Der Fall Lewitscharoff

Nur halb glaubwürdig

Sibylle Lewitscharoff hat sich von ihren drastischen Worten distanziert. Aber meinte sie nicht genau das, was sie sagte?

Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff ist eine gebildete Frau. Gern zeigt sie dies, indem sie auf Werke der Weltliteratur Bezug nimmt. So auch in ihrer Rede »Von der Machbarkeit. Die wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod«, die sie am 2. März im Dresdner Schauspielhaus hielt. Darin verurteilt sie die Reproduktionsmedizin und nennt das biblische Onanieverbot »weise«. Das, was sie nicht mag, bezeichnet sie als »widerwärtig« oder als »Fortpflanzungsgemurkse«. Dass Kinder mittels künstlicher Befruchtung gezeugt werden, hält sie für »abartig«. »Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas.«
Lewitscharoff hat ihre Rede nicht frei gehalten, sondern abgelesen, sie wird also etwas länger nachgedacht haben, als sie Worte wie »Halbwesen« wählte. Im Dresdner Staatsschauspiel, wo sie die Rede hielt, klatschten die Menschen brav. Erst Ende voriger Woche, als ein paar Leute nachgedacht hatten und sich das Staatsschauspiel von der Rede distanzierte, bekam die Büchner-Preisträgerin sehr viel schlechte Presse. Homosexuellen eigene Kinder zu verweigern, ist okay, doch dass Kindern das Menschliche aberkannt wird, geht den meisten Christenmenschen zu weit.
Im ZDF-Morgenmagazin räumte Lewitscharoff deshalb ein, dass ihre Wortwahl »zu scharf ausgefallen« sei. Für die Bezeichnung »Halbwesen« entschuldigte sie sich. »Ich möchte ihn (den Satz) sehr gerne zurücknehmen, ich bitte darum.« Sie »würde niemals ein Kind, das auf diese Weise zur Welt kam, als fragwürdigen Menschen bezeichnen«. Genau das hatte sie aber getan. Reaktionäre wie Lewitscharoff oder Mosebach leiden unter dem beruflichen Manko, dass sie zwar viele Sätze mit Nebensätzen schreiben können, mit vielen hübschen Wörtern, die sie, wenn sie ihre Texte vortragen, nachschmecken (man höre, wie Lewitscharoff ihre Beleidigungen vorträgt), doch mit den Feinheiten der deutschen Sprache kennen jene, die die deutsche Kultur nicht nur verteidigen, sondern gleich zu repräsentieren glauben, sich nicht aus. Dank ihrer misslungenen Texte wollen sie dann, wenn der Protest zu laut wird, missverstanden worden sein. Doch ändert es nichts daran: Wer »zweifelhafte Geschöpfe« sagt, hat »zweifelhafte Geschöpfe« gemeint.