Berlin Beatet Bestes. Folge 237.

Lass dich nicht weichkochen

Berlin Beatet Bestes. Folge 237. Berlin Tristesse Sampler (2014).

Wer in den Achtzigern oder Neunzigern Punk war, und ­das waren Tausende und Abertausende, ist es heute höchstwahrscheinlich nicht mehr. Die meisten, jedenfalls die Überlebenden, schafften sich im Laufe der Jahre einen stressigen Job, eine Familie und unzählige Verpflichtungen an, und fanden entsprechend dazu passende Bekanntschaften und musikalische Vorlieben. Wenn an Musik als Hobby überhaupt noch zu denken war, landete noch jeder alte Punk bei Indie-Rock oder Jazz. So wandelten sich auch ehemalige Hardcore-Punk-Labels zu öden Indie-­Klitschen und Musiker wie Fans verkündeten lapidar, sie »entwickelten sich weiter«.
Die Familie, die Freunde aus dem Kinderladen und der Firma haben noch jeden Punk weichgekocht. Das war immer schon so. Und eigentlich ist es auch gar nicht schlimm. Das Älterwerden bringt es nun mal mit sich, das sich die Bedürfnisse ändern. Und die Zwänge.
Um so bemerkenswerter ist es, wenn jemand einfach nicht mitmacht. Florian Helmchen, seit 1990 Betreiber des Labels Heartfirst, ist hartnäckig dem rauhen Sound und der DIY-Idee treu geblieben. Heartfirst veröffentlicht hauptsächlich 7“-EPs, das musikalische Programm des Labels ist überschaubar geblieben. Während Hardcore und Punk heute so populär wie niemals zuvor sind und jedes Jahr im Sommer riesige Festivals Hunderttausende Fans anziehen, ist die DIY-Hardcore-Punk-Szene geschrumpft. Minikonzerte und Miniauflagen sind die Regel. Die politischen Inhalte und moralischen Haltungen und die echt harte Musik haben immer noch kein großes Publikum. Deshalb sind Veröffentlichungen wie der Berlin Tristesse Sampler auch so begrüßenswert. Nicht ohne Grund hat eben kein großes Label diese wütende kleine Compilation, die sich mit dem derzeitigen Berlin beschäftigt, herausgebracht. Der vitale Hass auf gewissenlose Gentrifizierer, Stadtplaner und Architekten, die diese Stadt zupflastern, einen eintönigen Betonbunker neben den anderen setzen und nebenbei die Nischen für unangepasstes Leben rapide zerstören, findet hier seinen perfekten musikalischen und visuellen Ausdruck. Ohne auf Punk-Trends zu schielen, schreien heutige Berliner Hardcore-Punk-Bands wie Peacebastard, Pig/Control, Crack Under Pressure, Bitter Crop, Mülltüte, Nuclear Cult und Earth Crust Displacement kompromisslos ihre Wut über die Verhältnisse heraus, wie es keine Pop-Band könnte.
Wenn in einigen Jahren der Vertreibungsprozess abgeschlossen und Berlin genauso tot wie New York sein wird, wird zumindest diese Platte an diejenigen erinnern, die sich gewehrt haben. Wie Helmchen in seinem Begleittext schreibt: »Berlin Tristesse soll das Uncoole, Schmutzige, Lebendige und Abseitige feiern. Die Menschen, die in den schwindenden Freiräumen voller antikommerzieller Kreativität kämpfen. Es soll eine Hommage sein an das Berlin, das nicht reich, aber auch nicht besonders sexy ist. Und das langsam zur Kulisse verkommt, austauschbar wird und irgendwann abstirbt.«
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com/) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.