Volksbegehren gegen Zuwanderung in der Schweiz

Schöner leben unter sich

Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei fordert in ihrem Volksbegehren, dass die Schweiz die Zuwanderung von Ausländern in Zukunft eigenständig regelt. Es ist nicht die einzige fremdenfeindliche Gesetzesvorlage, die gegen das Freizügigkeitsabkommen mit der EU verstoßen würde.

Trotz globaler Krise wächst in der Schweiz die Wirtschaft. Viele ausländische Arbeitskräfte sind in der Bau- und Landwirtschaft, im Gesundheitswesen und der Gastronomie tätig, die Unternehmen sind auf diese Arbeitskräfte angewiesen. Ermöglicht wird die Mobilität durch das Personenfreizügigkeitsabkommen von 1999 zwischen der Schweiz, der Europäischen Union (EU) und Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA), das mit der EU-Erweiterung auf die neuen EU-Staaten ausgedehnt wurde. Lediglich für Staatsangehörige aus Bulgarien und Rumänien gelten bis Ende Mai 2016 noch Zulassungsbeschränkungen. Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) will die Freizügigkeit jedoch für alle wieder einschränken. Die »maßlose Masseneinwanderung zerdrückt die kleine Schweiz«, so der stellvertretende Vorsitzende der SVP, Christoph Blocher. Die Löhne würden gedrückt, weil es zu viele Arbeitsuchende gebe, durch Zuwanderung werde Kulturland überbaut und die »Ausländerkriminalität« nehme zu, da nicht nur hochqualifizierte EU-Einwanderer kommen, behaupten die Rechtspopulisten.

Darüber, ob die Schweiz die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern in Zukunft selbst regeln soll, stimmen die Schweizerinnen und Schweizer in der von der SVP initiierten Volksinitiative »gegen Masseneinwanderung« am 9. Februar ab. Die Zahl der Bewilligungen für den Aufenthalt soll der Initiative zufolge jährlich durch Kontingente begrenzt werden – mitgezählt werden sollen dabei auch Grenzgänger, Asylsuchende und Familienangehörige. Bei den Höchstzahlen für die Bewilligungen sollen gesamtwirtschaftliche Interessen der Schweiz berücksichtigt und bei der Vergabe von Arbeitsplätzen Schweizerinnen und Schweizer bevorzugt werden. Außerdem soll die Schweiz keinen völkerrechtlichen Vertrag mehr abschließen, der die Steuerung der Zuwanderung beschränkt.
Dies verstößt jedoch gegen das Personenfreizügigkeitsabkommen, das nur eines mehrerer bilateraler Abkommen mit der EU ist, der Bilateralen I und II. Diese erleichtern Schweizer Unternehmen den Zugang zum EU-Markt, indem sie etwa technische Handelshemmnisse abbauen und den Handel mit Agrarprodukten vereinfachen. Kündigt ein Vertragspartner eines der Abkommen des Vertragsbündels, treten bald alle Abkommen über die Marktöffnung außer Kraft. Verbände der Schweizer Wirtschaft und Gewerkschaften hatten daher die »Abschottungsinitiative« kritisiert. Valentin Vogt, Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, sagte, dass aus Europa Fachkräfte rekrutiert würden, die im Land fehlen. Und es sei keine »Einbahnstraße«, Schweizerinnen und Schweizer könnten auch in Europa arbeiten. Pepo Hofstetter von der Gewerkschaft Unia räumte ein, dass es durchaus Arbeitgeber gebe, die Dumpinglöhne zahlen. Das sei aber nur möglich, weil ausreichende flankierende Maßnahmen zum Schutz der Arbeits- und Lohnbedingungen fehlen, so Vania Alleva, Co-Präsidentin der Gewerkschaft Unia.

Bei dem Volksbegehren der SVP gehe es nicht in erster Linie darum, die Einwanderung zu reduzieren. Eingewanderte Arbeitskräfte könnten Alleva zufolge vielmehr bei einer Kontingentregelung zur »rechtlosen Manövriermasse« werden. Derartige Zustände herrschten in den sechziger Jahren, als ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter im Saisonnierstatus Arbeit suchten. Toni Brunner, der Vorsitzende der SVP, wünscht sich diese Arbeitsform wieder: »Das war ein sehr gutes System.«
Da auch Asylsuchende als Teil der Kontingente mitgezählt werden sollen, ist der SVP-Vorschlag auch hinsichtlich der Asylpolitik sehr problematisch. Wenn Asylsuchende dadurch den gleichen Regelungen unterliegen wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, kann das Recht auf Asyl in Not verletzt werden. Die Schweizer Wochenzeitung Woz bemerkte kürzlich, in den vergangenen Jahren habe die Schweiz in der Ausländerpolitik fast nichts richtig gemacht – außer bei der Personenfreizügigkeit. So würden zumindest EU-Bürgerinnen und -Bürger, die zwei Drittel der Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz ausmachen, nicht diskriminiert. Bei einem Ja zur Volksinitiative würde sich dies ändern. Für Arbeitsuchende außerhalb der EU/EFTA-Staaten gilt jedoch bereits die Kontingentregel. Unternehmen müssen Bedarf anmelden, damit die Möglichkeit der Rekrutierung nichteuropäischer Arbeitskräfte besteht.
Nicht neu ist auch die Idee, dass die Schweiz vor »Überfremdung« geschützt werden müsse. 1970 legte der Schweizer Nationalist James Schwarzenbach einen Entwurf vor, der vorsah, dass der Anteil der ausländischen Bevölkerung in jedem Kanton zehn Prozent nicht überschreiten dürfe, mit Ausnahme von Genf, wo 25 Prozent erlaubt sein sollten. Bereits Ende 2009 stimmten bei einem von der SVP mitinitiierten Volksentscheid 57 Prozent für das Verbot des Neubaus von Minaretten in der Schweiz. Knapp 53 Prozent stimmten 2010 für die Eidgenössische Volksinitiative »Für die Ausschaffung krimineller Ausländer« der SVP. Dazu gesellen sich heute Versuche der SVP, die Anbindung der Schweiz an die EU rückgängig zu machen.
Wegen der Krise ist die EU für die Schweiz ziemlich unattraktiv geworden. Die EU versuche, wie die Sozialwissenschaftler Karl Heinz Roth und Zissis Papadimitriou darlegten, sich mit Strategien wie Vergrößerung der wirtschaftlichen Reservearmee, Verdichtung der Arbeitsprozesse, Senkung der Löhne, Privatisierung der öffentlichen Güter und Etablierung harter Schuldenregime zu helfen. Das Resultat aber war, dass Pauperisierungsprozesse eine neue Qualität erreicht haben. Die SVP versucht, die Schweiz durch »Abschottung« davor zu retten. Auch wenn der frühere SVP-Präsident Blocher beschwichtigt, sie verlange nur eine Anpassung der Verträge und keine Kündigung. EU-Kommissarin Viviane Reding hingegen insistiert, die Personenfreizügigkeit lasse sich nicht neu aushandeln.

Derzeit sind Umfragen zufolge 43 Prozent der befragten Schweizerinnen und Schweizer für die Initiative der SVP, 50 Prozent sind dagegen. Doch sollte die Initiative »gegen Masseneinwanderung« am Sonntag scheitern, könnte bald über die Ecopop-Initiative abgestimmt werden. Seit 1970 befasst sich die Umweltorganisation Ecopop mit der Belastung der Ressourcen durch das Bevölkerungswachstum. Mit ihrem Volksbegehren will sie das Bevölkerungswachstum begrenzen und zugleich »Familienplanung in den Entwicklungsländern« betreiben. Sie fordert, dass die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz durch Zuwanderung im dreijährigen Durchschnitt nicht mehr als 0,2 Prozent pro Jahr wachsen dürfe – zum Erhalt der »Lebensqualität«. Zudem soll die Entwicklungshilfe das Bevölkerungswachstum in der Peripherie regulieren. Die Kritik richte sich nicht »gegen Ausländerinnen und Ausländer, die in unserem Land leben«. Wegen der Vermischung »sachfremder Forderungen« könnte das Volksbegehren jedoch für ungültig erklärt werden. Bei einer Annahme der Initiative wären wieder die bilateralen Verträge gefährdet.
In erster Linie gehe es bei der Ecopop-Initiative darum, die Privilegien der Mittelklasse gegen Migrantinnen und Migranten und die unteren Klassen zu sichern, kritisieren Aktivisten des Zürcher Infoladens Kasama. In unsicheren Zeiten leugne man die Mitschuld an der Krise und schiebe dafür anderen die Schuld zu: »Hier werden migrationsfeindliche Argumente durch rassistische überlagert.«