Das Verhältnis zwischen der BRD und den USA nach der NSA-Affäre

Höchststrafe für Friedensverbrecher

Das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und den USA ist angesichts des NSA-Skandals zerrüttet. Was das für die Zukunft bedeutet, zeigt ein der Jungle World zugespieltes Dokument.

»Klare Kante gegen die Schnüffelei der Amerikaner« forderte Bernd Riexinger, der Vorsitzende der Linkspartei, in der vergangenen Woche von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wolfgang Bosbach (CDU) sagte der FAZ: »Das Strafrecht gilt uneingeschränkt, und da gibt es keine Rechtsgrundlage, auch nicht zugunsten von Verbündeten, die diese Strafvorschriften außer Kraft setzen.« Ein Kommentator der Zeitung referierte: »Der Schutz der eigenen Bürger erfordert neben leistungsfähigen eigenen Geheimdiensten eine strategische Entscheidung für Zukunftstechnologien.« Und der Spiegel fragte in derselben Woche: »Wie viel eigene nationale Souveränität muss ein Land wie die Bundesrepublik demonstrieren, um in dieser Grundsatzdebatte überhaupt ernst genommen zu werden?«
Solche Töne sind derzeit zu vernehmen, wenn es um das Verhältnis der Bundesrepublik zu den USA geht. Wenn Deutschland, mit »Zukunftstechnologien« und dem Strafrecht bewehrt, zur Demons­tration nationaler Souveränität »klare Kante« gegen die USA zeigt, dürfte sich das Verhältnis auch in Zukunft kaum bessern. Einen Einblick in die verheerenden Entwicklungen gibt ein geleaktes Dokument einer deutschen Nachrichtenagentur.

DPA. Stuttgart, 28. Januar 2034. Mit einem Spezialhelikopter der Europäischen Luftverteidigung (EurAirDef) sind heute Vormittag die mutmaßlichen Friedensverbrecher Barack Obama (73) und Keith Alexander (82) auf dem Gelände des Hans-Christian-Ströbele-Gerechtigkeitsparks in Stuttgart-Stammheim eingetroffen. Sie sollen im siebten Stockwerk der dortigen Untersuchungshaftanstalt die Zeit bis zu ihrem voraussichtlich Anfang Mai beginnenden internationalen Strafprozess in Einzelhaft verbringen.
Zuvor hatte Justizminister Bodo Ramelow (»Die Linke«) vor der Presse noch einmal die ungewöhnliche Festnahme der Beschuldigten durch eine Task Force der Europäischen Sicherheitskräfte (EuSecFor) verteidigt. Diese hatte zugegriffen, kurz bevor die Beschuldigten in einem Hotel des Schweizer Luftkurorts Davos, am Rande des diesjährigen Weltwirtschaftsgipfels, vor internationalen Vertretern aus Wirtschaft und Politik eine, wie es von Veranstalterseite hieß, »Präsentation über Probleme der Kommunikationssicherheit in einer global vernetzten Gesellschaft« abhalten konnten.
Den Beschuldigten wird der Versuch des »Völkermords durch mentale Verunsicherung« vorgeworfen, für den das 2031 ratifizierte »Gemeinsame Strafrecht der Europäischen Union und ­aller recht- und billigfühlenden Völker« als »Mentozid« die Höchststrafe vorsieht. Mindestens zwischen 2009 und 2016, der Regierungszeit des Hauptbeschuldigten Obama, sollen sie Millionen völlig schuldloser Deutscher und Milliarden Bürger anderer Staaten durch Überwachung und Aufzeichnung jeder Art von Telekommunikation in einen Zustand mentaler Verunsicherung versetzt haben, der als humanitäre Katastrophe höchsten Ausmaßes bezeichnet werden muss. »Milliarden und Abermilliarden unschuldiger Menschen, von der Regierungschefin bis zum Arbeitssuchenden, deren einziges Verbrechen in ihrem Streben nach Kommunikation bestand«, hatte die Europäische Ministerin für Volks- und Netzgesundheit, Manuela Schwesig (SPD), kürzlich in einer ergreifenden Ansprache erklärt, »sind, wie wir heute eindeutig wissen, traumatisiert. Ihnen wurde jegliche Netzfreude, alle Netz­sicherheit einfach genommen. Ja, nicht wenigen wurde jedes Netzvertrauen ausgelöscht, ausradiert – vielleicht für immer.«

Bereits im November 2013 hatte eine Initiative Deutschlands und Brasiliens gegen die amerikanische Weltbeschnüffelung im Menschenrechtsausschuss der damaligen Uno-Vollversammlung für Aufsehen gesorgt. Das wurde seinerzeit noch manchenorts ignoriert. Nachdem aber das ganze Ausmaß mentaler Traumatisierung in Form von zunächst epidemischer, dann aber epidemischer Netzabstinenz deutlich geworden war, setzte sich nach und nach die internationale Gemeinschaft durch. So waren es bald nicht nur Deutschland und Brasilien, die dem Treiben der USA und der NSA mit engagierter Aufmerksamkeit begegneten. In den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts formierte sich zunächst zögerlich, bald aber offensiv eine Allianz, der mittlerweile auch Österreich, die Freie Ukraine, das Wiedergeborene Lettland, die Neue Schottische Unabhängigkeit (Nova Scotia Independencia), die Multikulturelle Republik Iran und die Christlich-Islamische Assoziation Palästina (CIAP) angehören. Aus den genannten Staaten rekrutiert sich auch das Richterkollegium des 2029 gegründeten »Internationalen Strafgerichtshofs für Friedensverbrechen«. Vor diesen Richtern werden sich Obama und sein Mitangeklagter Alexander der ehemalige Leiter des NSA, demnächst zu verantworten haben.
»Dies ist ein historischer Tag, nicht nur für unseren Rechtsstaat, sondern für das Rechtsempfinden jeder wahren internationalen Gemeinschaft«, sagte die überraschend eingetroffene Bundeskanzlerin Andrea Nahles (SPD), nachdem die Inhaftierten unter lauten Buhrufen der Umstehenden in das Haftgebäude verbracht worden waren. Den Beifall unterbrechend weist Nahles auf die zunächst unbeachtete Person an ihrer Seite. Es ist Altbundeskanzlerin Merkel, merklich gezeichnet von dem, was Spötter einst als Handy-Tick verharmlosten, dann als Handy-Krebs gemäß NECD (New European Classification of Diseases) anerkennen mussten, und was seither gleichsam liebevoll als »strahlender Yankee« bezeichnet wird. »Mutti, Mutti«, entfährt es ehrfürchtig den Versammelten. Als die ergriffenen Menschen bemerken, wie schwer der Verehrten das Verlesen des vorbereiteten Grußwortes fällt, skandieren sie eine einst trotzig über den Atlantik gesandte Maxime Merkels: »Das geht gar nicht! Das geht gar nicht!«
Vom Südportal des Hans-Christian-Ströbele-Gerechtigkeitsparks ist weiteres rhythmisches Skandieren zu vernehmen. Eine Hundertschaft der Freiheitlich-Demokratischen Antifa-Jugend (FDAJ) hat dort Position bezogen, schnell besetzen die jungen Leute mit ihren Transparenten, auf denen in großen Lettern »No Pasarán« steht, auch alle übrigen Eingänge. Innerhalb von Minuten ist die gesamte Fläche des Parks akustisch vom unverwechselbaren Slogan der FDAJ erfüllt: »Wir sind Verfassungsschutz! Wo stehst du?« Alle anderen, einschließlich der anwesenden Politikerinnen und Politiker, stimmen ein.

»Wir sind hier, um Schutz zu machen«, sagt die 18jährige Josie Schäfer-Özdemir aus dem hessischen Günzburg. »No Pasarán, ich meine, das ist ja nicht nur gegen die Amis und ihren Scheiß, und dass die damit nicht durchkommen. Nee, da muss sich jeder auch mal selbst was fragen. Ich mein’, wenn wir hier Kontrolle machen, dann finden wir in Taschen von Leuten oft Drogen und Pornographie, echt. Und das Krasseste ist, manche haben sogar illegale Tabak- und Fleischprodukte dabei. Da fasst du dich doch echt an den Kopf, oder?« Josie kann nur wenige Wochen hier in Stammheim bleiben, im April beginnen in Günzburg die Abiturklausuren. »Da muss ich echt fit sein, megafit.« Aber dann wird ein anderer junger Mensch ihren Platz einnehmen. Das mag den Inhaftierten im siebten Stock sauer aufstoßen, aber so ist sie nun einmal, die Realität in einem freien Land selbstbewusster Europäer.