Das Medium

Letzte Worte

Zu den interessanteren Zeitvertreiben gehört es, ein Stichwort in der Spiegel-Archivsuche einzugeben und nachzuschauen, was vor Jahren dazu geschrieben wurde. Nehmen wir als Beispiel »Stalingrad«. Neben »Ich bitte, erschossen zu werden«, einer mehrteiligen Serie, in der General von Seydlitz’ persönlicher Adjutant die Kapitulation der 6. Armee und die folgende Gefangenschaft schildert, findet sich 1949 auch ein kleiner Artikel, in dem letzte Briefe deutscher Soldaten aus Stalingrad dokumentiert sind. Ursprünglich hatte, so ist dem Einleitungstext zu entnehmen, das Oberkommando der Wehrmacht vor, aus den von der Zensur­instanz »Heeres-Post-Prüfstelle« geöffneten Schrei­ben ein Buch zusammenzustellen, was aber verboten wurde. Gleich der erste im Artikel veröffentlichte Brief ist, sagen wir: erstaunlich. Er stammt von jemandem, der seiner Ehefrau schreibt, dies sei wohl die letzte Nachricht, und ihr lang und breit erklärt, warum das Schrei­ben jetzt nun nicht »an die andere«, eine Frau namens Carola, geht. Der habe er sehr nah gestanden, erklärt der Soldat, und deswegen habe er ihr auch immer mehr geschrieben, aber nun, »vom Schicksal vor die Wahl gestellt«, gehe der letzte Brief nun eben an die Angetraute. Die sich, hätte sie die Nachricht erhalten, vermutlich nur wenig über die Zeilen gefreut haben dürfte, denn es folgen lange Anweisungen, wo sie Carola finden kann und was sie ihr alles ausrichten solle: »Sage ihr, dass sie mir viel in dieser letzten Zeit gewesen und ich hätte oft daran gedacht, was einmal werden sollte, wenn ich heimkehrte. Aber sage ihr auch, dass Du mir mehr gewesen seist …« Und außerdem sei das alles irgendwie auch nicht so schlimm: »Dass ich eigentlich froh bin, diesen Weg diktiert bekommen zu haben, der uns dreien eine entsetzliche Quälerei erspart hat.« (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44435443.html)