnissen, hält Spechtl in seinen Texten fest. Nicht als Chronist, sondern als Dichter. »Es ist nicht unbedingt ich, der da spricht«, sagt er. »Viele Dinge lege ich anderen in den Mund, ich sammle Phrasen und Zeilen, die ich zwischen den Songs hin- und herschiebe. Da spielen dann auch so profane Dinge wie Reim oder Versmaß eine Rolle.« Dichterische Freiheit – noch so eine Selbstverständlichkeit, die man sich in der deutschen Bodenständigkeit zwischen Egotronic und Thees Uhlmann immer erst erstreiten muss. Denn warum soll man nicht dem einfachsten aller Popträume folgen dürfen: Sich so weit wie möglich neu zu erfinden, ohne dass dies gleich in Verwertbarkeit münden muss?
Wobei sich auf »Libertatia« auch die Grenzen dieser Freiheit erkennen lassen. Kein Stück auf dem Album geht über Experimente mit der Songform hinaus, die Roxy Music schon in den frühen siebziger Jahren durchexerziert haben. Aber wer würde auch etwas anderes erwarten von Musikern, die im Zeitalter von Britpop und The-Bands sozialisiert wurden, dieser musikalischen Verkörperung gesellschaftlicher Alternativlosigkeit? So ist »Libertatia« ein durchaus ambivalentes Album. Seine Qualitäten erschließen sich erst, wenn man die eigenen Erwartungen schon gedämpft und die Grenzen der Platte akzeptiert hat. Erst dann fällt auf, wie spielerisch Spechtl zwischen Hauchen und Singen, Deutsch, Französisch und Englisch wechselt. Erst dann merkt man, wie er niemals in die Pose des angry young man verfällt, wie schön leise er »ACAB«, diesen abgedroschensten aller Slogans, singt. Bei Ja, Panik wird daraus »All cats are beautiful« und trotzdem ist allen klar, dass die Polizeigewalt gemeint ist. So zärtlich hat schon lange niemand mehr gegen den Staat gewettert.
Ja, Panik: Libertatia (Staatsakt/Rough Trade)