Großbritanniens Austrittsdrohungen

Einsame Insel

Die britische Regierung will ein grundlegend reformiertes Europa mit mehr nationaler Souveränität – oder den Ausstieg aus der EU.

Durch den Eurotunnel ist Brüssel von London nur anderthalb Stunden Fahrtzeit entfernt. Die gefühlte Distanz ist jedoch um einiges größer. So groß, dass »Europa« normalerweise nicht mal in den Top 10 der am häufigsten diskutierten politischen Themen auftaucht. Premierminister David Cameron war davon ausgegangen, sich erst im Wahlkampf 2015 wieder tiefer gehend mit der EU befassen zu müssen. Vorigen Mai hatte er angekündigt, dass er nach der nächsten Wahl einen zweijährigen Neuverhandlungsprozess über die Konditionen der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens einleiten werde, der mit einem Referendum im Jahr 2017 enden solle. Allen Bürgern Großbritanniens solle die Gelegenheit gegeben werden, über den Verbleib in der EU zu entscheiden.
Einigen Tories geht dies aber längst nicht weit genug, daher haben sie das Thema bereits jetzt wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Anfang des Jahres hatte Cameron auf Druck einiger Tory-Abgeordneter bereits Einschränkungen bei Sozialleistungen für neue EU-Einwanderer bekannt gegeben (Jungle World 2/14) und damit eine Bereitschaft zur einseitigen Abweichung von EU-Vorgaben signalisiert. Einerseits hofft Cameron, dass er die Wähler zurückgewinnen kann, die Umfragen zufolge anstatt den Tories der rechtspopulistischen und anti-europäischen United Kingdom Independence Party ihre Stimme geben wollen. Andererseits ist dies ein Resultat der Arbeit einiger Tory-Hinterbänkler. In einem Brief an den Premierminister verlangten 95 konservative Abgeordnete Gesetzesänderungen, die dem Parlament die Autorität verleihen, neue EU-Gesetze zu blockieren und bereits bestehende EU-Gesetze außer Kraft zu setzen, wenn diese die »nationalen Interessen« Großbritanniens gefährden.
Ein solches Vetorecht bezeichnete Außenminister William Hague zwar als unrealistisch, erklärte jedoch, die britische Regierung habe der EU zu verstehen gegeben, dass sie eine erhöhte Rechenschaftspflicht von EU-Entscheidungen anstrebe. Finanzminister George Osborne drohte in einer Rede damit, dass Großbritannien die EU verlassen werde, wenn es keine tiefgreifenden Reformen gebe. Osborne klagte, es werde zu viel Geld in Sozialleistungen gesteckt. Wenn es der EU nicht gelinge, auch die Interessen der Nicht-Euro-Länder zu vertreten, bleibe Großbritannien nur der Ausstieg – oder der Beitritt zur Eurozone, was die britische Regierung aber auf keinen Fall vorhabe.

ybYDerzeit wird im parlamentarischen Oberhaus, dem House of Lords, das Gesetz diskutiert, welches das EU-Referendum 2017 ermöglichen soll. Obwohl die der Labour Party und den Liberaldemokraten nahestehenden Lords instruiert wurden, das Gesetz im Oberhaus aufzuhalten und Fristen zur Weiterreichung ins Unterhaus ablaufen zu lassen, wollen sie das Gesetz nicht endgültig verhindern, da Labour sonst als die Partei dastehen könnte, die der Bevölkerung die Wahl verweigert. Die Labour Party lehnt das EU-Referendum auch nicht generell ab. Lediglich der Zeitpunkt sei, wie der Labour-Lord Kerr of Kinlochard meint, schlecht gewählt. 2011 unterstützte die Labour Party noch das Gesetz, das bei einer weiterern Übertragung von Zuständigkeiten an die EU ein Referendum nötig macht.
David Cameron will jetzt die Zuständigkeiten in der EU neu verhandeln, welche das genau sein sollen, sagt er allerdings nicht. Unter der Voraussetzung, dass die britischen Reformforderungen umgesetzt werden, könne Großbritannien EU-Mitglied bleiben. Andere Tories sind wesentlich skeptischer hinsichtlich der Reformierbarkeit der EU. Sie setzen sich gerade deshalb für das Referendum 2017 ein. So betonte das Mitglied des Oberhauses Lord Dobbs – Autor der erfolgreichen Fernsehserie »House of Cards«: »Europa ist eine Pest. Es ist zu einem Gift in unserem politischen System geworden. Es dominiert einen Großteil unseres politischen Dialoges hier und wir müssen uns von dieser Last befreien.« Lord Dobbs ist dies eine solche Herzensangelegenheit, dass er sogar auf eine Reise nach Los Angeles zu einer Preisverleihung für seine Fernsehserie verzichtete, um der Debatte im Oberhaus beizuwohnen.