Er will doch nur spielen

Es ist nicht so, dass ich keine eigenen Joberfahrungen hätte. Gute anderthalb Jahre vertrödelte ich in einem Spielwarengeschäft. Der Laden gehörte zu einer Kette und war lange ein Hort der Zufriedenheit. Vier Mitarbeiter und ein Chef bildeten einen kleinen Kosmos. Der Chef war etwas schwierig, ein alter Mann, der Hosen trug, die er bis unter die Achseln hochzog, und er hatte wirklich schlimmen Mundgeruch. Was bei Arbeitsbesprechungen in dem winzigen Aufenthaltsraum ein ernstes Problem wurde. Wie lange kann man durch den Mund atmen, ohne dass es auffällt? Am liebsten aber blieb er sowieso zu Hause, was für alle, einschließlich der Kunden, die beste Lösung war. Die Mit­arbeiter hatten den Laden weitgehend im Griff. Drei Frauen und ein Mann waren wir, Sven, ein moppeliger Endzwanziger ohne Sexualerfahrungen, aber dafür mit einer anderen Leidenschaft: Modelleisenbahnen. Dafür gab es eine eigene Ladennische mit Verkaufstresen. Sie wirkte wie die Pornoecke in Videotheken. Während die Frauen Gesellschafts- oder Kartenspiele, Puppenküchen, Puppenbadewannen und Puppenkleidung fast ausschließlich an andere Frauen verkauften, war Sven für die Herrenabteilung zuständig. Diese Herren schlichen erst vor dem Schaufenster hin und her und warfen begehrliche Blicke auf die neue H0-Lok, fanden es aber augenscheinlich völlig unpassend, für diese Lok, die doch etwas mit Technik, also Vernunft, zu tun hat, in ein Spielzeuggeschäft zu gehen. Aber die Gier siegte immer und dann standen sie mit verschwitzten Händen, mit riechenden Haaren und roten Gesichtern im Laden. Sie sagten häufig »junge Frau« zu uns und wir sagten: »Moment, ich hole mal den jungen Mann«. Wir waren so froh, Sven zu haben, Sven, der diesen Herren ihre schmutzigen Phantasien, die sich um kleine Figuren, Schienen und Plastikbäume drehten, nicht übelnahm, und der sich nach dem Verkauf trotzdem ein bisschen schütteln und sofort die Hände waschen musste. Wir erlaubten Sven keine Ausfälle. Rief er an, um sich krankzumelden, bettelten wir, bis er doch erschien. Niemand wollte mit den Herren etwas zu tun haben.
Obwohl der Laden super lief, kam irgendwann das Gerücht auf, dass die Filiale geschlossen werden soll. Sofort sank unsere Arbeitsmoral auf null. Als das Gerücht Gewissheit wurde, begannen wir, mit dem stillen Einverständnis unseres Chefs, zu klauen, um die zukünftigen Gehaltsausfälle zu kompensieren. Wir trugen raus, was uns gerade eben noch unauffällig erschien. Und da hatte Sven seine Sternstunde, er klaute natürlich Eisenbahnen und die waren viel wertvoller als unsere Backgammonkoffer. Aber keine von uns konnte sich vorstellen, diese Ware an »die Herren« unter der Hand zu verkaufen. Außer Sven. Er hat also die größte Abfindung bekommen und wir alle gönnten sie ihm von Herzen.