Proteste in Venezuela eskalieren

Protestieren für mehr Sicherheit

In Venezuela protestieren Studierende gegen die schlechte wirtschaftliche Lage und die hohe Kriminalität. Die Regierung macht die Opposition und die USA für die Proteste verantwortlich.

»Volk horch auf, schließ dich dem Kampf an«, lautet einer der Schlachtrufe der Studierenden, die mit ihren Protesten seit rund zehn Tagen Venezuela in Atem halten. So auch Ende vergangener Woche, wo es Freitag- und Samstagnacht erneut zu Zusammenstößen mit der Polizei kam. Tausende waren auf den Straßen, um für die Freilassung von 74 Studenten zu demonstrieren, die in den Tagen zuvor bei den Protesten festgenommen worden waren. Im Kern geht es dabei um die verfahrene wirtschaftliche und soziale Situation in Venezuela, ausdrücklich werden Maßnahmen gegen die Kriminalität und die Korruption gefordert. Auch die anhaltenden Versorgungsengpässe sind ein Thema. Die Studierenden wehren sich außerdem gegen die Kriminalisierung ihrer Proteste, so ihre Sprecherin Gabriela Arellano, eine 26jährige Geschichtsstudentin von der Universidad de los Andes. Dutzende Studierende wurden bei den Protestmärschen, nicht nur in Caracas, sondern auch in anderen Universitätsstädten wie Táchira oder Merida, unter anderem auch mit Schrot beschossen. Von wem, ist längst nicht immer klar, denn neben der Polizei sehen sich die Demonstrierenden zum Teil auch bewaffneten regierungstreuen Gruppen gegenüber.
Diese colectivos halten der »Revolution«, die Präsident Nicolás Maduro vollmundig propagiert, die Treue. Viele andere Venezolanerinnen und Venezolaner folgten ebenfalls Maduros Aufruf und gingen am Wochenende auf die Straße, um der Regierung zu unterstützen. Von dieser wollen viele Studierende nichts mehr wissen. Sie wollen mehr Sicherheit an den Universitäten, wie Daniel Martínez, Studentenvertreter der Universität Simón Bolívar, erklärt. Er wirft der Regierung vor, über Revolution zu sprechen, aber nichts Anderes zu machen als die Vorgängerregierungen.

Dazu gehört auch die Unterdrückung von Protesten. Während der Proteste kamen bereits zwei Studenten und ein Anhänger der colectivos am 12. Februar ums Leben. Bis dahin waren die Protestierenden von Maduro als »Terroristen« dif­famiert worden, die einen Umsturz planten und das Land ins Chaos führten. Dahinter, ereiferte sich Maduro, steckten mit Leopoldo López ein ehemaliger Bürgermeister des Stadtviertels Chacao in Caracas und die USA. Derartige Anschuldigungen sind typisch für Maduro, er bringt sie immer wieder an, wenn ihm die Argumente ausgehen. Dass – auch in den USA – verschiedene Seiten ein Interesse daran haben, Maduro aus dem Amt zu befördern, ist unstrittig, aber dass die USA hinter allem stecken sollen, was in Venezuela nicht funktioniert, ist nicht plausibel. López ist einer von drei Oppositionspolitikern, die im Visier der Regierung stehen. Der sich sozialdemokratisch gebende Vorsitzende der Partei Voluntad Popular (Volkswille) wird bereits per Haftbefehl gesucht und soll der Regierung zufolge die Demonstrationen organisiert haben. Die anderen beiden sind Antonio Ledezma, Oberbürgermeister von Caracas, und die konservative Abgeordnete María Corina Machado.

Dass es Studierende sind, die die wachsende Unzufriedenheit mit der Versorgungslage, der Kriminalität und der Perspektivlosigkeit auf die Straße tragen, ist kein Zufall. Bereits unter der Regierung von Hugo Chávez begehrten sie auf. Aber sein Nachfolger Maduro erweist sich immer mehr als eine schlechte Kopie seines verstorbenen Mentors. Der ehemalige Gewerkschaftsführer tut sich schwer damit, neue politische Konzepte zu entwerfen, um die eigene Klientel an sich zu binden und der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen. Seine Wirtschaftspolitik setzt auf mehr Kontrolle, verteufelt die sogenannte Bourgeoisie und verfolgt die Begrenzung von Gewinnen und eine fortschreitende Bürokratisierung. Ökonomische Dynamik hat diese Politik nicht entfacht, wie die Inflationsquote von über 50 Prozent zeigt. Angesichts der Proteste hat Maduro immerhin zweien der bereits unter Chávez weitgehend ignorierten Probleme, der überbordenden Kriminalität und der hohen Mordquote, den Kampf angesagt.
Seinem Zehn-Punkte-Plan zufolge, den er am Donnerstag voriger Woche vorstellte, soll die Polizei öfter auf Streife gehen und Schusswaffen beschlagnahmen – vor allem bei den Banden, die mehrere Stadtviertel von Caracas kontrollieren. So soll die extrem hohe Mordrate in der Hauptstadt gesenkt werden. Die Polizeipräsenz allein werde jedoch die Probleme nur kaschieren, denn das Justizsystem sei wenig effektiv und nicht unabhängig, wodurch Straflosigkeit weit verbreitet sei, kritisieren Menschenrechtsorganisationen wie Provea. Aber ein Gesprächsangebot an die Opposition, über die Konzepte zur Kriminalitätsbekämpfung zu diskutieren, zeigt, dass Maduro immerhin erkannt hat, dass den Protesten nicht so einfach beizukommen ist.

Gleichwohl soll offenbar so wenig wie möglich nach außen dringen. Die lokalen Medien halten sich mit Berichten über die Proteste auffällig zurück. Angeblich aus Angst vor Maßnahmen von Regierungsstellen, denn der nationale Rundfunkrat hatte kürzlich mit »Sanktionen« für Medien gedroht, »die Gewalt propagieren«. Wo dies anfängt, definiert wiederum der Rundfunkrat. Er war auch für das Ende der Übertragungen des kolumbianischen Kabelkanals NTN24 in Venezuela zuständig, der zuletzt abgeschaltet wurde. Informationen unter den Studierenden kursieren hingegen in erster Linie über die sozialen Netzwerke. Auch da versucht die Regierung zu intervenieren. So gab Twitter am Freitag voriger Woche bekannt, dass die Weitergabe von Fotos in Venezuela blockiert sei. Verantwortlich machte ein Unternehmenssprecher die venezolanischen Behörden.