Die Pläne des neuen französischen Premierministers

Viel Spektakel, wenig Revolte

Der neue französische Premierminister Manuel Valls will 50 Milliarden Euro einsparen, er hat den Unternehmern bereits erste Zugeständnisse gemacht. Und er ist populär.

»Ich habe mir ein echtes Kinderherz bewahrt. Doch, wirklich! In einem Behältnis auf meinem Schreibtisch, in Spiritus eingelegt.« Dies legt ein anonymes Plakat dem vormaligen Innenminister und jetzigen Premierminister Manuel Valls in den Mund. Ein anderes, ebenfalls anonymes Plakat lässt Staatspräsident François Hollande und Pierre Gattaz, den Präsidenten des Unternehmerverbands Medef, ausrufen: »Was soll nur aus uns werden, ab Samstag 14 Uhr … ?« Es folgen genaue Ortsangaben zur Demonstration.
Solche ungewöhnlichen Demonstrationsaufrufe wurden Ende vergangener Woche in manchen nördlichen Stadtteilen von Paris verklebt. Ihre innovative Form hängt mutmaßlich damit zusammen, dass der derzeitige Kampf der intermittents du spectacle, der prekär Beschäftigten im Kulturbetrieb (Jungle World 13/2014), bei dem es für viele von ihnen um die soziale Existenz geht, auch eine künstlerische, eine kreative Komponente in den allgemeinen Sozialprotest gebracht hat. Die Demonstration sollte am Samstag in der französischen Hauptstadt erstmals wieder eine größere Anzahl von Menschen zum Protest von links gegen die Regierungspolitik der Sozialdemokraten zusammenkommen lassen. Zuvor waren Rechte, von Konservativen bis zu militanten Faschisten, mit ihren Aktivitäten unter anderem gegen die Gleichstellung von Homosexuellen anderthalb Jahre führend bei Straßenprotesten in Frankreich.
Die Initiative zu einem »Wochenende der Revolte von links« hatten Anfang Februar die beiden linken Politiker Olivier Besancenot, einer der Sprecher der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA), und Jean-Luc Mélenchon, einer der beiden Vorsitzenden der 2008/09 aus einer Abspaltung von der Sozialdemokratie enstandenen Linkspartei (PG), ergriffen. Später schlossen sich ihnen auch die französische KP und ein Teil der Gewerkschaften an.
Die Demonstration wurde jedoch alles in allem nur ein mäßiger Erfolg, jedenfalls was die Zahl der Teilhnehmenden betrifft. Polizei und Innenministerium sprachen von 25 000, die Veranstalter von 100 000 Teilnehmerinnen. Üblicherweise liegt die Wahrheit in der Mitte, doch diesmal entsprechen eindeutig die behördlichen Angaben eher der Realität. Über 25 000 ging die Zahl der Teilnehmenden nicht hinaus, auch wenn viele Demonstrierende nicht nur aus dem Großraum Paris, sondern auch aus der Region von Orléans, der Normandie und Burgund angereist waren.

Den kreativsten Beitrag leisteten die intermittents, die auf fahrenden Wagen Zirkusaufführungen darboten und zu jenen gehörten, die die ­radikalsten Parolen riefen. Im Anschluss an die Demonstration versuchten sie am Abend noch, ein öffentliches Gebäude im 12. Pariser Bezirk zu besetzen, das aber nach nur zwei Stunden wieder geräumt wurde. Dabei kam es zu polizeilichen Brutalitäten, allerdings gab es keine Festnahmen, sondern lediglich Personalienfeststellungen.
Anlass für linken Protest gibt es mehr als genug. Premierminister Manuel Valls kündigte in seiner Regierungserklärung vom Dienstag vergangener Woche unter anderem an, Sozialbeiträge der Unternehmen für die unteren Lohngruppen bis 2017 vollständig abzuschaffen. Der Gewerkschaftsverband CGT sieht deswegen »Millionen von Arbeitslosen dauerhaft am Mindestlohnniveau festhängen«, weil die Unternehmer so in den Genuss der maximalen Vergünstigung kommen. Als Zugeständnis an die Lohnabhängigen soll es, ebenfalls auf Mindestlohnniveau, zu einer Verringerung auch ihrer Sozialabgaben kommen. Dies wird allerdings die Finanzierung der gesetzlichen Sozialversicherungssysteme weiter erschweren und zum Teil deren – vielleicht beabsichtigten – Kollaps beschleunigen. Für Mindestlohnbeschäftigte soll die Entlastung bei den Sozialbeiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern die Erhöhung des Nettolohns um 40 Euro monatlich zur Folge haben. Das wird allerdings nur geschehen, wenn die Unternehmer, wie die Regierung offenbar zu glauben gewillt ist, ihre Einsparungen an die Beschäftigten weitergeben.

Die öffentliche Wahrnehmung dieser Politik, die auf der festen Überzeugung der Alternativlosigkeit von Sparpolitik, »solidem Haushalten« und deutschlandfreundlicher Orientierung in der EU beruht, ist von einem Paradoxon geprägt. Einerseits sind die realen Auswirkungen einer solchen Politik unpopulär. Andererseits genießt Valls, jedenfalls derzeit, kurz nach seinem Antritt als Regierungschef, eine erhebliche Popularität. Ende vergangener Woche hatte er einen Beliebtheitswert von 58 Prozent und ist damit der populärste Premierminister der letzten 20 Jahre. Sein Vorgesetzter, Präsident François Hollande, ist hingegen mit einer Zustimmungsrate von 18 Prozent das unbeliebteste Staatsoberhaupt in der Geschichte der Fünften Republik. Valls wird von bis zu 90 Prozent der Wählerinnen und Wähler der Sozialdemokratie, aber auch (je nach Umfrage) von einem Drittel bis der Hälfte jener der konservativ-wirtschaftsliberalen Oppositionspartei UMP als »glaubwürdig« eingestuft. Von den Medien wird Valls zum »Macher« stilisiert und die meisten Franzosen scheinen derzeit eher auf den Erfolg harter Regierungsmaßnahmen als auf solidarische Proteste zu hoffen.
Wie lange Valls populär bleiben wird, ist eine andere Frage. Er kündigte zwar – unter dem Beifall der öffentlichen Meinung – an, dass er jährlich 50 Milliarden Euro einsparen will, sagte aber bislang nicht, wie das geschehen soll. Sobald konkrete Ankündigungen folgen, könnte die Stimmung schnell umschlagen.